Wednesday, September 27, 2006

Obermullah Schlingensief:Einen Jux will er sich machen

Wie Christoph Schlingensief seinem Publikum die Zeit mit Nazi-Späßen vertreibt
von Joachim Rohloff
Kunst ist, was sich dafür hält. So viel, wenn auch sonst nichts, haben wir am Ende des Jahrhunderts gelernt. Nur wo Kunst draufsteht, ist auch Kunst drin. Das ist schade, denn es gibt keine Überraschungen mehr. Aber es ist auch gut, denn Etikettenschwindel gibt es ebensowenig. Wo Kunst draufsteht, ist garantiert auch Kunst drin. Als vor Zeiten der wahre Heino seine KPD/RZ gründete (»Kreuzberger Patriotische Demokraten/Realistisches Zentrum«) und mit der Forderung nach einem Nachtflugverbot für Pollen mehrere Sitze in der Bezirksverordnetenversammlung errang, war das keine Kunst, sondern ein Ulk und allenfalls der Versuch, den Kneipenraum zu entgrenzen. Wenn Christoph Schlingensief und seine Factory die Partei »Chance 2000« gründen und mit der Parole »Wähle dich selbst!« jede Menge Aufsehens in den Feuilletons machen, handelt es sich darum, das Theater zu politisieren und seine Grenzen zu sprengen, also um Kunst.
Diese simple Einsicht zu bedenken und sie auf würdige Weise ins nächste Jahrhundert zu tragen, könnte, wer an Silvester noch immer nichts Besonderes vorhat, mit Schlingensief nach Namibia fliegen. »Der Ring in Afrika. Eine Jeep-Rallye zur Jahrtausendwende mit Richard Wagner in Namibia, ehemals Deutsch-Südwest« heißt nämlich der vierte und letzte Teil des Projekts »Wagner 99«, das Deutschland erforschen und töten sollte und ihm nun in Namibia zur Auferstehung verhelfen soll. Irgendwann zwischen dem 20. und dem 25. Dezember ist es so weit: »Start ab Windhoek. Wir besteigen unsere Jeeps und fahren in die Innenstadt, wo wir eine kurze Einführung in die Geschichte Namibias bekommen, zu Mittag essen (Deutsches Essen!), anschließend den Deutschen Bücherkeller und einen deutschen Supermarkt besuchen. Zum Abschluß eine Tasse deutscher Kaffee. Anschließend Fahrt zur Autorennstrecke Windhoek. Eine Rennstrecke, die eingefleischte Automotorsportlerherzen höher schlagen läßt. Mitten in steppiges Gelände gebaut. Hier erhalten die Hauptwagen Lautsprecher auf das Dach. Die Fahrzeuge können sich auf der Rennstrecke zu Wagnermusik einfahren und ›den Wagner beschleunigen‹. Nach ca. 2 Stunden Weiterfahrt.«
An den folgenden Tagen gibt es vom gemeinsamen Frühstück bis zum Sundowner und vom Sundowner bis zum gemeinsamen Frühstück »Wagnermusik NON-STOP«. Übernachtung in der Wüste (Zelte aufbauen!). In Swakopmund Mittagessen im »Hansahotel (Spitzenadresse in Deutsch-Kleinnizza auf afrikanischem Boden). Anschließend Besichtigung des Ortsmuseums, kleine Stadtführung. Weiterfahrt Richtung Cape Cross. Cape Cross ist die größte Robbenkolonie Afrikas, wenn nicht sogar der Welt. Hier leben im Dezember über 1 Million Robben und bringen ihre Kinder zur Welt. Auch hier läuft Wagnermusik, aber in gebührendem Abstand oder über Kopfhörer. ›Ein wahres pralles Schlachtfeld‹. Aufbau der Zelte in gebührendem Abstand, aber möglichst so, daß sich das Schreien der Robben mit der Wagnermusik vermischt. Kochen, Abendessen, erste Analysen, Krisen, Glücksgefühle, Projektionen auf 2000.«
Was die Robben bereits ahnen ließen, wird am dritten Tag offenbar: »Gemeinsames Frühstück und Weiterfahrt mit WAGNER NON STOP in den Norden zur angolanischen Grenze, zu den Himbas und Herereros (!), von denen 60.000 Vorfahren Anfang 1900 vom deutschen General von Trotta abgeschlachtet wurden.« Am Silvestertag selbst geht es aber recht gemütlich zu: »Letzte Stunden mit Wagner. Gegen 19.30 Uhr Sonnenuntergang und Wagnerausklang. Abschied. Nach dem Ende der Musik ca. 4 Stunden ›Fastenzeit‹. 24.00 Uhr: Gemeinsame Silvesterfeier 2000.« Und was wird aus Deutschland? Der Koffer mit der Urne mit der Asche Deutschlands, vor Liberty Island im Hudson versenkt, »soll als geschliffener Diamant in Namibia ankommen«. Reiseleiter Schlingensief weiß davon nichts. Oder er hält für die Teilnehmer seiner Nibelungen-Trophy eine finale Überraschung bereit, und die »Süddeutsche Zeitung« hat sie verraten.
Das Wagner-Projekt begann im September mit einer »Deutschlandsuche«: »Wir fahren von Berlin aus in die Provinz, um Helden zu suchen. Denn das Zentrum verbrennt die Helden, nur die Provinz gebärt Nachfolger. Auch wollen wir auf dieser Reise den Gral suchen, also das letzte Geheimnis der Menschheit. Ich fahre mit einem silbernen Volvo 760 Intercooler, das Ensemble in einem Kleinbus.« So las man es auf den Berliner Seiten der »FAZ«, wo täglich zahllose Helden sich für uns verbrennen. (Erwähnt sei hier an erster Stelle, damit auch die Provinz von ihm erfährt, Benjamin von Stuckrad-Barre, der Wiglaf Droste interviewen mußte.) Ob Schlingensief den Heiligen Gral auch fand, wer kann das wissen? Am Ende jedenfalls waren in seinem Koffer 99 Gegenstände: »ein blutiger Tampon, ein kleines Klappmesser, eine Gemüsezwiebel, ein Haarbüschel unseres gescheiterten Veranstalters aus Regensburg, ein Protokoll der Staatsanwaltschaft aus Graz, die 900 DM für eine unangemeldete Demonstration gegen die FPÖ forderte, und vieles mehr«. In Regensburg gab es einen Zwischenfall: Ein Intercooler mit der Aufschrift »Nationale Front« rollte durch die Fußgängerzone, der Fahrer rief: »Deutschland wird befreit!« Weil aber im Kampfanzug kein wirklicher Nazi steckte, sondern Schlingensief, war es wieder einmal bloß Kunst, nämlich ein »künstlerischer Protest gegen den Nationalsozialismus«, und die Ermittlungen wurden eingestellt. »Nichtinformierte Beobachter konnten dies jedoch als ernst gemeinte rechte Aussagen werten«, erklärte Staatsanwalt Plöd. Seitdem wächst der Verdacht, auch der Zweite Weltkrieg gehöre in die Kunstgeschichte.
Der Deutschlandsuche folgte ein »erster internationaler Kameradschaftsabend« in Hamburg. Die Kameraden hießen Horst Mahler, Rainer Langhans, Reinhold Oberlercher und Meir Mendelssohn. Sie hätten sich, von Schlingensief schutzlos auf die Bühne gesetzt, nach Kräften blamiert, meinte Dietrich Kuhlbrodt, ein Mitglied der Factory, in KONKRET 11/99. Trotzdem verbuchte die »Junge Freiheit« den Abend als einen Erfolg für die rechte Sache. Mendelssohn, der zwar auch irgendwie ein Künstler ist, Ignatz Bubis' Grab aber nicht ausdrücklich unterm Kunstvorbehalt schändete, habe sich über »den kriminellen Bubis« und seine »Machenschaften«, nämlich den Handel mit dem Zahngold jüdischer Opfer der Nazis, verbreiten dürfen. Um seine Tat zu vergegenwärtigen, sei eine weiße Leinwand mit schwarzer Farbe bespritzt worden. »Ein weiterer Provokateur betritt das Rampenlicht, mit wallendem Haar, in schneeweißem Anzug: Rainer Langhans. Schlingensief stellt dem Herausgeputzten Fragen. Der Mitbegründer der ›Kommune I‹ gibt spärlich und unsicher Antwort. Das kann von ›Dr. O‹ schwerlich behauptet werden. Der als ›Hamburger Dutschke‹ vorgestellte Reinhold Oberlercher bleibt keine Antwort schuldig. Ein Angriffskrieg wie der gegen Serbien würde in ›seinem Reich‹ mit hohen Zuchthausstrafen geahndet. Dann, kopfgesteuert wie eh und je, referiert er seine Reichsverfassungsordnung. Spricht davon, daß ›wir das Reich in seinen alten Grenzen wieder herstellen‹ müssen. Langhans aufgewacht: ›Sehen wir erst einmal zu, dieses Deutschland aufzuräumen.‹« Mahler habe »ausführlich« die »heutige Situation der BRD als US-Vasallenstaat« dargestellt und die »Ausländerüberflutung« eine Fortsetzung des Besatzungsregimes genannt. Das Publikum habe sich renitent gezeigt, es sei ihm aber nichts Besseres eingefallen als die bekannten antifaschistischen Slogans.
Die New Yorker Ausstellung »Children of Berlin« gab Schlingensief die Möglichkeit, den dritten Teil seines Projekts zu realisieren und seine 99 Fundstücke in den Hudson zu werfen. Dazu brauchte es selbstredend eine angemessene Inszenierung: »Das jüdische Kostüm, das ich bereits im Flugzeug angezogen habe, sorgt in diesem Zusammenhang für Verstörung und das von Kuhlbrodt entrollte Plakat: ›Kauft nicht bei Deutschen (boykott german goods)‹ läßt die Sache kurzfristig eskalieren. ›So etwas geht nicht‹, sagt der jüdische Pressesprecher des PS1 Museums, ›dann werden sie hier erschossen.‹«
Schlingensief gab WAGNER NON-STOP aus dem Ghettoblaster. Er sei Jude, und die von der Volksbühne eigens für diesen Event angefertigten Ringellocken werde er nicht abnehmen. »Ich bin ein Jude und werde Deutschland versenken! Auge um Auge, Zahn um Zahn. Der Pressemann gerät außer Kontrolle, versucht, Kuhlbrodt das Plakat aus der Hand zu reißen, wird aber von unserem Fahrer abgedrängt. Wir flüchten in die fast 6 Meter lange, strahlendweiße Stretchlimousine des Goetheinstituts und verschwinden in der Nacht.« Wem bei diesem peinlichen Auftritt am 9. November die Verhandlungen über die Entschädigung jüdischer Zwangsarbeiter und die Reichspogromnacht einfielen, der hatte schon viel zu weit gedacht. War doch bloß Kunst.
Auf dem zweiten »Kameradschaftsabend« in Berlin, der vom bewährten Personal und Regine Hildebrandt bestritten wurde, forderte Mendelssohn das Publikum auf, doch mal ganz unverbindlich und ohne böse Absicht das Wort »Judensau« auszusprechen: »Versuchen Sie mit mir, das Wort ›Judensau‹ zu sagen, ganz normal und natürlich!« Andreas Nachama, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Berlin, erstattete Strafanzeige gegen Schlingensief, Mendelssohn und den Mitveranstalter Alexander Kluge. Um die Kunst kann es nicht allzu schlecht bestellt sein, solange sie noch Skandale provoziert, hätte Schlingensief sich trösten sollen. Statt dessen behauptete er, Mendelssohn gar nicht eingeladen zu haben. Im übrigen sei der böse Satz erst nach der Performance gefallen, an der Theke.
Wenn er Mendelssohn richtig verstanden habe, sagte Schlingensief, so bemühe dieser sich um eine »gewisse Normalität« ohne Berührungsängste. Das muß dieselbe deutsche Normalität sein, die Ignatz Bubis fürchtete und zu der auch ein ganz normaler Antisemitismus gehört. Und überhaupt sei Mendelssohn ja »eindeutig jemand, der aus Israel kommt und für die Juden sprechen kann. Es ist schon seltsam, daß also einem Landsmann Äußerungen übel genommen werden.« Jeder Jude spricht für alle Juden, heißt das, denn im Grunde gibt es nur einen, den ewigen Juden. Deshalb ist auch der Israeli Mendelssohn ein Landsmann des Deutschen Nachama. Und die Deutschlandsuche erreicht ihr wirkliches Ziel und Ende. Deutschland ist nicht versenkt worden und wird deshalb in Namibia nicht auferstehen, Schlingensief hätte die eigenen Wände nicht verlassen müssen, um es zu finden, denn es war ja die ganze Zeit in seinem Oberstübchen.
Quelle: konkret 1/2000
12/99 trend online zeitung
Briefe oder Artikel: info@trend.partisan.net

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