Thursday, August 24, 2006

Daniel Dockerill und Ralf Iden Entgleist

Stellungnahme zur Erklärung, die der Bundesvorstand der WASG in seiner Sitzung vom 29. und 30. Juli in Fürth zum gegenwärtigen Nahostkrieg beschlossen hat
Die Erklärung (siehe http://www.w-asg.de /28+M52eb 9cebdb0.html) stellt - sprachlich wie inhaltlich - eine bemerkenswerte Fehlleistung dar. Und das ist nur die wohlwollende Variante der Bewertung.
Gerade die besondere Verantwortung der Bundesrepublik gegenüber Israel", schreibt der Bundesvorstand, lege "eine differenzierte, aber klare Position ... nahe". Bei der Differenzierung jedoch, die er selbst vornimmt, sind ihm offensichtlich die Maßstäbe völlig verrutscht, und heraus kommt statt einer "klaren Position" ein peinliches Gestammel.
"Israels Krieg gegen den Libanon" sei "in jeder Form abzulehnen", schreibt der Bundesvorstand. Und: "Ebenfalls zu verurteilen" seien "die Raketenangriffe der Hisbollah auf Israel", denn diese, die Raketenangriffe nämlich, "setzen ihrerseits auf Krieg gegen die israelische Zivilbevölkerung". Das ist ohne Frage "differenziert" formuliert: Der Krieg ist "Israels Krieg", die anderen dagegen (wer auch immer) "setzen auf Krieg". Israel führt Krieg "gegen den Libanon", der andere Krieg, dessen Betreiber ebenso nebulös gehalten wie seine Tatsache verschwiemelt wird, richtet sich gegen "die israelische Zivilbevölkerung".
Mit den Tatsachen hat diese Differenzierung nichts zu tun, hier scheint vielmehr das Ressentiment Formulierungshilfe geleistet zu haben. Der Krieg Israels verfolgt das Ziel, die Hisbollah unschädlich zu machen. Das ist allgemein bekannt und unbestritten. Unbestreitbar auch befindet sich Israel mit diesem Ziel in Übereinstimmung mit der Beschlußlage der Vereinten Nationen, die in der dieser Tage häufiger zitierten Resolution 1559 des Sicherheitsrats vom September 2004 die Entwaffnung der Hisbollah fordert. Das zweite erklärte Kriegsziel Israels ist die Umsetzung einer weiteren UN-Resolution mit der Nummer 1614 vom Juli 2005, die u. a. die alleinige Kontrolle des südlichen Libanon durch die offizielle libanesische Armee fordert. Einen solchen Krieg ohne weiteres als "Krieg gegen den Libanon" zu bezeichnen, erfordert zweifellos eine sehr spezielle Differenzierungskunst.
Doch das Differenzieren hat damit noch kein Ende. Während unserem Bundesvorstand aufgefallen ist, daß es sich von seiten Israels um einen "offenbar längerfristig geplanten Krieg" handele, ist ihm in Sachen Hisbollah weiter nichts auf- oder eingefallen. Dabei sieht jeder, dessen Blick gen Nahost nicht völlig vernagelt ist, daß "längerfristig" vor allem die Hisbollah Israel den Krieg erklärt und diesen planmäßig betrieben hat.
Die Hisbollah ist keine palästinensische Organisation, sondern sie rekrutiert sich aus der schiitischen Bevölkerung des Libanon. Was sie umtreibt, ist kein nationales Interesse, sondern die prinzipielle Feindschaft gegen den Judenstaat. Ihr weltöffentlich stets von neuem verkündetes Programm ist die Auslöschung des "zionistischen Gebildes", wie sie Israel zu nennen pflegt. Zu diesem Zweck hält sie sich, politisch und materiell vom Iran gesponsert und gesteuert, seit dem Rückzug Israels aus dem Südlibanon vor sechs Jahren ihre Privatarmee an Israels Nordgrenze, bestückt unter anderem mit an die 12.000 Raketen, die auf Israel zielen und auch immer wieder getroffen und getötet haben.
Tatsächlich allerdings gelten, wie der WASG-Bundesvorstand immerhin richtig feststellt, die Raketenangriffe der Hisbollah vor allem der israelischen Zivilbevölkerung. Leider zieht der Bundesvorstand daraus aber nicht die auf der Hand liegenden Schlüsse. Während nämlich Israel, wie oben dargelegt, ein bestimmtes, eng begrenztes Kriegsziel verfolgt, kennen die Gotteskrieger der Hisbollah keine solche Grenze ihres Krieges: Vor der Vernichtung Israels geben sie erklärtermaßen keinen Frieden.
Es ist darum auch keine Nachricht, die irgendwen über das gewöhnliche Maß hinaus erschüttert, wenn die Raketen der Hisbollah in einen Verkehrsstau mitten in Haifa krachen und Tote und Schwerverletzte produzieren oder in Nazareth zwei Kinder zerfetzen. Das ist bloß die alltägliche Art, wie die Hisbollah Krieg führt. Allenfalls veranlaßt der Umstand, daß jene Kinder keine jüdischen, sondern arabische Israelis waren, den Führer der Hisbollah, Hassan Nasrallah, zu einer zynischen Geste der Entschuldigung an die Familien der Opfer, die er bei der Gelegenheit zu "Märtyrern" seines heiligen Krieges weiht.
Israel dagegen führt seinen Krieg gegen die Terrorbanden der Hisbollah unter den Argusaugen einer "internationalen Gemeinschaft", die über die "Verhältnismäßigkeit" seiner Kriegshandlungen tagtäglich wachen. Und dennoch hat es erstaunliche neunzehn Tage gedauert, bis man ein scheinbar handfestes "israelisches Kriegsverbrechen" vermelden konnte. Israel hat nämlich, auch wenn die Medien hierzulande sich einige Mühe geben, einen anderen Eindruck zu vermitteln, nicht zuletzt wohl auf amerikanischen Druck hin sich bislang für eine äußerst zurückhaltende Kriegführung entschieden, die das Leben der Zivilbevölkerung im Kriegsgebiet nach Möglichkeit verschont. Gleichwohl ist die Zahl der Opfer unter der im täglichen Raketenbeschuß lebenden israelischen Zivilbevölkerung weitaus geringer als unter der libanesischen. Das liegt keineswegs nur an der überlegenen Feuerkraft der israelischen Streitkräfte, sondern vor allem auch daran, daß die eigene Zivilbevölkerung für die israelische Kriegführung einen völlig anderen Stellenwert besitzt als für ihre terroristischen Gegner die libanesische. Israels Existenzgrund ist es, den jahrhundertelang verfolgten Juden in der Welt Zuflucht und Sicherheit zu gewähren. Der Existenzgrund der Hisbollah ist die Zerstörung dieser Zuflucht.
Der nicht eben Israel-freundliche UN-Koordinator für humanitäre Hilfe, Jan Egeland, hat der Hisbollah vor kurzem bescheinigt, "sich feige unter Frauen und Kinder zu mischen". Während die unter Dauerbeschuß liegende nördliche Grenzregion Israels von Beobachtern mittlerweile als "fast menschenleer" beschrieben wird und nach offiziellen Angaben 330.000 Israelis aus dem Norden Israels geflohen sind, fordern die Hisbollah und die libanesische Regierung die Bevölkerung im Kriegsgebiet zum Ausharren "im Widerstand" auf. Die Hisbollah braucht sie als Geiseln. Sie feuert "aus libanesischen Kindergärten auf israelische Kindergärten", wie der israelische Justizminister Haim Ramon so makaber wie treffend formuliert hat. Auch im Fall Qana, des angeblichen "israelischen Kriegsverbrechens", sind die Einwohner zuvor tagelang durch Flugblätter der Israelis zum Verlassen des Ortes aufgefordert worden, von dessen Häusern aus die Hisbollah ihre Raketen auf Kiryat Shmona, Ma'alot, Nahariya und Haifa abschießt. Mit Bildern von Menschen, die verächtlich die israelische Aufforderung, den Terroristen die Deckung zu nehmen und ihr Leben zu retten, vor der Kamera zerreißen, illustrieren libanesische Fernsehsender die islamistische Maxime, die da lautet: "Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod."
Niemand in der politischen Weltöffentlichkeit, der auch nur halbwegs bei Verstand ist, hat diesmal Israel das Recht bestritten, sich gegen den unprovozierten Überfall der Hisbollah vom 12. Juli auch militärisch zur Wehr zu setzen. Kritisiert wird nur von vielen Seiten die angebliche Unverhältnismäßigkeit der israelischen Reaktion, die libanesische Zivilisten in einem unvertretbaren Ausmaß in Mitleidenschaft ziehe. Selbst die israelische Linke, die in der Kritik ihrer Regierung gewöhnlich nicht zimperlich ist, beschränkt sich derzeit zu weiten Teilen auf Appelle, zivile Opfer zu vermeiden und Waffenstillstandsangebote nicht auszuschlagen. Auch wenn die Kritik an Israel gerne übersieht, daß es vor allem seine Feinde sind, die versuchen, eine Unterscheidung zwischen Kombattanten und Zivilisten unmöglich zu machen: Über die näheren Ziele und die Zweckmäßigkeit des israelischen Vorgehens kann und muß politisch gestritten werden.
Der Bundesvorstand der WASG jedoch moniert nicht, wie Israel aktuell Krieg führt, sondern befindet kurzerhand, "Israels Krieg" sei "in jeder Form abzulehnen". Er spricht also Israel generell das Recht ab, sich gegen die Aggression der Hisbollah zur Wehr zu setzen. Damit befände sich unser Bundesvorstand, sollte das ernst gemeint sein und nicht nur eine reichlich gedankenlose Entgleisung der Formulierung, in einer politischen Front mit all jenen, die dem Staat Israel das Recht seiner Existenz absprechen, denn die souveräne Gewährleistung seiner territorialen Integrität und der Unversehrtheit seiner Bürger ist nun einmal das elementarste Existenzmerkmal eines Staates, das sich angeben läßt.
Wie gesagt: Wir unterstellen einstweilen eine Entgleisung, eine bemerkenswerte und allerdings höchst peinliche Fehlleistung unseres Bundesvorstands, der es nicht so böse gemeint hat, wie es bei näherem Hinsehen sich leider darstellt.
Oder sagen wir besser, wir hoffen das. Denn zu befürchten stünde ansonsten womöglich, daß wir es hier mit einer ersten kalkulierten Anwendung jener Überlegungen zu tun haben, die Oskar Lafontaine in einem Interview im "Neuen Deutschland" am 13. Februar dieses Jahres über "Schnittmengen zwischen linker Politik und islamischer Religion" zum Besten gab.*
Wir können uns hier jetzt nicht mit den Einzelheiten seiner Ausführungen zu diesem einigermaßen heiklen Thema auseinandersetzen. Das muß und wird an anderer Stelle geschehen. Festzuhalten aber ist: Den islamistischen Banden, die sich Israel zum Todfeind erkoren haben, moralische Vorhaltungen zu machen und zugleich Israel das Recht zur Gegenwehr abzusprechen, bedeutet praktisch einen Freibrief für die Feinde Israels, jedenfalls der Sache, vielleicht nicht der Absicht nach. Höchst bedenklich, um es vorsichtig zu sagen, wird es allerdings spätestens, wenn solcher möglicherweise unabsichtliche und also an sich korrigierbare Schulterschluß mit dem Islamismus eine programmatische Basis erhält.
Aber auch umgekehrt eröffnet sich nun ein Zusammenhang, der zur Klärung drängt. Lafontaines Überlegungen mögen im Februar noch einen mehr theoretischen Charakter besessen haben, hatten jedenfalls - nachdem Lafontaine seine Reise in den Iran absagen mußte - keinen unmittelbar praktischen Bezug zur Politik der WASG bzw. der neuen Linken im engeren Sinne. Der jüngste Nahostkrieg hat diese relativ bequeme Situation offensichtlich schlagartig beendet. Mitglieder aus der WASG und Linkspartei finden sich auf der Straße wieder an der Seite von Leuten mit der grünen Fahne des Propheten in der Hand und dem Ruf "Tod Israel" auf den Lippen.
WASG und neue Linke werden sich entscheiden müssen: Für das unbedingte Existenzrecht Israels, das dessen Recht auf Selbstverteidigung einschließt. Oder für den Schulterschluß mit dem Antisemitismus der Mahmud Ahmadinedschad, Hassan Nasrallah, Chalid Mashal etc., der in der Konsequenz eliminatorisch ist. Wir erwarten vom Bundesvorstand der WASG, daß er sich dazu dezidiert und unmißverständlich äußert.
* "Wir können nicht warten, bis Bush etwas merkt", "ND", 13.2.2006. Als "Bezugspunkte" nennt Lafontaine das Setzen des Islam "auf die Gemeinschaft", das im von ihm offenbar begrüßten "Widerspruch zum übersteigerten Individualismus" stehe, "dessen Konzeption im Westen zu scheitern droht", sowie die Verpflichtung des gläubigen Muslims, "zu teilen", denn die Linke wolle doch "ebenso, daß der Stärkere dem Schwächeren hilft". Und last but not least bringt er den ewig alten Gassenhauer der Antisemiten aller Länder: "das Zinsverbot", das "im Islam ... noch eine Rolle" spiele, "wie früher im Christentum".
Daniel Dockerill und Ralf Iden gehören dem Landesvorstand der
WASG Schleswig-Holstein an

konkret/09/06




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