Monday, March 06, 2017

Fake-Demokratie ist schlimmer als Fake News

Im Westen entspinnt sich eine Panik wegen „Fake News“. Politik, Medien und Unternehmen wollen gegen das Phänomen vorgehen. Ihre Ängste beruhen jedoch auf falschen Prämissen. Anders als von den politischen und medialen Eliten behauptet, lag der Grund dafür, dass 17,4 Millionen britische Wähler für den Brexit votiert haben, nicht darin, dass die Zeitung Daily Express Falschbehauptungen wie „EU-Austritt steigert den Wert von Immobilien“ veröffentlicht hat. Und als 63 Millionen Amerikaner Donald Trump zum Präsidenten gewählt haben, kam das nicht daher, dass irgendwo in Osteuropa zwielichtige Blogger Nachrichten wie „Der Papst unterstützt Trump“ erfunden haben. Auf je eigene Art sind diese Wahlergebnisse Revolten gegen das Establishment. Sie resultieren aus einer Ablehnung der kulturellen Werte tonangebender Kreise durch jene Massen, die als „Erbärmliche“ und Schlimmeres gebrandmarkt wurden. Die Panik um Fake News und den Anbruch eines vermeintlich „postfaktischen“ Zeitalters ist ein verzweifelter Versuch des Establishments, sich nicht mit der wahren Bedeutung dieser Revolten auseinandersetzen zu müssen. Stattdessen verbreiten die bezwungenen Eliten ein falsches Narrativ, demnach Millionen leichtgläubiger Wähler lügenden Demagogen und deren Fake-News-Propaganda auf den Leim gegangen seien. Sie wollen die Kontrolle über die öffentliche Debatte zurückerlangen, indem sie das Internet säubern, Inhalte auf Webseiten wie Facebook kontrollieren und somit die freie Meinungsäußerung einschränken – alles im Namen der „Verteidigung der Demokratie“.Dabei besteht die größte Gefahr für die westliche Demokratie nicht aus Fehlmeldungen, die von ausländischen Akteuren oder Teenagern fabriziert werden. Weitaus gefährlicher sind die Teile im westlichen Establishment, die die Wähler umerziehen wollen bei dem, was sie wissen und glauben, und dazu faktenprüfende Instanzen einführen, um demokratische Debatten einzugrenzen. Die Fake-News-Panik kann auf mehreren Ebenen als irreführend enthüllt werden. Zum Beispiel sind Fake News kein völlig neues Phänomen, sondern mindestens so alt wie das Trojanische Pferd. In der Neuzeit nutzen nicht nur der russische Autokrat Putin und seinesgleichen Fake News, um ihre Kriege zu rechtfertigen. Auch westliche Staaten haben ähnliche Unwahrheiten verwandt, um ihre Bestrebungen in größeren Konflikten zu unterstützen – von den pornografischen Fantasien in Hinblick auf deutsche Soldaten, die im ersten Weltkrieg belgische Nonnen vergewaltigt und auf Bajonetten aufgespießt haben sollen, bis zu den Fiktionen über irakische Massenvernichtungswaffen. Neu ist nicht das Verfälschen von Nachrichten selbst, sondern dass das Monopol dafür dank des Internets nicht mehr bei den Regierungen und den ihnen wohlgesonnenen Medien liegt. Die Annahme, dass Fake News aufklärerische Werte wie Wahrheit und Vernunft von Außen unter Druck setzen, verdeckt das Ausmaß, in dem diese Werte bereits von Innen – durch die westlichen Kultureliten – in Frage gestellt werden. Postmoderne Akademiker verkünden, dass es eine reine Wahrheit gar nicht geben kann; Nachrichtenmedien setzen auf eine emotional gehaltene Berichterstattung, die sich Objektivität nicht einmal mehr zum Ziel setzt; und die vielen Vertreter der Identitätspolitik messen der Frage, wie man sich bei etwas fühlt –insbesondere, wenn man sich gekränkt oder schikaniert sieht –, mehr Wert bei als offenbar vernachlässigbaren Dingen wie Fakten.Solche einflussreichen westlichen Stimmen haben wesentlich dazu beigetragen, die Werte der Aufklärung zu untergraben, lange bevor irgendjemand im ehemaligen Ostblock damit angefangen hat, falsche Nachrichtenmeldungen zu posten. Mantraartig wiederholen Politiker und prominente Kommentatoren diesseits und jenseits des Atlantiks, dass Fake News eine Gefahr für unsere Demokratie seien. Dadurch entblößen sie sich nur als Verteidiger einer Form von Scheindemokratie.
https://www.novo-argumente.com/artikel/fake_demokratie_ist_schlimmer_als_fake_news

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