Friday, June 26, 2015

Schönredner

In der vergangenen Woche besuchte Bundestagspräsident Norbert Lammert im Rahmen der Feierlichkeiten zum 50. Jubiläum der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und (West-)Deutschland den jüdischen Staat und hielt in der Knesset, dem israelischen Parlament, eine Rede, der in vielen Punkten durchaus zuzustimmen war.
Dabei handelte es sich freilich oftmals um Standardsätze, die man so oder so ähnlich schon oft von deutschen Politikern gehört hat, die daher eben auch nicht aufhorchen ließen. Erklärte der Redner etwa, »Antisemitismus, wo immer er auftritt, ist nicht akzeptabel; in Deutschland ist er unerträglich«, so wiederholte er nur, was vor ihm schon andere betont hatten.
Allerdings offenbaren solche Sätze nur allzu oft die Erbärmlichkeit derer, die sie vortragen. Wie glaubwürdig beispielsweise ist denn der Chef der Bundestagsverwaltung mit seiner Feststellung, Antisemitismus in Deutschland sei »unterträglich«, wenn vom Bundestag geförderte »palästinensische« und libanesische Studenten ungestraft ihren Haß auf Juden ausleben dürfen?
»Die arabischen Studentinnen erklärten in ihrem Brief [..], dass sie zum Zeitpunkt ihrer Bewerbung für das Programm des Bundestags zwar von der Teilnahme israelischer Studenten gewusst hätten. Jedoch sei nie die Rede davon gewesen, dass sie mit den Israelis auch öffentlich auftreten müssten. ›Wenn wir das gewusst hätten, hätten wir uns nicht beworben‹, heißt es in dem Schreiben.«
»Kommentieren«, schrieb der Tagesspiegel später, der sich als vermutlich einziges deutsches Medium mit dem »Vorfall« beschäftigte, »kommentieren« wolle die Bundestagsverwaltung »den Eklat nicht«. Dort nennt Norbert Lammert Antisemitismus »unerträglich«, doch da, wo es nötig wäre, schweigt er, bleibt antisemitisches Verhalten amtlich unkommentiert.
Nicht allzu genau hinschauen sollte man auch bei einer Ankündigung, die Norbert Lammert bei seinem Auftritt vor der Knesset machte: »Wir werden [..] in Berlin im kommenden Jahr eine Konferenz der Interparlamentarischen Koalition zur Bekämpfung des Antisemitismus (ICCA) ausrichten«. Das soll wohl suggerieren, »wir« nähmen Antisemitismus ernst.
Doch was bringt eine vom Bundestag ausgerichtete Konferenz über Antisemitismus, wenn gleichzeitig ausgerechnet eine vom gleichen Bundestag beauftragte Experten-Kommission zum Zeitpunkt der Veranstaltung noch mit der Erforschung des Antisemitismus in Deutschland beschäftigt sein und ihre Erkenntnisse voraussichtlich erst ein Jahr später vorlegen wird?
Wäre es nicht besser, erst die Ergebnisse der Arbeit dieses Gremiums abzuwarten und dann eine internationale Konferenz zu veranstalten, auf der sie in einem angemessenen Rahmen diskutiert werden könnten? Doch daran dachte offenbar niemand. Aber auch solche »Versehen« sind geeignet, Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Worte Norbert Lammerts zu wecken.
Ernsthaftigkeit ist es, die beim Thema Antisemitismus angebracht wäre, Glaubwürdigkeit. Norbert Lammerts Knesset-Auftritt hat eher nicht dazu beigetragen, sie zu mehren. Denn er heuchelte Betroffenheit und Engagement doch bloß. Ein gewisses Problembewußtsein mag zwar vorhanden sein. Darauf, daß den Worten Taten folgen, sollte man jedoch nicht wetten.
 tw24

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