Saturday, February 17, 2007

Gott lässt bitten

Die jungen Befehlshaber der Fatah auf dem Weg in den Jihad. von ido zelkovitz
In den vergangenen Jahren ist der Aufstieg des politischen Islam in den palästinensischen Gebieten mehr und mehr zu beobachten. Öffentliche Bekanntmachungen, Todesanzeigen oder Internetseiten zeigen deutlich, dass der Islam eine wachsende Bedeutung im Alltag der Palästinenser bekommt. Auch der Fatah-Bewegung ist dieses Phänomen nicht entgangen. Sie stellt ihren Kampf um »nationale Befreiung« stärker als je zuvor unter islamische Vorzeichen.
Seit ihrer Gründung 1959 war die Fatah die stärkste Vertreterin der nationalistischen Strömung innerhalb der PLO. In einer öffentlichen Umfrage unter Fatah-Unterstützern im März 2000, kurz vor Beginn der al-Aqsa-Intifada, sprachen sich 87,6 Prozent der Befragten dafür aus, dass der Islam eine größere Rolle in der Zukunft der palästinensischen Gesellschaft spielen sollte. 80 Prozent befürworteten die Sharia als offizielles Recht im zukünftigen palästinensischen Staat. Während in der Vergangenheit der Kampf der Fatah gegen Israel nationalistisch begründet wurde, sprechen heute viele ihrer Fraktionen vom Jihad, dem heiligen religiösen Krieg.
Noch benutzt die Fatah allerdings islamische Motive mehr aus utilitaristischen als aus ideologischen Gründen. Die Wende zum Islamismus ist Teil der Auseinandersetzungen mit der Hamas und dient dem Ziel, Jugendliche auf die Seite der Fatah zu ziehen. Es sind die jüngeren Befehlshaber des bewaffneten Flügels der Fatah, die die islamistischen Einflüsse stärken wollen. Es ist also kein Zufall, wenn vor allem während der bewaffneten Auseinandersetzungen das Bekenntnis zum Islam immer lauter wird. Zudem wollen sich diese jungen Anführer von den alten Führungskadern abgrenzen, die sie als korrupt bezeichnen. Gegen diese Missstände propagieren sie die reine und nicht korrumpierbare Religion. Hinzu kommt, dass der Islam als Hoffnung verheißender Ansatz gegen die israelische Vormachtstellung in Wissenschaft und Technologie angepriesen wird.
Es sind vor allem vier Fraktionen innerhalb des militärischen Flügels der Fatah, die sich dem Islam verschrieben haben: die Falken der Fatah, die Brigade Märtyrer Ahmed Abu al-Reish, das Bataillon der Heiligen Krieger und die Pioniere der Volksarmee, die im nördlichen Samarien aktiv sind. Diese Fraktionen bekämpfen Israel mit dem Koranzitat, das auch die al-Aqsa-Märtyrerbrigaden benutzen: »Wenn ihr gegen sie kämpft, wird Allah sie durch euch bestrafen, sie zuschanden machen, euch zum Sieg über sie verhelfen und Leuten, die gläubig sind, innere Genugtuung verschaffen.«
Auch wenn diese Fraktionen unter dem Dach der Fatah und ihres populären bewaffneten Flügels, den al-Aqsa-Märtyrerbrigaden, agieren, basieren sie doch lediglich auf lokalen Allianzen ihrer Familien und Clans und haben keine übergreifende nationale Bedeutung. Um ihre Operationen dennoch zu rechtfertigen und größere öffentliche Unterstützung zu bekommen, suchten sie sich eine in weiteren Kreisen wirksame Identität, die sie im Islamismus fanden.
Die bekannteste dieser Gruppen sind die Falken, die in den späten achtziger Jahren die Hamas im Gaza-Streifen bekämpften und deren religiösen Ideen widersprachen. Heute legitimieren auch die Falken ihren Kampf mit islamischen Motiven. In einer ihrer Erklärungen prahlen sie damit, dass sie diejenigen seien, die »in Allahs großem Namen schwören, das schöne islamische Land Palästina zu beschützen«. Dieser Anspruch ist von dem der Hamas nicht mehr zu unterscheiden. Das gesamte palästinensische Land vom Jordan bis zum Mittelmeer wird als islamisches Eigentum betrachtet, und deshalb wird jedem das Recht abgesprochen, ohne Gottes Erlaubnis über dieses Territorium zu verhandeln.
Auch die stärkste Fraktion, die el-Reish-Brigade, die am stärksten in Khan Yunes im Gaza-Streifen vertreten ist, kämpft für die Befreiung Palästinas unter Gottes Fahne und mit seiner Anleitung. Die el-Reish-Brigade ist bekannt für ihre guten sozialen und militärischen Verbindungen zu den Bataillonen von Iz al-Din al-Qassam, dem bewaffneten Arm der Hamas.
Abu al-Sheih, einer der Befehlshaber des Bataillons der Heiligen Krieger, erklärte unmissverständlich: »Unsere Fraktion wurde gegründet, um diejenigen zu repräsentieren, die an die islamischen Ideen innerhalb unserer Bewegung glauben.«
Alle diese Gruppen übernehmen nicht nur den islamischen Diskurs, sondern beginnen, auch die Operationsformen der Hamas und des Islamischen Jihad zu imitieren, inklusive der Selbstmordattentate auf israelischem Gebiet. Darüber hinaus versuchen sie, durch martialisches Auftreten die Einwohner einzuschüchtern, um die Hoheit über die Straße zu gewinnen und ihre Aktivitäten zu finanzieren.
Auf diese Weise verwischen die Unterschiede zwischen der Hamas, dem Islamischen Jihad und der Fatah mehr und mehr. Die Kämpfer wechseln von einer Gruppe zur anderen, wie beispielsweise Haled Abu Hilal, der frühere Fatah-Befehlshaber, der jetzt der Regierung der Hamas als Sprecher des Innenministers angehört und seine früheren Freunde attackiert.
Der Wahlsieg der Hamas vor einem Jahr führte zu lähmenden ökonomischen Sanktionen und entfachte einen harten Machtkampf zwischen der Fatah und der Hamas. Nach wie vor gibt es nämlich große Unterschiede zwischen ihnen. Die Zusammenstöße zwischen diesen beiden Gruppen sind auch ein Kampf um die Durchsetzung der je spezifischen Vorstellung über die Rolle des Islam im zukünftigen Staat. Für die Fatah stellt der Islam einen beträchtlichen Teil, aber nicht die alleinige Grundlage der palästinensischen Identität dar, wie es die Hamas vertritt. In diesem Kontext steht auch der Angriff der Fatah auf die islamische Universität der Hamas in Gaza-Stadt von Ende Januar.
Auch zwischen dem Gaza-Streifen und der Westbank wachsen die Unterschiede. Die unterschiedliche soziale Situation führt zu unterschiedlichen politischen Ideologien innerhalb der palästinensischen Bevölkerung: eine islamische Führung im Gaza-Streifen mit dem Iran als Strippenzieher und eine nationalistische Führung in der Westbank, die jedoch an Unterstützung verliert.
Der aufkommende Islamismus birgt gefähr­liche Konsequenzen. Zum einen wird sich die politische Kultur Palästinas vom Anspruch eines demokratischen Pluralismus entfernen. Zum anderen kann das, was heute noch in erster Linie utilitaristisch ist, morgen schon Ideologie werden. Nationale Identität und Religion arbeiten Hand in Hand, um ein neues Nationalethos für den Kampf gegen die als »ungläubig« definierten Kräfte zu schaffen. Die Fatah ist eine sehr flexible und facettenreiche Bewegung, die jede Menge Ideologien und Strömungen enthält, und auch der Islam war schon immer ein Bestandteil davon. Noch betrachtet die Fatah den Islam nicht als Regelwerk für alle Lebensbereiche, sondern als Teil der nationalen Kultur. Doch das Hauptziel der religiösen Aufladung der nationalen Bewegung ist es, die jungen Fatah-Kämpfer auf das Schlachtfeld des Jihad zu schicken. Einmal dort angekommen, kann der taktisch benutzte Islamismus jedoch zur grundsätzlichen ideologischen Überzeugung werden.
Ido Zelkovitz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Geschichte des Mittleren Ostens an der Universität Haifa in Israel.
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