Friday, August 18, 2006

Knapp an der Katastrophe vorbei

Deutschland ist am 31. Juli offenbar nur knapp einem verheerenden Terroranschlag entgangen. Die zwei in Regionalzügen in Dortmund und Koblenz gefundenen Kofferbomben wurden nach Ermittlungen der Bundesanwaltschaft vermutlich durch "eine inländische terroristische Vereinigung" platziert. Sie gingen nur durch Zufall nicht hoch, wie die Ermittler am Freitag in Wiesbaden mitteilten.
Die beiden mutmaßlichen, bislang nicht identifizierten Täter hätten mit den wegen handwerklicher Fehler nicht explodierten Sprengsätzen derart dramatische Zerstörungen anrichten können, "wie wir sie bisher für uns in Deutschland nicht kannten", teilten Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt (BKA) mit. Bundesanwalt Rainer Griesbaum sagte, es werde wegen "versuchten Mordes" ermittelt. Für einen Erpressungsversuch gegen die Bahn gebe es keine Anhaltspunkte.
BKA-Chef Jörg Ziercke sagte, im Falle einer Explosion wären "ausgebrannte Zugwaggons", eine "unbestimmte Anzahl an Verletzten und möglicherweise Tote" die Folge gewesen. Auch hätten die Züge entgleisen können. "Wir sind uns sicher, dass die Bomben explodieren sollten. Eine Zündung hat stattgefunden", sagte Ziercke. Die Sprengsätze sollten den Ermittlern zufolge zehn Minuten vor Erreichen der Bahnhöfe auf freier Strecke explodieren. Man sei "sehr besorgt" über die Ermittlungsergebnisse. Ziercke betonte, es bestehe "eine Wiederholungsgefahr", weil die Tat mit "hohem Aufwand" vorbereitet war.
Allerdings könnten die Bombenfunde nicht mit den Anschlägen auf Züge in London 2005 und Madrid 2004 verglichen werden, weil es weder Bekennerschreiben einer terroristischen Vereinigung gebe, die Bomben keinen regulären Sprengstoff enthielten und die Verantwortlichen zudem keine potenziellen Selbstmordattentäter seien.
Vorstellbar sei, dass die Täter im Zusammenhang mit dem Krieg im Libanon "Signale setzen wollten", sagte Ziercke. In den Koffern seien Tüten mit Speisestärke gefunden worden, die im Raum Essen an libanesische Familien verkauft wurden. In einem der Koffer sei ein Zettel mit Telefonnummern aus dem Libanon gefunden worden.
Die am 31. Juli in den beiden Regionalzügen entdeckten Koffer enthielten Gasflaschen, ein Benzingemisch und Wecker, die elektrisch gesteuert zeitgleich um 14.30 Uhr gezündet werden sollten.
In einem Fahndungsaufruf wurden Fotos und Videoaufnahmen von Überwachungskameras auf dem Kölner Hauptbahnhof gezeigt, die die mutmaßlichen Bombenleger im Alter von 20 bis 30 Jahren beim Besteigen der Bahnsteige zeigen. Für Hinweise auf die Identität der Männer haben die Behörden eine Belohnung von bis zu 50 000 Euro ausgesetzt.
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) kündigte an, die Videoüberwachung außer auf den Bahnhöfen auch auf andere öffentliche Bereiche ausweiten zu wollen. Dies gelte insbesondere für den öffentlichen Nahverkehr. Ebenso hoffe er, dass das im Bundestag anstehende Ergänzungsgesetz zur Terrorismusbekämpfung schnell verabschiedet werde. Dringend benötigt würden eine gemeinsame Anti-Terror-Datei von Bund und Ländern sowie die Nutzung der Daten aus der Lkw-Maut.
Schäuble betonte zugleich, es bestehe kein Anlass, die Bahn und die öffentlichen Verkehrsmittel zu meiden. Er rief zur Wachsamkeit, aber auch zur Gelassenheit auf. Die Deutsche Bahn AG weitet nach den Vorfällen nunmehr ihre Kontrollen aus. Die Videoüberwachung werde verstärkt, zudem sollen erstmals Gepäckstücke kontrolliert werden, sagte Vorstandsmitglied Otto Wiesheu. Das Personal sei angewiesen worden, besonders wachsam zu sein.
(ddp)

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