Wednesday, November 01, 2006

»Der Holocaust war auch in Palästina geplant«

klaus-michael mallmann über das Bündnis zwischen Hitler und dem Mufti von Jerusalem, den eliminatorischen Antisemitismus der Deutschen und die arabische Judenfeindschaft
Klaus-Michael Mallmann ist wissenschaftlicher Leiter der Forschungsstelle Ludwigsburg und Professor für Neuere Geschichte in Stuttgart. Er hat gemeinsam mit dem Historiker Martin Cüppers die Studie »Halb­mond und Hakenkreuz« verfasst.

Die Rassenideologie des Nationalsozialismus scheint eine Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Arabern auszuschließen. Dennoch, das zeigt Ihre Studie, hat sie stattgefunden. Wie passte die Kooperation mit den arabischen Ländern in das ideologische Bild der Nationalsozialisten?
Es gibt natürlich die berühmte Äußerung von Hitler in »Mein Kampf« über die Araber, wo er sich fürchterlich über sie auslässt und sinn­gemäß sagt, mit solchen Untermenschen kön­ne man gar keine Bünd­nisse schließen. Allerdings hat er »Mein Kampf« während seiner Haft in Landsberg geschrieben. Zu dieser Zeit war von Kanzlerschaft, Führerschaft in ganz Europa und Weltherrschaftsplänen überhaupt nicht die Rede. Hitler hat später, als die Zusammen­arbeit mit dem arabischen Nahen Osten akut wurde, zugestimmt, dass die entsprechende Passage für eine Übersetzung ins Arabische geändert wird. Es gibt umfangreiche Korrespondenzen darüber, es ist aber nie passiert.
Auch von arabischer Seite soll es keine Berührungs­ängste gegenüber den selbst ernannten Herrenmenschen gegeben haben.
Jedenfalls keine allzu großen. Ab 1933 ließ der Mufti von Jerusalem regelmäßig an die Türen der Deutschen klopfen, um seine Bereitschaft zum Bündnis anzubieten. Das lief über verschiedene Verbindungen. Zunächst stand da zwar noch die Frage des Antisemitismus im Raum. Das Semitische ist bekanntlich eine Sprachfamilie, zu der sowohl Juden als auch Araber gehören. Doch die Deutschen gaben sich dann wahnsinnig Mühe, immer wieder zu versichern, dass der Begriff des Antisemitismus keinen Antiarabismus meint, sondern sich einzig und allein aufs Judentum bezieht. Das wird sogar schriftlich versichert
Was konnte sich die arabische Seite von einem Bündnis mit den Deutschen erhoffen?
Der Mufti begrüßte von Anfang an das Dritte Reich und ausdrücklich dessen Judenpolitik. Mit Beginn des arabischen Aufstands in Palästina in der Zeit zwischen 1936 bis 1939 wurden die Bemühungen um ein Bündnis noch verstärkt. Da verlangte man aktive Unterstützung in Form von Waffen und Geld. 1936 dachte die deutsche Seite aber noch gar nicht daran, das zu tun. Für sie ging es zu diesem Zeitpunkt vor allem darum, möglichst viele Juden aus Deutschland »loszuwerden«. Man hatte deswegen auch das Transfer-Abkommen mit dem Jeschuv, der jüdischen Gemeinschaft im britischen Mandats­gebiet, geschlossen, das auswanderungswilligen Juden erlaubte, einen Teil ihres Besitzes über deutsche Exporte nach Palästina zu retten. Man wusste auf deutscher Seite auch, dass man sich damit in einen Gegensatz zu den Arabern in Palästina begibt, die mit jüdischer Zuwanderung natürlich überhaupt nicht einverstanden waren, das aber ihrerseits nicht als Problem thematisierten. Irgendwann – den Zeit­punkt kann man nicht genau rekonstruieren, er liegt aber auf jeden Fall vor dem Frühjahr 1939 – lieferte die deutsche Seite über das Amt Ausland Abwehr erstmals Waffen und auch Geld nach Paläs­tina.
Welche Ziele verfolgten die Deutschen im Nahen Osten?
Das erste Ziel und die Voraussetzung für alles Weitere war die Zerschlagung der britischen Machtposition auf der Landbrücke nach Indien. Solange die Briten als Mandatsmacht im Land oder auch nur im Raum des Nahen und Mittleren Ostens waren, war Deutschland machtlos. Die Deutschen waren auch am Erdöl interessiert. Solche politisch-pragmatischen Interessen waren natürlich auch im Krieg gegen die Sowjetunion 1941/42 im Spiel. Auch da ging es um Öl, um Agrarprodukte. Politisch ging es dort um die Zerschlagung des Bolschewismus, aber immer mit der Betonung auf »jüdischer Bolschewismus«.
Sie stellen dar, dass es Deutschland trotz der anfänglichen Duldung jüdischer Auswanderung nach Palästina mittelfristig darum ging, den Holocaust im Nahen Osten zu organisieren. Inwiefern war die arabische Sei­te in diese Planungen einbezogen?
Wie weit die Ermordung gegangen wäre, ist eine offene Frage. Dass sich die Araber in Palästina auf die Juden gestürzt hätten, steht aber außer Frage. Bereits der arabische Aufstand war sehr grausam geführt worden. Dass die arabische Seite bewaffnet war, Erfahrung hatte im Umgang mit Waffen, steht auch außer Frage. Von jüdischer Seite wäre natürlich auch bewaffnete Gegenwehr gekommen, aber auf einem relativ schwachen Niveau. Der Holocaust in Palästina hätte mutmaßlich, so er stattgefunden hätte, weit militärischere Formen angenommen als etwa in der Sowjet­union, wo das Judentum weitgehend unbewaffnet war.
Gibt es Zahlen darüber, wie viele Opfer der Genozid gefordert hätte und welche Länder neben Palästina betroffen gewesen wären?
Im Grunde wäre das ganze sephardische Judentum betroffen gewesen, mit relativ großen Gemeinden in Ägypten, im Irak, im Iran, partiell auch in Syrien. Allein die Juden in Palästina zählten schätzungsweise eine halbe Million Menschen. Ob man von deutscher und arabischer Seite einzelne »Kompromisse« gemacht hätte wie in Polen, also gesagt hätte, arbeitsfähige Juden lassen wir leben, kann man nicht beantworten. Tendenziell wäre es aber wie in Europa auf eine Gesamtliquidierung des Judentums der Region hinausgelaufen.
Ihre Forschungen basieren auf kürzlich entdeckten Dokumenten über die Pläne der Einsatzgruppe Rauff für Palästina. Was sahen diese Pläne vor?
Faktisch war das derselbe Befehl, dieselbe Unterstellung, vereinbart zwischen Himm­­­ler und dem Oberkommando der Wehrmacht, wie im Fall der Sowjetunion. Darin heißt es: »Die Einsatzgruppe führt Exekutivmaßnahmen gegen die Zivilbevölkerung in eigener Verantwortung durch.«
Eine wichtige Frage, auch vor dem Hinter­grund des Nahost-Konflikts, ist die nach den Quellen, aus denen sich der arabische Antisemitismus speist. War er vor allem religiös-islamisch motiviert, oder handelt es sich um eine Rassenideologie wie bei den Nationalsozialisten?
Die Frage nach der Beschaffenheit des arabischen Antisemitismus konnten und woll­ten wir nicht lösen. Das müssten die Arabisten beantworten, die mit ihren Sprach- und Quellenkenntnissen an den arabischen Urquellen arbeiten. Sie müssten entscheiden, woraus sich der Antisemitismus nährt, und vor allem: Ist er ein Import aus Europa bzw. aus Deutschland, oder ist da ein eigenständi­ger Antisemitismus sui generis entstanden? Was es gibt, sind judenfeindliche Äußerungen im Koran, das sind ziemlich viele, und die sind auch bekannt. Es ist auch klar, dass es unter den Arabern in Palästina den absoluten Widerwillen gegen jüdische Zuwanderung nach Palästina gab, da kommt ein politisch-pragmatisches Element mit hinein. Wie weit die Rassenideologie dort wirk­lich angekommen ist, auch durch den Import aus Deutschland, das ist zunächst schwer nachzuvollziehen. In der Propaganda kann man Spuren davon natürlich feststellen. Man kann den Äußerun­gen des Mufti entnehmen, dass er in zwei Richtun­gen argumentiert: einerseits als islamistischer Fun­damentalist, ganz klassisch mit Koran-Zitaten. Andererseits argumentiert er genau wie ein deutscher Rassenfanatiker, wenn er sagt, das Judentum sei der Urstoff, der hinter allem Übel in der Welt steckt.
Welche Reaktionen gibt es denn bislang auf das Buch?
Es gibt viele Rezensionen, aber bislang keine Äuße­rungen von Arabisten.
Enttäuscht Sie das?
Eine Reaktion wäre zumindest wünschens­wert gewesen. Doch die Argumentation der Arabistik dürfte lauten, dass die beiden Verfasser der Studie keine Arabisten sind, dass sie kein Arabisch können, also dass das Ganze nichts bringt. Man darf natürlich nicht alle Arabisten über einen Kamm scheren – ich erwähne nur den Islamwissenschaft­ler Stefan Wild, der sich mit dem Problem des ara­bischen Antisemitismus in vielen wunderbaren Aufsätzen auseinandergesetzt hat –, aber die Mehr­zahl der Arabisten scheint verliebt zu sein in ihren Gegenstand.
War die Zusammenarbeit mit den Nationalso­zialisten in der arabischen Welt jemals ein Thema?
Das lässt sich nicht pauschal beantworten. Einerseits sind dort das Dritte Reich und Hitler ungeheuer diskreditiert. Manche verschwei­gen daher die Zusammenarbeit. Andere führ­ten diese Linie ungebrochen weiter, wie etwa die jordanische Jerusalem Times, die kurz vor der Eröffnung des Eichmann-Prozesses in einem offenen Brief dem Angeklagten mitteilte, er habe der »Menschheit einen wirklichen Segen« erwiesen.
Der Plan zur Vernichtung der Juden in Palästina stammt aus dem Jahr 1941 und hat in der Geschichtswissenschaft bisher keine große Rolle gespielt. Sie sind eher zufällig im Zusammenhang mit der Beschäftigung mit Rauff auf die Dokumente gestoßen. Warum ist dieses Kapitel bislang unbeachtet geblieben?
Historiker hängen sich gerne an das Faktische. Wirklich geschehen ist etwas in Europa, in Osteuropa usw., aber nicht im Nahen Osten. Historiker sind auch nicht unbedingt sehr phantasievoll. Sie sehen, dass Rommel in El Alamein geschlagen wurde, damit war er militärgeschichtlich abgehakt.
Im Geschichtsunterricht an deutschen Schulen ist der Holocaust ein wichtiges Thema. In jüngster Zeit stellt sich allerdings die Frage, wie die deutsche Erinnerungsgemeinschaft erweitert werden kann und ob man von den Migranten erwarten soll, dass sie sich die historische Last des Aufnahmelandes aneignen. Kann die Studie einen erweiterten Ansatz für eine Holocaust Education liefern, die für die vielen Facetten des Antisemitismus sensibilisiert?
Wir beobachten in der Holocaust-Forschung schon seit einigen Jahren den Trend, dass sich Historiker verstärkt mit dem Thema Kollabo­ration beschäftigen. Der Holocaust war kein rein deutsches Projekt. Das muss man klar sa­gen, ohne dass damit die Deutschen entlastet sind. Es haben jede Menge Täter aus anderen Nationen mitgewirkt, teilweise auch an den Ermordungen. Und dieses Wissen könnte ein gemeinsamer Anker sein.
interview: kerstin eschrich, heike runge
jungle-world

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