Monday, January 07, 2013

Augstein um Augstein: Zwischen Mensch und Meinung

Aus gegebenem Anlass seien die Verteidiger und Ankläger von Jakob Augstein noch einmal darauf hingewiesen, was das Simon Wiesenthal Center überhaupt ausgezeichnet hat: einen “antisemitic slur”, eine antisemitische Fiesheit sprachlicher Art.
Damit ist keinerlei inhaltliche Aussage über Herrn Augstein an sich als solchen getroffen. Es geht lediglich um den Inhalt seiner Aussagen (die an dieser Stelle zu referieren und zu analysieren mir müßig erscheint, zumal das an vielen anderen Stellen bereits geschehen ist).
Es ist eine Lücke zwischen Mensch und Meinung und die gehört da hin; auch aus Sicht des SWC. Was mein Nachbar im Bett macht, oder am Küchentisch, oder auf dem Abort, interessiert mich nicht und es geht mich auch nichts an. Zumindest, solange es mich nicht negativ berifft.
Ob Herr Augstein Antisemit ist, Veganer oder Marsmensch, muss völlig unerheblich sein. Er kann von mir aus sein was er will und glauben was er will – solange er aufhört, diesen unsäglichen Mist von sich zu geben, sobald es um Israel geht. Mist, an dessen Ressentiment vorbeizugucken nur um den Preis eines Vebrechens an der Wahrheit möglich ist.
Womit wir beim zweiten Punkt wären: Alle, die sich vom derzeit stattfindenden großen nationalen Schulterschluss der deutschen Journaille überrascht zeigen, müssen sich die Frage gefallen lassen, ob sie die letzten Jahre im Koma gelegen haben. Oder warum es ihnen nicht möglich war, zumindest eine fremdsprachige Tageszeitung zu lesen.
Der Flottillenbeschluss 2009 gegen Israel ging einstimmig durch den deutschen Bundestag, für die gesetzliche Regelung der Beschneidung waren immerhin 66%; irgendwo dazwischen hat sich eine traurige Nachricht versteckt und die lautet: Alles ist nicht gut in diesem Land.
Wer von der landauf und landab, von rechts nach links stattfindenden offensiven Verteidigung des Herrn Augsteins noch immer überrascht ist, hat offensichtlich nicht verstanden, wo er oder sie lebt.
Schon wieder eine “Debatte”! Und zwar eine, die wiederum vor der Reproduktion selbst namhafter antisemitischer Stereotype nicht zurückschreckt, angefangen von der “jüdisch-amerikanischen Weltverschwörung” bis zum sattsam bekannten “nur wegen dem Holocaust”-Geheul.
Wir erleben erneut den nationalen Befreiungskampf des sich bei seinem Gewissen gepackt wähnenden deutschen Bauchgefühls. Und wenn die Augstein-Apologetiker wenigstens mit sich selber ehrlich sein könnten, müssten sie sich darüber echauffieren, dass ihr Idol es in den Wiesenthal-Charts nur auf Platz 9 geschafft hat – well, better luck next time.
Der nationale Schulterschluss steht. Von taz bis FAZ wird dem Augstein die Richtigkeit seiner Meinung attestiert. Und vom Zentrum für Antisemitismusforschung bis zu Herrn Korn vom Zentralrat der Juden in Deutschland wird “Verständnis” für Herrn Augstein gezeigt; die Unzurechnungsfähigkeitserklärung zum kleinen Preis.
Kann sein, dass Herr Augstein sich dieses “Verständnis” sogar wünscht; ich glaube, dass er es zur Zeit ganz gut gebrauchen könnte. Aber ich würde es vorziehen, wenn man sich wenigstens nicht so überaus selbstzweckhaft aus der Verantwortung entlassen würde, weil man auch morgen noch miteinander im Geschäft sein möchte, im Anti-Antisemitismus-Geschäft?
Es geht also überhaupt nicht um den Mann – es geht um das, was er sagt, denkt, und schreibt. Und zwar nicht in seinem Tagebuch, sondern in der Öffentlichkeit. Wo er sich recht prominent in den Verkehr der öffentlichen Meinungen begibt. Und da bedient er nun mal einen “politschen” Instinkt, den man nicht anders als antisemtisich qualifizieren kann.
Und dass ihn keiner der Betroffenen wahr haben möchte, und die Vehemenz, mit der man hierzulande auf diesen “Vorwurf” reagiert (der in Wahrheit nichts weiter als eine Beobachtung und eine Meinung ist) deutet bereits an, dass bei den “Angegriffenen” mit der Abgrezung irgendwas nicht funktioniert.
Verständnis ist hier völlig fehl am Platze – Herr Augstein sollte seine Ansichten überdenken, wenn er kann. Aber wo kommen wir denn da hin, schallt es aus der Augstein-Front, wenn wir uns jetzt wieder den Munde verbieten lassen, von wegen Meinungsfreiheit, nicht wahr? Zur Not muss man eben den Juden mal wieder den Antisemitismus erklären! Oder, wie die Titanic es diesmal sehr treffend auf den satirischen Punkt gebracht hat: “Wer Juden hasst, bestimme ich”.
Ein Wort zu Herrn Korn vom Zentralrat, der offensichtlich seinen Burgfrieden mit der “Politik” in desem Land geschlossen hat und ihren Antisemitismus vor fälliger Kritik in Schutz nehmen will.
Es ist einfach immer wieder dieselbe Geschichte: Aus den Tiefen der wiedergutgewordenen Nation dringen ein paar typische, nicht ganz unproblematische Geräusche. Ein paar traurige, aber wahre Beobachtungen vervollständigen das Bild. Und man soll so tun, als wäre nie nichts gewesen?
Das war bei der Gaza-Flotte so, bei den diversen Grass-Gedichten, bei der Beschneidungs-Debatte und ist beim “Fall Augstein” wieder so. Da soll man tun, als wäre alles super? Gaza-Flotte, Grass-Gedicht, Beschneidungs-Debatte, das ist alles in den letzten drei Jahren passiert, und dazwischen war hier auch noch jede Menge los, Herr Korn.
Und jedes mal gab es hier den großen nationalen Schulterschluss mit denen, die diesen Müll von sich geben. Sie werden flugs zu “Opfern” und “Verfolgten” umgedreht, die das “gar nicht so” gemeint hätten. Das gipfelt dann in den auch im Fall Augstein nun wieder veröffentlichten Solidaritäsaufrufen mit denen, die diesen Mist reproduzieren, den sie angeblich “nur wegen Auschwitz” nicht sagen dürfte. Es reicht! Oder werden demnächst auch noch Stolpersteine für “Israelkritiker” verlegt?
Lernen, lernen, lernen. Wer es danach immer noch nicht begreifen will, wird kaum jemals verstehen, worum es sich bei der widergutgewordenen Nation in Wahrheit handelt. Aber das muss jeder selbst wissen.
Gerrit Liskow via haolam

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