Friday, October 20, 2017

Die neue Bourgoisie der linken Gewinner der Globalisierung

Nachdem nicht nur die SPD, sondern auch die Partei Die Linke (PdL) bei der Bundestagswahl in hohem Maße Wähler an die AfD verloren hat, ist dort in der Frage der Flüchtlings- und Zuwanderungspolitik vor einigen Tagen ein offener „Kampf zweier Linien“ zwischen Parteiführung und Fraktionsführung entbrannt.Ausgetragen wird er zwischen Katja Kipping und Sarah Wagenknecht, den beiden Frontfrauen der Partei. Was manchem als eine Art Zickenkrieg von zwei ebenso ehrgeizigen wie machtbewußten Politikerinnen vorkommen mag, ist in Wahrheit jedoch Ausdruck eines Richtungsstreits, der alle linken Parteien in Europa entweder schon erfasst hat oder noch erfassen wird. Dass er im Unterschied zur SPD von der PdL inzwischen sogar öffentlich ausgetragen wird, spricht für die PdL und gegen die SPD. Deren Führung zieht es bislang (noch) vor, sich nicht offen mit den Ursachen ihrer Wählerverluste bei den einfachen Arbeitern und Angestellten sowie den Arbeitslosen auseinanderzusetzen.
In einem Interview mit der WELT vom 6. Oktober hat der französische Geograph und Gesellschaftskritiker Christophe Guilluy den Zustand der linken Parteien in Deutschland folgendermaßen beschrieben: „Soziale Gerechtigkeit kommt bei der Unterschicht nicht mehr an. Die deutsche Linke ist wie die französische: sie erreichen die Leute nicht mehr. Das Problem der Linken in den westlichen Ländern allgemein ist, dass sie die Schwierigkeiten beim Zusammenleben mehrerer Kulturen nicht wahrhaben wollen. Sie betreibt Realitätsverweigerung, ist in Wahlzitadellen gefangen und außerstande, außerhalb der eigenen Wahlklientel zu denken. Sie spricht zu den linksliberalen Großstadtbürgern, den Beamten und vielleicht zu ein paar Einwanderern.“Guilluy beschreibt in seinem neuesten Buch (La Crépuscule de la France en haut), das leider noch nicht ins Deutsche übersetzt ist, die linken Parteien als Teil einer „neuen Bourgoisie“, die sich im Zuge der Globalisierung in den großstädtischen Metropolen herausgebildet hat und sich im wesentlichen aus den Gewinnern globalisierter Produkt- und Finanzmärkte zusammensetzen. Zu dieser neuen „herrschen Klasse“ zählen keineswegs nur Unternehmer und Topmanager, sondern auch viele Beschäftigte der global tätigen Unternehmen und ihres wirtschaftlichen wie gesellschaftlichen Umfelds, etwa in den Medien oder den Wissenschaften. Sie vertritt laut Guilluy nicht nur in Fragen der Produkt- und Finanzmärkte, sondern auch in Fragen der Arbeitsmärkte eine strikt neoliberale Haltung. Ihr Credo ist die weltoffene, vielfältige und multikulturelle Gesellschaft, zu der jeder Zutritt erhält und an der jeder teilhaben kann, der dies wünscht. Ihr ökonomischer Liberalismus verschmilzt auf diese Weise mit einem kulturellem Liberalismus, dessen zeitgenössische Wurzeln sowohl personell wie ideologisch in der links-libertären 68er-Bewegung liegen.Der „neuen Bourgoisie“ gegenüber stehen gemäß Guilluy die Verlierer der Globalisierung, die „Classes populaires“ (wörtlich übersetzt: Volksklassen). Sie können sich aufgrund der horrend steigenden Immobilienpreise und Mieten ein Leben in den prosperierenden großstädtischen Metropolen nicht mehr leisten und werden deswegen in deren Randbezirke und auf das flache Land abgedrängt. Dort müssen sie mit schlecht bezahlten, meist prekären Jobs oder als Arbeitslose ein Leben in der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen „Peripherie“ führen. Die Globalisierung ist für sie eher Bedrohung als Verheißung und signalisiert ihnen laut Guilluy „dass die Welt ohne sie, ohne Arbeiter, ohne Angestellte funktioniert. Gleichzeitig verlangt man von diesen Personen, dass sie den Mulikulti-Traum der ‚United Colors of Benetton‘ träumen. Das ist ungeheuer hart und von großer Arroganz.“Ideologisch verbrämt wird die Arroganz der „neuen Bourgoisie“ mit Hilfe einer „höheren Moral“ der allgemeinen Menschenrechte, in deren Namen die unteren Gesellschaftsschichten durch den Import ausländischer Arbeitskräfte einem äußerst brutalen Wettbewerb an den Arbeits- und Wohnungsmärkten ausgesetzt werden. Verkünder dieser „höheren Moral“ sind nicht zuletzt die linken Parteien, die sich mit Nachdruck für einen grenzenlosen Zuzug von Arbeitskräften aus den Armutsregionen dieser Welt nach Europa einsetzen. Damit machen sie faktisch gemeinsame Sache mit den global tätigen Unternehmen, die gegen eine Vergrößerung des Arbeitskräfteangebots durch potentielle Billigarbeitskräfte aus naheliegenden Gründen noch nie etwas einzuwenden hatten, solange ihnen selbst dadurch keine Nachteile entstehen.Nachteilig ist die grenzenlose Zuwanderung lediglich für die unteren und mittleren Arbeiter- und Angestelltenschichten, soweit sie nicht Teil einer „Asylindustrie“ sind, die von der illegalen Einwanderung unmittelbar profitiert. Den Interessen eines großen Teils der Arbeitnehmerschaft wird auf diesem Wege nun ausgerechnet von den Parteien zuwidergehandelt, die sich die Vertretung der Interessen der „kleinen Leute“ auf die Fahne geschrieben haben. Das gilt in Deutschland nicht nur für die SPD, sondern auch für die PdL. Beide verlieren dadurch in Teilen ihrer bisherigen Anhängerschaft erheblich an Glaubwürdigkeit. Dieser Verlust wird mit dem Argument in Kauf genommen, die neoliberalen Konzepte der offen Grenzen und der multikulturellen Vielfalt sei Kernbestandteil „linker“ Politik. Diese dürfe keinen Unterschied zwischen den sozial Benachteiligten im eigenen Land und den sozial Benachteiligten auf der ganzen Welt machen. Vielmehr gehe es darum, die Interessen aller Benachteiligten dieser Welt zu vertreten. Dies muss nach Ansicht der PdL zwar vorrangig dadurch geschehen, dass Fluchtursachen in den Herkunftsländern, etwa durch Entwicklungshilfe oder neue Handelsbeziehungen, bekämpft werden. Solange derlei Maßnahmen aber nicht von Erfolg gekrönt sind, gilt es, möglichst viele Kriegs- und Armutsflüchtlinge in Deutschland aufzunehmen und ihnen ein dauerhaftes Bleiberecht zu verschaffen.
https://www.tichyseinblick.de/meinungen/die-neue-bourgoisie-der-linken-gewinner-der-globalisierung/

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