Wednesday, December 27, 2006

Thomas Kapielski: Der Traurige Hahn


Der Goldene Hahn in Berlin-Kreuzberg ist mit allerhand Festakten und nach Wochen solidester Trauerfeierlichkeiten aus den Händen Inge Buraus in andere übergegangen und wie es aussieht, wird alles mit Sorgfalt weitergeführt werden.
Ich hatte mit Bernd Kramer (Karin Kramer Verlag), weil es uns langsam reichte, 1997 einen ausgedacht dumpfen "Interessenverband zum Schutze und immerwährenden Erhalt der Gaststätte 'Zum Goldenen Hahn', Berlin-Kreuzberg" gegründet. Wir saßen eben oftmals bei Inge und fürchteten irgendwie untergründig, daß sie uns bald auch noch die letzten Bierlöcher in Bankfilialen oder türkische Gemüsepaläste umfunktionieren würden. Beim 'Blauen Affen' hatte schon ein bedenklicher Wirtswechsel und eine Preiserhöhung stattgefunden. Man mußte also Inge stärken; vielleicht unsere einstmals letzte Zuflucht. Also ein Briefkopf mit "Interessenverband" und dann losgedröhnt: "Gemäß den Richtlinien für die Durchführung der Konvention zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt, beantragen die Unterzeichner bei der Deutschen UNESCO-Kommission, daß die Gaststätte: 'Zum Goldenen Hahn', Berlin-Kreuzberg, Heinrichplatz, als Kulturerbe der Welt in die Liste Deutscher Denkmäler aufgenommen wird.
Begründung I. 1. Die Gaststätte bildet mit ihrer Wirtin Inge, ihrer Kellnerin Diana und ihren wohlgesinnten als auch überaus einnehmenden Gästen ein einzigartiges sozial- und millieuästhetisches Ensemble. Stimmt auch! 2. Die Gaststätte ist Zeugnis noch bestehender, hochentwickelter Trink- und Geselligkeitskultur; in ihren Räumen wird gastronomische Könnerschaft in unverwechselbarer Manier zelebriert. So ist es! 3. Die Gaststätte beherbergt singulär und epochal bedeutsame Ausstattungen: ein funktionstüchtiges Heizregister, ein Hirschschädelfragment, einen präparatorisch beachtlich ausgestopften Uhu, die treffliche Reliefdarstellung eines Schäferhundhauptes, diverse Dessauer Bauhaus-Bestuhlungen sowie ein an sich und zentralheizerisch überflüssiges, aus konservatorischer Rücksicht dort aber belassenes ziemliches Ofenrohr nebst rühmlichem Allesbrenner. Nicht unerwähnt darf eine in dieser Art seltene Tischbedeckung bleiben, läßt sie doch, wenn auch in Fragmenten, die hohe Kunst der Teppichwirkerei (Anjou, frühes 13. Jahrhundert) erkennen. 4. In den Erlebnisräumlichkeiten des 'Goldenen Hahns' kommen, unter vornehmer Hinwegsehung über etwaige Standeszugehörigkeiten, alle Schichten der Bevölkerung zum bisweilen herzhaften Dialog oder auch alleinseligen Beträumen ihrer Alltagslage zusammen. Bacchantinnen, Alltagsjongleure, starke Raucher, behende Sozialhilfeartisten, wertkonservative Sauerländer, Mottenquäler, Herrenausstatter, Gralshüterinnen, Mund- und Fußtrinker.
Begründung II. Die sozialpolitischen Veränderungen in Deutschland bedingen insbesondere seit 1989, daß öffentliche Räume und vollendet belebte Baulichkeiten, zu denen auch die obengenannte Gaststätte 'Zum Goldenen Hahn' zählt, durch gewinngierige Wühlarbeiten und Designsucht postmodern gleichgeschalteter Architekten ihrer Überlebensmöglichkeiten beraubt werden. Die Unterzeichner verstehen sich als Radikal-Konservatoren, die Erhaltenswertes unter Einsatz ihrer psychischen und physischen Kräfte und vermittelst aller ihnen zur Verfügung stehenden Trink- und Denkfähigkeit bewahren wollen. Der 'Goldene Hahn' ist nicht nur seiner einzigartigen historischen Authentizität wegen bewahrenswert, sondern kräftigt auf vorbildliche Weise die sittliche Festigkeit seiner Gäste sogar langfristig und in internationaler Hinsicht. Daraus ergibt sich zwingend, daß die Gaststätte 'Zum Goldenen Hahn' als höchstlöbliches Unikat in ihrem jetzigen Zustande auf die Liste Deutscher Denkmäler zu setzen ist. Es wird für notwendig erachtet, daß die UNESCO sich schützend und bewahrend und ohne Einschränkung hinter die Gaststätte und ihre Kundschaft stellt. Denn: "Ist das Trinkgefäß erst leer, macht es keine Freude mehr!" (W.Busch) Berlin, den 1. Mai 1997 Bernd Kramer & Thomas Kapielski"
Na, lustig! Wurde gut aufgenommen bei Inge, wurde tüchtig gepietschert drauf! Und dann gaben wir so paar Kopien rum, spielten Pressemitteilung und rumms!: sprang die gemäßigte 'Bild'-Variante 'B.Z.' aus dem Hause Springer an, schickte zwei ihrer netten Jungfitties mit Lehrling vorbei, und als es schon keiner mehr glaubte, kam die Doppelseite vier und fünf mit Balkenschrift: "Kreuzberger Kneipe so wertvoll wie Sanssouci?" Dazu Fotos vom Hirschen und Hunderelief, Gruppenfoto innen, Foto der Antragsteller draußen beim gestellten Annageln der Unesco-Schutzschildchen und am Hammer der Schriftsteller "Bernd Kapielski (45)".
So. Zwei Tage Ruhe, dann Kettenreaktion. Nun allerdings nicht bei der Presse, sondern beim Fernsehn. Das ging so: Telefon: "Guten Tag, mein Name ist Sabine Unholdt von Avanti-Media-2000-Filmproductions. Wir haben von Ihrer echt lustigen Initiative im 'Goldenen Hahn' gehört und fanden das echt super und wollten da gleich mal vorbeikommen und eine Produktion anrecherchieren. Könnten wir uns dort gleich treffen?" - "Nö." - "Nein?? Warum denn nicht?" - "Ich muß erst fragen, ob die das überhaupt wollen, die Wirtin und die Gäste." - "Ja, sagen Sie mal, der 'Goldene Hahn' hat ja gar keinen Telefoneintrag. Ich würde da sonst gleich mal anfragen." - "Die wollen kein Telefon." - "Ach, das ist aber echt kraß. Trotzdem, ich geb Ihnen jetzt auf jeden Fall mal meine Handy-Nummer." - So, so, da hatten wir jetzt eine richtig flotte informelle Mitarbeiterin aus der privaten Fernsehproduktion an der Funkstrippe. Ich wollte sie weg haben: "Moment mal, Frau Avanti, da ist noch was. Wir wollen Honorar!" - "O!" - "O ja! Zweitausend!" - Betretenes Schweigen, der Beschuß mit Interjektionen fand ein jähes Ende. Kurze Besinnung und dann: "Herr Kapielski, da muß ich Sie mal zu Herrn Hochkant durchstellen." - Knick knack: "Guten Tag, Hochhut von Avanti-Media 2000! Was wollen Sie denn mit so viel Geld?" - "Das, was Sie damit vielleicht auch wollen würden. Wir möchten bei Inge einen Bierfond einrichten, damit auch bei Flaute unter den Armen ausgeschenkt wird." Ab hier hielten die uns immer für voll voll und echt kraß verblödet.
Täglich klingelten mehrere solcher privaten Filmzulieferer und fanden alles total gut und echt super. Ab zweitausend Mark wurde man durchgestellt, und beim Bierfond fanden die voll guten Absichten regelmäßig ihr Ende.
Bis Jürgen von der Lippe auch erst mal eine Tussi zum Anrecherchieren auf Kramer und mich ansetzte. Geldprobleme schienen die nun gar nicht zu haben. Im Gegenteil, sie deuteten unsere hohen Bierpreise sogar als Zeichen medialer Professionalität aus. Es sollte irgendeine Live-Sendung werden; da mochten sie sichergehen, daß die zwei kecken Kneipenretter nicht im Angesicht der vielen Scheinwerfer und Kameraonkels mit feuchten Händen dasitzen, stottern und schwitzen. Also macht man einen Probedreh, schaut, ob die Herren halbwegs fotogen den weiten Weg in die Fernsehstuben überstehen, und will auch sonst noch einiges Privates wissen, damit man weiß, wer man ist und was man fragen könnte und in welcher Hinsicht der Moderator doofer als die Kneipenretter sein könnte. Sie bereiten sich vor: Tausend Absicherungen prästabilieren die 'Live'-Harmonie!
Ich rief Kramer an. Kramer begeistert. Mir war die Sache unheimlich. Ich hatte solche TV-Kurzauftritte schon erlebt. Man wartet den halben Tag in öden Funkhäusern; sie achten wie die Besessenen darauf, daß man sich vorher ja keinen ansäuft, und dann wirst du in der Maske mit einem Puder bestrichen, der für dreißig Minuten die Schweißdrüsen außer Funktion setzt. Und dann sitzt du da, im gleißenden Licht, und weil der Schweiß ja irgendwo raus muß, tropft er um so stärker aus den Hosenbeinen und bildet unten peinliche Pfützen. Ein gutlauniger Profi tritt auf, labert voller Begeisterung in den Kameraschacht mit der roten Lampe und schießt seine Salven ab. Dann fragt er was Unklares, du sagst "Ja, schon...", und das war es dann schon! Sie beklatschen dein "Ja, schon, ä..." und dann kommt auch schon der nächste Patient hereingegrinst, um sein "Ja, aber, ä..." von sich zu geben. Dann darf man ein Taxi in ein Mainzer Hotel nehmen und sich auf eigene Rechnung an der Hotelbar besaufen. Mit dem etwas später eintreffenden anderen "Ja, aber"-Mann hockt man zwischen gemütskranken Vertretern und macht Manöverkritik: "Nächstesmal muß man gleich, ä, dazwischenreden und seine wichtigen Sachen sagen, wa?!" - "Genau!"
"Kramer", empfahl ich, "das lassen wir lieber! Gegen die Säue kommst du nicht an. Da geht's um den Lippe und nicht um uns." Um im Fernsehn zu bestehen, muß man eine gewisse Stärke haben. Die kann man sich antrainieren, aber es ist auch eine gehörige Portion Naturtalent nötig. Den Wolfgang Neuss schafft nicht jeder! Und wenn man frech wird im Fernsehn, dann ziehen sie dir das Mikro runter und schalten die Kamera auf eine andere Grinsbacke, da kannst du rumfuchteln wie du willst. Dezente Herren führen dich notfalls nach hinten ab in die Kulissen. Ich hab es erlebt.
Wir waren uns schließlich einig, wir machen das trotzdem mal. Das wird schon! Dann schickte Kramer zur Anrecherche seinen anarchistischen Verlagskatalog und seinen verferkelten 'Schwarzen Kalender' mit hin, und das Problem war erledigt. Eine freundliche Absage, und man hörte nie wieder was von Donnerlippe.
(Schöne "Geschichte & Geschichten" zum Goldenen Hahn haben jetzt gesammelt und herausgebracht Bernd Kramer und Erik Steffen; das kann man beim Karin Kramer Verlag Berlin bestellen: info@karin-kramer-verlag.de)

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