Monday, April 17, 2017

Sprachregelungen in den Medien – die Anmaßung des journalistischen Moralismus

Hier ein Auszug aus einem Traktat von Kaus-Michael Kodalle, Mitte der 70er Dozent für Religionsphilosophie und Sozialethik an der Universität Hamburg, Fachbereich Evangelische Theologie, wo ich damals als junger Student der ev. Theologie, seinem Seminar über Søren Kierkegaard beiwohnen durfte:


Spannend ist es, der Frage nachzugehen, wie in den Massenmedien durch Selektion und vor allem auch durch eine tendenziös wertende bzw. abwertende Semantik die jeweiligen Mitteilungen eingekleidet und zugerichtet werden.
Die abwertende Verwendung des Begriffs „Populismus“ steht hier pars pro toto: Ein Begriff, der in der linken politischen Theorie Lateinamerikas eine beachtliche Rolle gespielt hat und der früher einmal zur neutralen, beschreibenden Kennzeichnung der in einer Massendemokratie, insbesondere in Wahlkampfzeiten, unvermeidlichen abkürzenden Vereinfachung komplexer Sachverhalte taugte, ist zu einem denunziatorischen Begriff mutiert, der für illegitim erachtete normative Auffassungen aus dem rechten politischen Spektrum charakterisieren soll. So dient dieser Begriff dann zur Verstärkung entsprechender widerständiger Gefühle und Einstellungen.
Die Berichterstattung über die Vorgänge in unseren Gesellschaften steckt voller Beispiele für die Spannung zwischen lebensweltlichen, als unvernünftig angesehenen Verhaltensweisen und den für Menschen rechtlich unabweisbar geltenden Ansprüchen und Auffassungen.
Beispiel:
Wenn es richtig ist, dass die Übergriffe in der Kölner Silvesternacht 2015/2016 überwiegend von Männern nordafrikanischer Herkunft ausgegangen sind, dann ist es pragmatisch klug und richtig, ein Jahr später zum gleichen Anlass massenweise anreisende, teilweise aggressiv auftretende Nordafrikaner besonders akribisch zu kontrollieren und zu “begleiten”. Die Polizei musste sich daraufhin von bestimmten politischen Gruppen/Parteien/Menschenrechtsorganisationen rassistisches Vorgehen (racial profiling) vorhalten lassen. Die Massenmedien verstärkten diese Vorwürfe im Rahmen ihrer Berichterstattung.
Das politisch korrekte Paradigma ist das des universalen Menschenrechtsethos. Der Widerstand gegen diese “Logik” bleibt weithin unartikuliert und waltet als dumpfes Unbehagen, das sich dann bei Wahlen in der Zustimmung zu Protestbewegungen und Protestparteien artikuliert.
Es war letztlich die rhetorisch-hypermoralistische Dogmatisierung und Immunisierung der “Willkommenskultur” durch die Medien, die jede kritische Stimme unter Neonazi-Verdacht stellte und – politisch extrem folgenreich – die Regierung daran hinderte, eine mit moralischen Argumenten begründete Ausnahmesituation nach wenigen Tagen zu beenden und eine wirksame und effektive Kontrolle über die Staatsgrenzen unter Einsatz der Bundespolizei wiederherzustellen. Die – angeblich – “Verantwortlichen” scheuten vor dem Sturm der Entrüstung, den die Bilder von dramatischen Szenen an der deutschen Grenze entfesselt hätten, zurück und wagten es nicht, durch klare Entscheidung den Ausnahmezustand zu beenden. Das überließ man – sozusagen politisch parasitär – dankbar den Ländern auf der Balkanroute, die man aber zugleich – mediengerecht mit Blick auf die deutsche Öffentlichkeit – für ihre, die “westlichen Werte” verletzende Politik kritisierte.
Wird die hier beschriebene kulturell-geschichtliche Relativität des Normativen ignoriert, entsteht jenes moralische Überlegenheitsgefühl, welches in der Beurteilung der innereuropäischen oder transatlantischen “Andersartigkeiten” im Blick auf das so genannte “westliche Wertesystem” die fremden moralisch-politischen Prioritäten nicht zu verstehen vermag, sondern sich in der moralischen eigenen Rechthaberei gefällt. Kaum ein Bericht im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ist nicht durchsetzt von moralischen Urteilen und Aburteilungen anderer Nationen, die offenbar sämtlich permanent an irgendeinem Punkt gegen die Menschenrechte verstoßen.
Die Berichterstattung über den Brexit böte da eine Fülle von Beispielen. Für schlechthin unvorstellbar, ja irrsinnig hielt man die Möglichkeit, dass eine Nation um ihrer kulturellen Identität willen sich für einen Weg entscheidet, der aus einem größeren Verbund zurückführt in eine nationale Welt der kulturellen und politischen Identität, auch wenn dies zumindest extrem ökonomisch riskant, wenn nicht gar absehbar nachteilig ist – als stünde das liberale Modell des homo oeconomicus, lebensweltlich betrachtet, nicht längst auf einem Abstellgleis. Dass Menschen zwar nach Vorteilen für sich immer streben werden, aber von Fall zu Fall Entscheidungen treffen, die nicht dem rein ökonomischen Erfolgskalkül folgen, erschien in der deutschen Berichterstattung als absolut weltfremd.
Die Berichterstattung über Trump wäre ein anderes Feld für entsprechende semantische Untersuchungen.
 http://www.theeuropean.de/klaus-michael-kodalle/12070-kampf-ums-wertesystem-ueber-missverstaendnisse

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