Thursday, July 19, 2018

Die kalte Abwicklung des Verfassungsstaates

Der „Kompromiss“, den die Bundesregierung jetzt für die Migrationspolitik gefunden hat, ist keine Lösung. Denn der entscheidende Punkt, das Recht auf unmittelbare Zurückweisung von Migranten an der Grenze, ist nicht wiederhergestellt. Dieser Punkt wurde verdrängt, indem etwas ganz anderes in den Vordergrund gestellt wurde: die Alternative zwischen einer „europäischen“ und einer „nationalen“ Lösung. Die Berufung auf Europa soll den Eindruck erwecken, hier stände eine besonders große und starke Lösung in Aussicht. In Wirklichkeit ist ein europäisches Hoheitsrecht auf Zurückweisung gar nicht vorgesehen. Es kommt in den europäischen Verordnungen nicht vor. Die „europäische Lösung“ ist eine Mogelpackung, die den schwachen Inhalt der „Lösung“ versteckt. Auch Merkels Bezeichnung „nationale Lösung“ ist eine Mogelpackung. Denn es geht nicht um ein nationales Reinheitsgebot, sondern um die souveräne Entscheidung, welche Migranten und wie viele ein Land aufnimmt. Man sollte sich von der betont einfältigen Sprache Merkels („Zusammenhalten“), die so tut, als spreche sie nur Selbstverständliches aus, nicht täuschen lassen. Wenn die deutsche Kanzlerin bei einem so grundlegenden Vorgang wie der Massenmigration ein Primat europäischer Lösungen erklärt, stellt das einen Angriff auf die Verfassungslage in Europa dar. Diese Lage war nach dem Zweiten Weltkrieg über Jahrzehnte von einem großen „und“ gekennzeichnet: „Europa und die Nationen“. Merkel (und Macron) machen aus diesem „und“ nun ganz unverblümt ein „oder“. Entweder eine europäische Lösung oder eine nationale Lösung. Das bedeutet „Europäisieren“. Es duldet keine unabhängige Größe neben sich (wir kennen das vom „politisieren“ oder „modernisieren“). Europäisieren bedeutet ein Durch-Europäisieren. Das soll jetzt in der Migrationskrise durchexerziert werden.
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