Friday, May 23, 2014

Wahlen in Großbritannien: Der Fuchs im Hühnerstall


von Gerrit Liskow
Die gestrigen, zeitgleich mit den EU-Wahlen stattgefundenen Kommunalwahlen in Großbritannien haben eine empfindliche Schlappe für die Koalitionsregierung von David Cameron, Premierminister, und seinem Juniorpartner von den LibDems ergeben.
Zur Wahl standen 172 Gemeinde-, Landkreis- und Stadtparlamente, darunter alle 32 Bezirke der britischen Hauptstadt sowie ein Drittel der Mandate in 36 Parlamenten weiterer Großstädte; der Rest verteilt sich auf weitere Städte und Landgemeinden.
Bislang zeichnet sich bei einer etwas höheren Wahlbeteiligung als in vergangenen Jahren ab, dass die Newcomer im britischen Politikbetrieb die etablierten Parteien kalt erwischt haben: Nicht nur ist es der UK Independence Party gelungen, in den Hochburgen der Conservative Party und der LibDems im Süden Englands viele Mandate zu gewinnen, sondern es zeichnet sich zudem ab, dass UKIP auch in den traditionellen Labour Hochburgen in den Midlands stärkste oder zumindest zweitstärkste Partei werden könnte.
Das wäre so, als würde Bochum auf einmal von der AfD regiert.
Die Regierungskoalition aus Conservative und LibDem Party musste eine empfindliche Niederlage einstecken. Die Tories werden nach dem gegenwärtigen Trend in etwa einem Drittel aller Bezirke nicht wieder die Regierung stellen. Sie verlieren zudem etwa 15% ihrer Mandate auf lokaler Ebene.
Labour konnte nur in viel geringerem Umfang als im Vorweg erwartet Mandate gewinnen. Man hätte annehmen können, dass die stärkste Oppositionspartei in viel deutlicherem Umfang von der verbreiteten Unzufriedenheit mit Mr Camerons Koalitionsregierung profitieren würde. Diese Annahme hat sich zum derzeitigen Stand nicht bestätigt und es ist unwahrscheinlich, dass sich daran bis zur vollständigen Auszählung etwas Wesentliches ändern wird.
Außerdem ist davon auszugehen, dass der Trend aus den Kommunalwahlen sich auf EU-Ebene nicht nur fortsetzen, sondern verstärken wird. Dort entscheidet nicht die einfache Mehrheit, wie sonst in den Wahlkreisen („first past the post“), sondern auf EU-Ebene genügt die prozentuale Verteilung über Listenplätze um die Zusammensetzung des Parlamentes zu bestimmen.
Mr Farage, UKIP-Vorsitzender, sieht sich entsprechend seinen Äußerungen im Frühstücksfernsehen bereits als „Fuchs in Hühnerstall von Westminster“; eine offensichtliche Anspielung auf den Amtssitz des britischen Parlamentes im Palast zu Westminster.
Aus der Tory-Party wurden Stimmen laut, mit UKIP zu kooperieren um die konservativen Kräfte besser zu bündeln. Seitens Mr Camerons Juniorpartner, der LibDems, kam es jedoch bereits zu Forderungen nach einer Allianz mit Labour. Im Hinblick auf die Allgemeinen Wahlen 2015 ist es anscheinend unklar, für welche Überraschungen das neue Vier-Parteien-Spektrum anderenfalls gut wäre.
Allerdings hat die Koalitionsregierung anlässlich ihres verbleibenden Jahres in der Regierung wenig Grund für Optimismus.
Wahlen unter Polizeischutz
Bereits während der Stimmabgabe hatte die Wahlkommission bekannt gegeben, das in allen 125 Wahllokalen des Wahlkreises Tower Hamlets in der britischen Hauptstadt nur unter Polizeischutz gewählt werden kann. Für die Metropolitan Police war dies der bislang größte Einsatz dieser Art in ihrer 185-jährigen Geschichte.
Hinsichtlich möglicher Störungen wie der Belästigung und Einschüchterung von Wählerinnen und Wählern sowie hinsichtlich der Verhinderung von Wahlbetrug hatte die Wahlkommission insgesamt 16 Wahlkreise als „gefährdet“ eingestuft.
http://www.telegraph.co.uk/news/politics/local-elections/10848726/Police-patrol-high-risk-polling-stations-in-crackdown-on-voter-intimidation.html
Tower Hamlets ist ein Bezirk, in dem es in den vergangenen Jahren immer wieder zu Übergriffen auf Wählerinnen und Wähler kam. Dort stellt die Labour-Party 41 von 50 Abgeordneten und somit eine 80%-Mehrheit. Dieses Kommunalparlament repräsentiert in der östlichen Londoner Innenstadt rund 250.000 Menschen auf kommunaler Ebene.
Wegen der allgemeinen Skepsis angesichts der Briefwahlresultate aus vergangenen Jahren musste Tower Hamlets auf Drängen der Wahlkommission in diesem Jahr ein angeblich wasserdichtes Verfahren einführen, um die Identität der Briefwähler festzustellen und eine mehrfache Stimmabgabe auszuschließen.
Vom gestrigen Wahldurchgang wurden dennoch Unregelmäßigkeiten berichtet. So waren Wahlzettel nach Augenzeugenberichten in einigen Wahllokalen so gefaltet, das Teile davon unlesbar waren und Kandidaten scheinbar nicht kandidierten; die Wahlkommission will derartige Berichte innerhalb von 24 Stunden prüfen.
Nach dem geltenden Wahlrecht muss jeder Stimmzettel völlig glatt sein. Am Wahltag kann zudem jede öffentliche politische Willensbekundung im Umkreis von Wahllokalen in Haft enden.
Zudem lagen in vielen Wahlkabinen nur Bleistifte zum Markieren der Unterlagen aus; die Verwendung selbst mitgebrachter Kugelschreiber wurde aber geduldet. Im Vorwege der Auszählung der EU-Stimmen am Sonntag trug auch dieses Detail nicht unbedingt zur Vertrauensbildung bei.
In Umfragen der EU-freundlichen Organisation „pollwatch“, durchgeführt von Burson-Marsteller, führte zuletzt die UK Independence Party die Umfragen vor der Labour Party und den weit abgeschlagenen Tories an.
Es war seit 1975 immer so, dass die jeweilige Oppositions-Partei die EU-Wahlen für sich entscheiden konnte. Nur scheint diese Rolle nach Lage der kommunalen Dine mit der Labour-Partei nicht optimal besetzt zu sein.
haolam

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