Wednesday, October 28, 2015

Guter Populismus, schlechter Populismus

„Wer hetzt, der fliegt“, sagt jetzt der neue IG-Metall-Chef Jörg Hofmann, weil er es richtig findet, dass Mitarbeiter, die eine aus Unternehmenssicht falsche Gesinnung äußern, ihren Arbeitsplatz verlieren. Auch dann, wenn sie diese falsche Gesinnung nicht am Arbeitsplatz vertreten, sondern in ihrer Freizeit öffentlich beispielsweise in sozialen Netzwerken. Aber weil es ja hier um Äußerungen geht, die als rassistisch und fremdenfeindlich bewertet werden, ist „wer hetzt, der fliegt“ auf alle Fälle guter Populismus. Etwas anderes kann man einem Spitzengewerkschafter auch nicht zuschreiben, auch wenn er damit seine Verachtung für Grund- und Arbeitnehmerrechte demonstriert.
Denn wer hat die Definitionshoheit, ab wann ein mit dem Arbeitsplatzverlust zu sanktionierender Rassismus beginnt? Sind es die Tugendwächter, die aktuell auch schon fundierte Islamkritiker wie Hamed Abdel Samad als Nazi brandmarken und zum Protest gegen ihre Auftritte aufrufen?  Wo sind wir angekommen, wenn schon beim Vorsitzenden der weltweit größten Einzelgewerkschaft die Grundkenntnisse über die Prinzipien eines demokratischen Rechtsstaats nicht mehr abrufbar sind. Gibt es vielleicht noch ein paar Gewerkschafter, die den Vorsitzenden daran erinnern können, dass Arbeitnehmervertreter früherer Generationen dafür gekämpft haben, dass niemand für legales Handeln in seiner Freizeit arbeitsrechtlich sanktioniert werden darf?
Gibt es vielleicht noch jemanden, der ihm erklären kann, dass Freiheit nichts wert ist, wenn sie nicht für alle gilt, solange sie nicht die Freiheit eines anderen einschränken? Und dass es für den Fall der Grenzüberschreitung und notwendigen Sanktionen das Strafrecht und den Rechtsweg gibt? Ansonsten muss man auch dumme und mitunter üble Meinungsäußerungen aushalten. Natürlich ist es legitim, einen Mitarbeiter zu entlassen, der den Betriebsfrieden stört, aber Hofmann wurde explizit nach Mitarbeitern gefragt, die sich „im Internet über Twitter oder über Facebook“ rassistisch und fremdenfeindlich geäußert hätten, als er antwortete: „Wer hetzt, fliegt! Und das muss auch jedem klar sein.“
Ein Verweis auf Strafanzeigen, ordentliche Gerichte und den Rechtsweg fiel ihm hingegen nicht ein – vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gar nicht erst zu reden. Vielleicht erinnert sich der Genosse Hofmann – als guter Gewerkschaftsfunktionär ist er natürlich in der SPD – noch an das früher oft gebrauchte Zitat: „Die Freiheit stirbt zentimeterweise“. Vielleicht schenkt ihm eine Erleuchtung doch noch den Gedanken, auf welch abschüssigen Weg er sich begibt, wenn er im Sinne des Guten den Arbeitsplatzverlust als Ersatz-Strafe für ein Gesinnungsvergehen sanktioniert. Was sich heute gegen vermeintlichen Rassismus richtet, kann morgen schon zur Eindämmung ganz anderer missliebiger Haltungen eingesetzt werden. Nicht ohne Grund müssen deshalb Grundrechte für alle verteidigt werden, auch für Idioten.
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