Thursday, February 01, 2007

Türkei: Drei Schüsse mit Ankündigung

Der türkische Staat und viele türkische Medien haben Hrant Dink zum Angriffsziel gemacht. von sabine küper-büsch, istanbul
Der Mord an Hrant Dink hat die Türkei erschüttert. Überraschend aber kam er nicht. Es war ein absehbarer Mord. Hrant Dink war sich der Gefahr bewusst, in der er sich befand. Seine beiden letzten Essays, die am 12. und am 19.Januar in der türkisch-armenischen Wochenzeitung Agos erschienen, die er Mitte der neunziger Jahre gegründet hat, dokumentieren seine wachsende Angst.
In seinem Essay vom 12.Januar berichtete er von den Ereignissen, die am Anfang einer Reihe von Verleumdungen, Anfeindungen und An­klagen stehen sollten: Im Februar 2004 erscheint in Agos ein Artikel, in dem die Vermutung aufgestellt wird, dass Sabiha Gök­çen, eines von acht Adoptivkindern des Staatsgründers Mus­tafa Kemal Atatürk, armenischer Abstammung gewesen sei. Was Außenstehenden als belanglose Mitteilung erscheinen könnte, ist in der Türkei, wo die Beleidigung des Andenkens Atatürks ebenso strafbar ist wie die »Verunglimpfung des Türkentums«, ein Affront. Die Tageszeitung Hürriyet greift das Thema auf, tags darauf erklärt der Generalstab, diese Behauptung über Atatürks Adoptivtochter stelle einen »Angriff auf die nationale Einheit und den gesellschaftlichen Frieden« dar. Wiederum einen Tag später bestellt einer der Stellvertreter des Gou­ver­neurs von Istanbul Dink zu einer »Unterredung«.
Außer dem stellvertretenden Gouverneur, so berichtet Dink in seinem vorletzten Essay, sind ein Mann und eine Frau anwesend, die ihm als »Bekannte« vorgestellten werden. Sie reden auf ihn ein: »Sie sind ein erfahrener Journalist, Sie müssten doch sorgfältiger berichten.« Die »Bür­ger auf der Straße« könnten derlei Nachrichten »missverstehen« und glauben, dass Dink sie aus »anderen Gründen« verbreite. Der stellvertretende Gouverneur wird deut­licher: »Wenn Sie so weitermachen, könnten Sie den Zorn der Bevölkerung auf sich ziehen.«
Eine Woche nachdem Dink über diese fast drei Jahre zurückliegende Drohung geschrieben hatte, wurde er vor dem Gebäude seiner Zeitung mit drei Schüssen in den Hinterkopf getötet.
Sein Mörder ist der 17jährige Ogün Samast aus Trabzon am Schwarzen Meer. Die Agos hat er nie gelesen, aber er will wissen, dass Dink die Türken beleidigt habe. Deswegen habe er ihn getötet.
Außer dem geständigen Samast sitzen fünf weitere junge Männer aus der ultranationalistischen Szene in Untersuchungshaft, darunter Yasin Hayal. Er verübte im Oktober 2004 einen Anschlag auf eine Filiale von McDonald’s in Trabzon, weil sie während des Fastenmonats Ramadan geöffnet war. Hayal gibt zu, Samast mit dem Mord beauftragt und ihm die Waffe beschafft zu haben. Als er in der vorigen Woche zu einem Gerichtstermin geführt wurde, schrie er, Orhan Pamuk möge »Vernunft annehmen«. Dass ein des Mordes Verdächtiger in einem Gerichtsgebäude Drohungen auszusprechen wagt, ist merkwürdig. Noch merkwürdiger ist, dass der Mann trotz einer Verurteilung wegen des Anschlags zu sechs Jahren und acht Monaten Haft seit September 2005 auf freiem Fuß war.
Bereits seit geraumer Zeit macht die rechtsextreme Szene von Trabzon von sich reden. Im April 2005 versuchte dort eine Menschenmenge, eine Hand voll Linker zu lynchen, die Flugblätter verteilt hatten. In letzter Minute schritt die Polizei ein, nahm aber nicht den mordlustigen Mob fest, sondern dessen Opfer. »Wir alle denken wie ihr, aber diese Leute werden ihre gerechte Strafe bekommen«, rief der Polizeipräsident der Menge zu. Ein Jahr darauf, während der Krise um die dänischen Mohammed-Karikaturen, ermordete der 16jährige Oguzhan Akdin den katholischen Priester Andrea Santoro.
Angeblich sucht die Polizei von Trabzon seither nach weiteren Tatbeteiligten. Ergebnislos. Und dass Yasin Hayal eine Gruppe von Jugendlichen um sich scharte und sie an Waffen ausbildete, entging ihr offenbar ebenfalls. Angesichts dieser Vorgeschichte kann man sich wundern, warum der Ministerpräsident am Freitag den örtlichen Polizeipräsidenten und den Gouverneur abberief. Nun soll geprüft werden, ob den Behörden Vorsatz oder Fahrlässigkeit vorzuwerfen sei.
Hrant Dink konnte nicht wissen, wer auf ihn schießen würde. Aber er versuchte, die Gefahr abzuwenden, indem er sie öffentlich machte. »Es gibt einen Block innerhalb der Staatsbürokratie, der mich als besondere Zielscheibe auserwählt hat«, sagte er mir Ende September in einem Interview. Die Anfeindungen gegen sich sah er als Teil eines Kampfes einer ultrakonservativen Frak­tion der Staatsbürokratie um die Macht.
Es wäre nicht das erste Mal, dass die Staats­bürokratie sich eines aggressiven Nationalismus bedienen würde. In den siebziger Jahren wurde die Jugendorganisation der rechts­extremen Grauen Wölfe von staatlichen Stellen gegen die erstarkende Linke eingesetzt. In den neunziger Jahren wurden viele Graue Wölfe stillschweigend rehabilitiert und als Todesschwadronen in den Kampf gegen die kurdisch-separatistische PKK geschickt. Der Erfolg der regierenden islamisch-konservativen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) lag nicht zuletzt daran, dass sie kaum mit diesem undurchsichtigen, kriminellen Treiben des Staats in Verbindung gebracht wurde.
Dink glaubte, dass die alten Kräfte im Staat versuchten, die nationalistische von der islamis­tischen Basis der AKP abzuspalten und so die für sie schwer kontrollierbaren Islamisten zu schwächen. Bald nach Dinks Gespräch im Büro des Gouverneurs – bei dem, wie der Gouverneur von Istanbul inzwischen einräumt, Mitarbeiter des Geheimdienstes zugegen waren – erstattete eine nationalistische Anwaltsvereinigung Anzeige gegen Dink. Der Anlass war ein Artikel, in dem er geschildert hatte, wie die Tabuisierung der Deportation und Ermordung von Teilen der armenischen Bevölkerung während des Ersten Weltkriegs die Demokratisierung des Landes behindere. Er sprach dabei vom »vergifteten Blut der Türken«. Eine verunglückte Formulierung, mit der er aber nur ausdrücken wollte, dass die Demokratisierung an einem immer nationalistischer werdenden Klima zu scheitern drohte.
Seither wurde diese Formulierung aus dem Zusammenhang gerissen und von türkischen Medien wieder und wieder zitiert, bis Dink als »Türkenfeind« gebrandmarkt war. Trotz eines philologischen Gutachtens, das ihn vom Vorwurf der Beleidigung freisprach, wurde Dink im Oktober in letzter Instanz wegen »Verunglimpfung des Türken­tums« zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Er war der erste, der nach dem Paragrafen 301 nicht nur angeklagt, sondern auch verurteilt wurde.
Kurz zuvor hatte die Staatsanwaltschaft eine Klage angestrengt, weil Dink in einem Interview die Frage, ob es einen Völkermord an den Armeniern gegeben habe, bejaht hatte. Schließlich brachte ihm seine Kritik an seiner Verurteilung ein weiteres Verfahren ein, diesmal wegen Beeinflussung der Justiz.
In seinem Essay vom 12.Januar kündigte Dink an, sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu wenden. Trotz alledem kam es für ihn nicht in Frage, das Land zu verlassen: »In der Türkei zu bleiben und dort zu leben, ist nicht nur unser inniger Wunsch, dies gebietet auch der Respekt vor den Tausenden Menschen, die uns unterstützen und die in der Türkei für Demokratie kämpfen«, schrieb er in seinem letzten Text. Er fühle sich wie eine Taube, »ein bisschen furchtsam, aber auch frei«. Und er wisse, dass »in diesem Land kein Mensch einer Taube etwas zuleide tut«. Wenige Stunden nach der Veröffentlichung dieser Zeilen war Hrant Dink tot.
jungle world

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