Wednesday, September 02, 2015

Mitleidstheater mit Lastwagen-Feeling

Die Inszenierung solchen Mitleidtheaters ist in den westlichen Gesellschaften zum Standardverfahren öffentlicher Kommunikation geworden, ganz besonders in Deutschland mit seiner traditionell irrationalen Erregungskultur. Hier ist es sogar möglich, daß ein an sich renommiertes Stadttheater, nämlich das Schauspielhaus Bochum, die einstige Wirkungsstätte von Peter Zadek, Claus Peymann, Leander Haußmann und Matthias Hartmann (um nur einige seiner Direktoren zu nennen) zu folgender Kunstaktion einlädt:
Ein Lastwagen vom selben Typ wie derjenige, in dem vor einer Woche die verwesenden Leichen von 71 Flüchtlingen lagen, wird auf dem Vorplatz des Schauspielhauses für das verehrte Publikum geöffnet. „Kommen Sie vorbei und machen Sie mit“, heißt es in der Einladung, es werde „die Möglichkeit geben, den LKW zu betreten und für einen kurzen Moment zu erleben, wie es sich anfühlt, wenn sich die Türen schließen.“
Das mit dem kurzen Moment ist nett gesagt, darauf kommt es in diesem Fall tatsächlich an. Die marktschreierische Ausschlachtung eines entsetzlichen Verbrechens geht hier mit dem lässigen und zugleich maßlos gehässigen Gestus des Aufklärens und Zeichen-Setzens einher. Der Fluggesellschaft Germanwings würde man es vermutlich verübeln, wenn sie in einem Anfall von makabrem Marketing darauf hinwiese, daß sie noch etliche A320-Maschinen besitze, in denen man der Aura des durch einen wahnsinnigen Piloten ausgelösten Absturzes nachspüren könne. Bloß bei Theaterleuten gehört diese atemberaubende Verbindung zwischen der Geilheit des Sensationellen und der Gutheit der Aktionisten zum Alltagsgeschäft. Die können sich ja auf Friedrich Schillers Formulierung „des Vergnügens an tragischen Gegenständen“ berufen.
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