Thursday, February 09, 2017

Präfaktisches Wissen in postfaktischer Zeit

Früher hießen Fake-News noch Falschnachrichten, Lügen oder Propaganda. Damals galt es als selbstverständlich, dass sich professionelle Journalisten bei jeder Recherche selbst darum kümmerten, keinen falschen oder gefälschten Informationen aufzusitzen. Zumindest war das in den Ländern so, in denen Meinungs- und Pressefreiheit herrschte. Redakteure hinterfragten die Arbeit der Kollegen kritisch und jeder Verleger und Senderverantwortliche akzeptierte, dass Recherchen Zeit und Mühe, also auch Geld kosten.
Das ist lange her. Über viele Jahre wurde in den Redaktionen „optimiert“, also vor allem bei der Erstellung der journalistischen Inhalte gespart. In vielen Bereichen sind für freie Kollegen gründliche Recherchen der pure Luxus, denn sie können sie kaum oder gar nicht abrechnen. Auch in den öffentlich-rechtlichen Anstalten sollten die Recherchen billiger werden, obwohl doch gerade diese Sender Gebührenerhebungen damit begründen, eine journalistische Kultur zu finanzieren, die sich rein betriebswirtschaftlich nicht darstellen ließe.
Doch wo einst verschiedene Redaktionen mit ihren Recherchen im gegenseitigen Wettbewerb standen, gibt es jetzt Rechercheverbünde, die von privatrechtlichen Verlagshäusern und gebührenfinanzierten Sendern in einer bedenklichen Grauzone gemeinsam betrieben werden. Außerhalb solcher Recherche-Reservate ist dieser Teil des journalistischen Kerngeschäfts ziemlich an den Rand gedrängt worden. Aber nun gilt es plötzlich, Fake-News zu entlarven und zu bekämpfen? Wie soll man denn falsche Nachrichten anders aufspüren, als durch Recherche?
Man könnte auf gesunden Menschenverstand hoffen. Man könnte darauf warten, dass Sender-Verantwortliche sagen, man hätte überall sparen können, nur nicht am eigentlichen Kerngeschäft, den Sendeinhalten. Man könnte daran glauben, dass einfach mehr Geld investiert wird, um den Kollegen, die das Programm füllen, wieder gründlichere Recherchen zu ermöglichen. Aber das ist viel zu leicht gedacht. Lieber schafft man – so ein Sender ist schließlich irgendwo auch eine Behörde – eine neue Abteilung, pardon, die erste „öffentlich-rechtliche Anti-Fake-News-Einheit“, wie der Fachdienst MEEDIA schreibt. Die entsteht jetzt im Bayerischen Rundfunk (BR) und heißt offiziell „BR-Verifikation“. Schöner neuer Name für etwas, das eigentlich zum beruflichen Fundament eines jeden redaktionellen Medienarbeiters gehören sollte.
Irgendwie muss dieser Gedanke auch den BR-Informationsdirektor Thomas Hinrichs gestreift haben, als er die Notwendigkeit von „BR-Verifikation“ erklären soll. „Fakten zu recherchieren, zu verifizieren und fehlerfrei darzustellen, gehört selbstverständlich traditionell zur Kernaufgabe eines jeden Journalisten, das ist unser Tagesgeschäft“, gesteht er ein. Doch gegen Fake-News müsse es die neue Abteilung geben, denn die würden „oft mit dem Ziel, einzelne Menschen oder Bevölkerungsgruppen zu diffamieren und die politische Meinungsbildung zu beeinflussen“ produziert und das seien neue Herausforderungen.
Leider stellen die Kollegen von MEEDIA nicht die Frage, was denn daran so neu ist, dass man eine neue Einheit braucht. Mit welchem Ziel wurden denn Falschnachrichten, Lügen und Propaganda bis dato lanciert und verbreitet? Ging es da um etwas anderes, als die Beeinflussung der Medienkonsumenten?
Nein, das ist nicht neu, aber die Mittel gegen Fake-News sind heute andere. Ging es früher darum, mit Recherche und eigenem Denken Zusammenhänge herzustellen und an der richtigen Stelle zu hinterfragen und auch neue Quellen und Fakten aufzuspüren, um eine Geschichte entweder zu bestätigen oder zu widerlegen, so übernimmt das heute die Technik:
„Im Kampf gegen Fake News soll die neue Browser-Erweiterung „Factfox“ – die an eine agil wachsende Datenbank angebunden ist – zusätzlich eine Stütze sein. Momentan befindet sich das Tool samt Datenbank bei BR24, dem aktuellen News-Angebot des BR, in der Testphase und wird im laufenden Betrieb in Zusammenarbeit mit Fachredaktionen des BR aufgebaut.
Ein möglicher Anwendungsfall laut BR-Sprecher: BR24 berichtet über aktuelle Flüchtlingszahlen, woraufhin sich Kommentare wie „Warum kommen jetzt schon wieder so viele Flüchtlinge?“ ansammeln. Die Browser-Erweiterung würde den Redakteuren dann auf Knopfdruck ermöglichen, die Zahlen „maßgeschneidert und aktuell abzurufen und den Kommentaren entgegen zu halten“.
Interessant ist, dass der Autor dieser Zeilen schon weiß, dass künftig abgerufene Zahlen passend sein werden, um sie den zu erwartenden Kommentaren entgegen zu halten. Das ist präfaktisches Wissen in postfaktischen Zeiten. Werden  so demnächst die Fakten festgelegt? Donald Trumps Pressesprecher hat die Sprache ja um „alternative Fakten“ bereichert. Zu uns passen aber „alternativlose Fakten“ besser. Und die sind in einer feststehenden Abteilung schon ganz gut aufgehoben. Da muss nicht wie früher jeder Journalist selbst recherchieren. Am Ende kommt der nur auf andere Ergebnisse. Das könnte die Zuschauer vielleicht beunruhigen.
Alle Zitate aus: http://meedia.de/2017/02/08/erste-oeffentlich-rechtliche-anti-fake-news-einheit-bayerischer-rundfunk-testet-br-verifikation/
 http://sichtplatz.de/?p=7761

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