Wednesday, February 07, 2007

Die Angst vor dem Frieden

Der Konflikt in den palästinensischen Gebieten von jörn schulz
Wenn israelische Soldaten die Schüsse abgegeben hätten, wäre der UN-Sicherheitsrat wohl zu einer Dringlichkeitssitzung zusammengetreten. Mindestens 22 Menschen wurden im Gaza-Streifen nach dem am Dienstag der vergangenen Woche vereinbarten Waffenstillstand bei Kämpfen zwischen Anhängern der Fatah und der Hamas getötet. »Wir, die Führer der beiden Gruppen, haben mit Gottes Hilfe einem Waffenstillstand zugestimmt«, verkündete der Hamas-Sprecher Nizar Rayan dann am Freitag. Doch die Kämpfe dauerten am Wochenende an.
Nicht einmal der Hinweis auf den gemeinsamen Feind hilft noch. Den Selbstmordanschlag im israelischen Badeort Eilat, bei dem drei Menschen getötet wurden, wollten die Urheber, der Islamische Jihad und die Al-Aqsa-Brigaden der Fatah, als Aufruf zur Einheit verstanden wissen. Das Beispiel des »Märtyrers« beeindruckte die in Gaza Kämpfenden nicht.
Der Konflikt in den palästinensischen Gebieten ist derzeit nicht in erster Linie ein Kampf zwischen den Parteien, deren Führungsgruppen eigentlich über eine Koalitionsregierung verhandeln und sich um eine Deeskalation bemühen. Der mangelnde Respekt der bewaffneten Basis vor den Entscheidungen der Führung verschlechtert die Verhandlungsposition der Palästinenser. Was ist ein Friedensvertrag mit Präsident Mahmoud Abbas oder auch der Hamas-Regierung wert, wenn deren Autorität nicht einmal ausreicht, eine Feuerpause vor ihrer Haustür zu erzwingen?
Friedensverhandlungen zu verhindern, ist nicht das erklärte Ziel der kämpfenden Milizionäre. Doch in den palästinensischen Gebieten ist eine Kriegsökonomie entstanden, und die Profiteure, Milizenführer und in der illegalen Ökonomie tätige Geschäftsleute haben kein Interesse an einem Ende der Konfrontation. Die lokalen Warlords kämpfen um Herrschaftsgebiete. Einer Miliz anzugehören, verschafft ein Einkommen und gesellschaftliches Ansehen. Anders als der Regierung ist den Warlords das Geld nicht ausgegangen. An Munition mangelt es ihren Milizionären nicht, obwohl eine Patrone bereits im vergangenen Jahr einen Dollar kostete und seitdem mit der Nachfrage auch der Preis weiter gestiegen sein dürfte. Die meisten Palästinenser leben von weniger als zwei Dollar pro Tag.
Wer vom Krieg profitiert, fürchtet den Frieden. Der palästinensische Psychiater Eyad al-Sarraj stellte bereits im Jahr 1998 fest, dass die Gesellschaft in Clans zerfällt und von einer Kultur der Gewalt beherrscht wird: »Es gibt immer jemanden, der jemand anders tötet, um Rache zu nehmen für einen vorangegangenen Mord.«
Israelische Bombenangriffe und Militäreinsätze haben zur Traumatisierung der palästinensischen Gesellschaft beigetragen. Den Militarismus und den Märtyrerkult zu fördern, war jedoch eine bewusste Entscheidung der palästinensischen Führungsgruppen, sowohl der Islamisten als auch der Nationalreligiösen. Dass mit dem Tod Arafats einer extrem autoritären Gesellschaft die einende Vaterfigur verloren gegangen ist, hat ebenfalls den Zerfall gefördert. Die Mischung aus ideologischem Extremismus, Männlichkeitswahn und Perspektivlosigkeit, die große Teile der palästinensischen Gesellschaft kennzeichnet, hat nun dazu geführt, dass die Gewalttätigkeit außer Kontrolle geraten ist.
Bei der Wiederaufnahme des Friedensprozesses geht es deshalb weniger um die Frage, wem ein paar Quadratkilometer Land in der Umgebung Jerusalems gehören sollen, auf dem allenfalls ein paar Ziegen weiden können. Der eigentliche Friedensprozess muss in der palästinensischen Gesellschaft selbst stattfinden.
jungle world

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