Saturday, January 19, 2013

War da was? Algerien und die Folgen

Kaum war in Amenas etwas Schreckliches passiert, spielte sich in Deutschland dieselbe Reaktion ab, die in solchen Fällen fast immer passiert: Nichts Böses hören, nichts Böses lesen, nichts Böses sagen. Zwischen Flensburg und der Zugspitze zog sich Deutschland unter die Käseglocke der veröffentlichten Meinung zurück und war felsenfest davon überzeugt, Algerien ginge “uns” überhaupt nichts an; zumindest in der deutschen Journaille hat man das recht überzeugend gemacht.
Was tatsächlich geschehen ist und noch immer geschieht, ist in den wesentlichen Eckpunkten ziemlich klar. Eine islamistische Mini-Armee besetzte Installationen der BP/Statoil und selektierte dann: Christen und “Ungläubige” nahm man als Geiseln, der Rest der Belegschaft wurde nachhause geschickt. So kamen nicht nur um die vierzig Ausländer in die Gewalt der Terroristen, sondern auch viele Algerier.
Der bei weitem überwiegende Teil der Angestellten wurde jedoch freigelassen – um die 400 Personen insbesondere algerischer und nicht-westlicher Nationalität. Man wollte sich das Leben nicht unnötig schwer machen, denn soviele Leute in der Wüste festzuhalten kann nicht nur ziemlich anstrengend sein, sondern hätte Etliches an Logistik und Organisation von den Terroristen erfordert.
Organisiert war die islamistische Mini-Armee durchaus und sie wusste, was sie tat. So eine Fabrik wie in Amenas ist ziemlich weitläufig und verwinkelt, aber die Terroristen fanden sich auf dem Gelände bestens zurecht, weil sie vorbereitet waren. Und zu allem entschlossen, denn bereits die Wache am Tor brachten sie mit einer lapidaren Gewehrsalve um.
Einem geringen Teil der einheimischen oder auswärtigen Angestellten gelang es zu fliehen, oder sich bis zum Eintreffen der Armee irgendwo zu verstecken; in Einzelfällen gelang auch bereits entführten Geiseln später die Flucht.
Was zur Eskalation der Ereignisse maßgeblich beigetragen hat, war die Entscheidung der algerischen Regierung, sich vom Belmuchtar-Bataillon nichts bieten zu lassen. Man kennt derlei gescheiterte Geiselbefreiuungen vor allem aus Deutschland (Fürstenfeldbruck) und Russland (Moskau, Beslan).
Es ist, kurz gesagt, das Dümmste, was man machen kann, und es wurde auch diesmal wieder probiert: Mit voller Wucht reinhalten, bis sich keiner mehr bewegt. Am Ende sind nicht nur die Geiselnehmer, sondern meistens auch die Geiseln tot – der aufrechte Staat jedoch ist nicht vor den Terroristen in die Knie gegangen, hurrah...
Im vorliegenden Fall kam mindestens die Hälfte der Geiseln ums Leben. Weitere wurden verletzt, einigen gelang im entstehenden Chaos die Flucht. Die Situation selbst ist trotz dieses Gemetzels augenblicklich weiter ungeklärt, denn ein harter Kern der Islamisten hat sich mit etlichen Geiseln igendwo auf dem Gelände verschanzt.
Die bereits geborgenen Leichen der Geiseln seien in einem schrecklichen Zustand, heißt es. Viele von ihnen seien von ihren Entführern unter Umständen ermordet wurden, die jenseits der menschlichen Vorstellungskraft liegen.
Angesichts der forensischen Befunde lässt sich das Ereignis empirisch rekonstruieren; auch die Frage, wie viele der Geiseln durch die gescheiterte Befereiung ums Leben kamen, wäre so zu beantworten. Ob es jemals eine wisenschaftlich valide Analyse des Vorfalls geben wird, ist gegenwärtig völlig ungewiss. Aus algerischer Sicht spricht vermutlich nichts dafür.
Etliche Staaten haben die algerische Regierung im Vorwege und während der Intervention der Armee um Konsultationen gebeten und Algiers jede verfügbare Hilfe angeboten – ohne ersichtlichen Erfolg. Ein norwegisches Lazarettflugzeug wurde auf einen Flugplatz umgeleidet, der möglichst weit von In Amenas entfernt liegt.
Die Komunikationspolitik der algerischen Regierung macht nur sehr widerstrebend von Gesprächs- und Hilfsangeboten aus dem Westen Gebrauch und scheint von der Situation insgesamt überfordert, will das aber nicht wahr haben und will vor allem nicht das Gesicht verlieren, weil man sich helfen lassen muss.
Die Reaktion der japanischen Regierung, die selbst viele Tote und Verletzte beklagen musste, schien dennoch etwas überzogen: In den Statements des Premierministers Abe und seines Außenministers ist davon die Rede, Algerien trage an der Situation die alleinige Schuld.
Davon kann in diesem Sinne keine Rede sein. Die Aggression ging immerhin nicht von algerischen Behörden, sondern von islamistischen Terroristen aus. Ausgewogener sind da schon die Statements aus London und Canberra, die jeweils die Terroristen als die Verantwortlichen verstehen, Algerien jedoch dringend zu mehr Zusammenarbeit auffordern und jede Menge praktische Hilfsangebote machen; der Werdersche Markt zeichnete sich erwartungsgemäß durch ohrenbetäubendes Schweigen aus.
Dass so etwas passieren konnte, ist sicherlich nur wenig überraschend. Entsprechend der Obama-Parole “leading from behind” entwickelt sich Libyen nach der alliierten Intervention mehr und mehr zu einem zukünftigen “failed state” mit erheblichen Defiziten bei der inneren Sicherheit.
Der internationale Terror profitiert sehr gut von der amerikanischen Außenpolitik. Insbesondere, zumal die niedergeworfene Gaddafi-Armee sich keineswegs mit ihrer eigenen Überflüssigkeit abfinden will, sondern neue Sponsoren aus dem In- und Ausland gefunden hat, die es ihr ermöglichen, den Kampf an anderer Stelle weiterzuführen; so lange, bis das Geld alle ist, und das kann lange sein.
Neue Sponsoren haben aber auch Gruppen ehemaliger Aufständischer gefunden, die nach der aliierten Intervention die Fahnen gewechselt haben, weil sie sich von “Imperialismus” oder “Ungläubigen” bedroht, von der an Freedom & Democrarcy interessierten Bevölkerung im eigenen Land verraten fühlen. So ähnlich ist es auch im Irak gewesen, als es dort nach der Invasion zur Revolte kam.
Was das Fass zum Überlaufen brachte, mag tatsächlich die französische Intervention in Mali gewesen sein. Frankreich bekämpft eine islamistische Armee und diverse Terrorgruppen, die die einheimische Bevölkerung im Norden Malis terrorisieren. Die französische Intervention wurde von der offiziellen und legitimierten Übergangsregierung in Timbuktu genau in dieser Form erbeten.
Es wäre allerdings nicht das erste Mal, dass die französische Republik dabei scheitert, die Bevölkerung einer ihrer ehemaligen Kolonien vor gewaltbereiten radikalen Elementen zu beschützen, es ihr aber bei solch einer Gelegenheit stattdessen gelingt, auch Dritte in den Konflikt mithineinzziehen – es hinterher dann aber nicht gewesen sein möchte.
Zur Internationalisierung des Konflikts und der dauerhaften Destabilisierung der Region bietet sich aus islamistischer Perspektive ein Abstecher nach Algerien durchaus an; vor allem, um die algerische Ölindustrie zu ruinieren.
Algerien hat in den 90ern bekanntlich einen erschreckend blutigen Bürgerkrieg mit über 100.000 Toten erlebt, an dessen Ende ein gentelmen´s agreement zwischen dem Staat und den radikalislamistischen Organisationen stand.
Das galt zwar immer als brüchig, zumal der militärische Arm von Terror-Organisationen sich in der Regel nicht zwangsläufig an das gebunden fühlt, was ihr zivile Arm ihm befiehlt, hat aber zumindest oberflächlich funktioniert; in einer vergleichbaren Form hat sich ja auch die radikale “Linke” der BRD nach dem Scheitern ihrer Terror-Strategie vom Staat an gut bezahlte Stellen befördern lassen.
Der islamistische Terror in Algerien ist nach dem von der Hamas bekannten Schema organisiert, und auch in Algier kann man sich deshalb zwar mit dem “zivilen” Arm vortrefflich zu einer Plauderei bei Tee und Kekschen treffen. Aber am Ende des Tages bedeutet das nicht viel, weil der militärische Arm gegebenenfalls das alleinige Sagen hat über alles, was im Land passiert.
Vor diesem Hintergrund ist es nur zu plausibel, dass Algerien keinerlei Veranlassung dazu sieht, islamistischen Kräften im Kampf um das Gewaltmonopol auch nur das geringste Zugeständnis zu machen und sich im Fall In Amenas zu einem Vorgehen entschied, das in der Szene nach dem Ergebnis der desaströsen Geiselbefreiung im Metropol-Theater in Moskau als “Russian-style” auf traurige Art bekannt geworden ist.
Es hätte aber, wie gesagt, auch “Fürstenfeldbruck-style” heißen können: Eine dilettantische durchgeführte Geiselbefreiung, bei der mehr Geiseln als Terroristen ums Leben gekommen sind.
Was nun die Zukunft anbelangt, muss eins klar sein: Dümmer werden die Terroristen nicht. Klar, dass das jetzt ein Rückschlag für sie war. Es hat aus ihrer Sicht nicht alles ganz geklappt, und was die Reaktion der algerischen Regierung anbelangt, hatten sie sich offensichtlich völlig verkalkuliert.
Der Plan wird wohl gewesen sein, “Christen und Ungläubige” in die von den Islamisten kontrollierte Zone in Nord-Mali zu entführen, wo diverse radikalislamistische Terrorgruppen bereits Personen aus dem Westen in ihrer Gewalt halten, um für die französische Intervention ein paar “bargaining chips” in der Hand zu bekommen.
Damit hat nun nicht alles so geklappt, wie es eigentlich klappen sollte, denn statt in Mali sitzt man weiterhin auf dem BP/Statoil Gelände in Algerien fest. Aber für den ersten Versuch war das mit dem internationalen Terrorismus in der Region gar nicht schlecht, wird man sich bei den Terroristen und ihren Geldgebern sagen; selbstverständlich wird man sich auch in diesen Kreisen “better luck next time” wünschen.
In der polypolaren Mad-Max-Welt der Zukunft wird man mehr davon sehen; das ist eben die Kehrseite einer Welt ohne “Weltpolizisten”. Wie asymetrische Kriegführung funktioniert, sollte allerdings schon lange kein Geheimnis mehr sein. Zumindest solange nicht, wie man weiß, wie man ein Schlachtschiff mit einem einzigen Torpedo versenkt, also seit fast hundert Jahren.
Ob dieser Gedanke in die militärische Ausbildung westlicher Armeen ausreichend eingepflegt worden ist? Der öffentlichkeitswirksam inszenierte “Sieg” über Al-Qaeda blamiert nämlich alle, die tatsächlich daran geglaubt haben, dass man damit gegen den internationalen Terror gewinnen kann. Natürlich hatte Bin-Laden den Tod verdient, nur war auch von anfang an klar, dass es Hunderte gibt, die an seine Stelle treten werden, oder bereits an seine Stelle getreten sind.
Wer am guten Leben, oder gar am Leben an sich, keinerlei Interesse hat, dem kann die liberale Marktwirtschaft und die ihr angemessene Form, der demokratische Rechtsstaat, kein vernünftiges Angebot machen. Allerdings hat keiner dieser “Kritiker” und Feinde des Lebens das Format, freiwillig sein pathetisches Dasein zu beenden – und zwar ohne, das Dritte dabei zu schaden kommen.
Der urwüchsig-antisoziale, authentisch-zivilsationsfeindliche Instinkt wird auch in Zukunft überall dort seine Urstände feiern, wo man sich vom Leben und der Gesellschaft zukurz gekommen wähnt – ohne den eigenen Anteil daran sehen zu können, und ohne daran auch nur das Geringste ändern zu wollen.
Das liegt der spontanen und instinktsicheren Solidarisierung mit Aufständischen und Rebellen aller Couleur zugrunde, wie sie in Deutschland bis in die bürgerlichen Millieus hinein üblich war und ist, und das artikuliert sich mal im Che-Guevara-Kitsch, mal im gepflegten Desinteresse, vor allem aber im Glauben an Revoltionen, deutsche und andere: Man möchte das Gefühl zum Ausdruck bringen, die Welt wäre einem zuviel schuldig geblieben.
Der einstige Pathos, mit dem noch ein John F. Kennedy den USA und der ganzen freien Welt zurufen konnte “don´t ask what your country can do for you – ask what you can do for your country” scheint in den Zeiten der Entitlement-culture à la Obama hoffnungslos unbequem und als Anspruch an die Vergesellschaftung des Individuums nicht opportun zu sein. Genau deshalb hat Kennedy recht.
Gerrit Liskow via haolam

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