Friday, January 12, 2007

Für Sarkozy oder gegen Royal?

Im April wählen die Franzosen einen neuen Präsidenten beziehungsweise eine neue Präsidentin. Ungewiss ist dabei die Haltung der jüdischen Bürger und Bürgerinnen des Landes. Sind sie wirklich aktiv für Nicolas Sarkozy oder haben sie nur ihre Zweifel in Bezug auf dessen Gegenkandidatin Ségolène Royal? (Foto)
Von Brett Kline
Je näher die französischen Präsidentschaftswahlen rücken, umso deutlicher zeichnet sich die Unterstützung für den konservativen Innenminister Nicolas Sarkozy durch die jüdischen Franzosen ab. Unklar ist zurzeit aber noch, ob die Juden sich von Sarkozys proisraelischer Haltung und seinem entschiedenen Vorgehen bei den Unruhen in den Vorstädten und gegen die islamischen Fundamentalisten haben überzeugen lassen, oder ob sie schlicht nichts von Ségolène Royal halten, der sozialistischen Gegenkandidatin von Sarkozy. «Normalerweise wähle ich nicht», sagt Michael Sebban, ein Philosophielehrer und Schriftsteller. «Dieses Mal aber habe ich mich eingetragen und werde Sarkozy meine Stimme geben. Effektiv wähle ich aber gegen Ségolène Royal und die Sozialistische Partei, weil ihre Auffassung von der internationalen Politik schlecht für Israel ist.» Der Textilfabrikant Simy Bendahan doppelt nach: «Jeder, den ich kenne, wählt Sarkozy, und ich werde das Gleiche tun.» In der Regel habe er für die Sozialisten gewählt, fügte er hinzu, doch Ségolène Royal verstehe nicht viel von Aussenpolitik, auch nicht von der Situation im Nahen Osten.
Royals Nahostreise
Die Wahlen im April werden in zwei Wahlgängen ausgetragen. Am ersten nehmen alle Kandidaten und Parteien teil, während zur zweiten Runde nur noch die beiden Spitzenkandidaten zugelassen sind. Während man im Allgemeinen immer noch von der Stimmabgabe entlang von Parteilinien spricht, macht sich innerhalb der 600000 Seelen starken jüdischen Gemeinde immer mehr der Trend bemerkbar, eher gegen die eine Kandidatin und weniger für den anderen Kandidaten zu stimmen. Royal wolle, bemerkte Sebban, mit allen demokratisch gewählten Offiziellen in anderen Staaten sprechen. Anfang Dezember traf sie sich im Rahmen einer Nahostreise, die sie auch nach Israel führte, mit Parlamentariern der Hizbollah und mit palästinensischen Führern im Gazastreifen. «Auf dem Papier sieht das grossartig aus», sagt Sebban. «Vergessen wir aber nicht, dass in verschiedenen Staaten fragwürdige Menschen gewählt werden, wie zum Beispiel innerhalb der Hamas oder Mahmoud Ahmadinejad in Teheran. Wenn sie mit diesen Menschen sprechen will, werde ich sie nicht wählen.» – Auf ihrer Nahostreise wurde Royal kritisiert, weil sie nicht sofort einen offiziellen Vertreter der Hizbollah verurteilte, als er in Beirut Israel mit den Nazis verglich, die Frankreich besetzt hatten. Erst am nächsten Tag sprach sie von «unannehmbaren, abscheulichen» Bemerkungen und machte die schlechte Übersetzung für das Ausbleiben einer sofortigen Reaktion verantwortlich.
Sarkozy als gute Alternative?
Ariane Warlin, Redaktorin der links-orientierten Zeitung «Le Monde» – Warlin leitete auch eine Talkshow an der inzwischen stillgelegten jüdischen TV-Station TFJ –, meint, nicht einmal unter normalen Umständen sei es sicher, ob es überhaupt so etwas wie eine «jüdische Stimme» gebe. «Doch dieses Mal sagen viele Juden, sie würden für Sarkozy und die rechts der Mitte angesiedelte UMP-Partei stimmen. Sarkozy macht keinen Hehl aus seiner Unterstützung für Israel, aus seinem Vorgehen gegen die Gewalt in den Vororten und gegen das Aufkommen des islamischen Fundamentalismus.» Als Innenminister agierte Sarkozy laut Warlin gegen illegale Einwohner in Frankreich, vor allem gegen Menschen aus Westafrika und dem arabischen Nordafrika. Es gab eine Anzahl von Ausschaffungen. «Sogar Leute», betont sie, «die sich von seinem demagogischen Vorgehen den Illegalen gegenüber abgestossen fühlten, können sich an keinen anderen wenden, da die Offiziellen der Sozialistischen Partei die Situation einfach ignorierten. Auch ich bin sehr versucht, für ihn zu stimmen.»
Sarkozy ist nach Sebbans Ansicht der einzige Kandidat innerhalb aller Parteien, der erkannt hat, dass sich das französische Volk immer mehr in verschiedene Gemeinschaften teilt, wie nordafrikanische Araber, Muslime, Juden, Afrikaner und Asiaten. Als Innenminister versuchte Sarkozy, sich der Bedürfnisse dieser Gemeinschaften unter anderem dadurch anzunehmen, dass er einen muslimischen Rat schuf, ähnlich dem jüdischen Dachverband Conseil représentatif des institutions juives de France (CRIF). Das mochten viele Franzosen jedoch nicht. «Viele Franzosen sehen in der Behandlung gemeindespezifischer Anliegen das Eingestehen des Fehlschlagens des sogenannten republikanischen Modells, dem zufolge alle Franzosen als gleich gelten. Ursprünge werden, im Gegensatz zu Umfragen oder Berichten über Verbrechen, nicht erwähnt.» Für viele Juden gelte aber, wie er erklärt, das Gegenteil. «Sie erkennen sich in der Identität der Gemeinde, vor allem die Juden aus Nordafrika. Sie unterstützen Sarkozy, weil er aus seiner proisraelischen Haltung kein Geheimnis macht. Auch macht er die Unsicherheit von Juden in bestimmten Vororten zum Thema, die von ihren jugendlichen arabischen Nachbarn attackiert werden.» Für viele Durchschnittsfranzosen seien sowohl die Angreifer als auch die Opfer Franzosen und nichts mehr, meint Sebban, bevor er einräumt: «Die Juden und auch Sarkozy wissen dies aber besser».
Keine offizielle Position
Dieser Standpunkt wird nicht überall geteilt. «Die jungen Nordafrikaner in problematischen Wohnvierteln», sagt Michel Lachkar, ein TV-Journalist jüdisch-marokkanischen Ursprungs, der früher in der extremen Linken tätig war, «werden aufhören, Autos in Brand zu stecken oder sich dem radikalen Islam zuzuwenden, wenn man ihnen die Möglichkeit gibt, zu arbeiten.» Sarkozy habe als Innenminister trotz aller harten Worte nichts unternommen. «Die Sozialistische Partei ist, so denke ich, besser gerüstet, einen Wandel herbeizuführen, und Ségolène Royal ist interessanter, als der erste Eindruck es vermuten lässt. Ich sage das eher als Franzose und weniger als Jude.» Die Unterstützung Israels durch Sarkozy bedeutet für Lachkar eine Abkehr von der traditionellen rechtsgerichteten Politik. «Rechtsstehende Gaullisten waren im Nahen Osten immer proarabisch», sagte er. «Sarkozy dagegen ist offen für Israel und kritisiert die Hamas und die Hizbollah. Das zieht natürlich viele Juden an.» – Für Sebban ist die Tatsache, dass es sogar Juden gibt, die den rechtsextremen Le Pen wählen, ein Beweis dafür, dass es auch «unter uns Juden Idioten gibt». Roger Cukierman, Präsident der CRIF, unterstreicht die Neutralität seiner Gruppe im Wahlkampf. «Wir sagen den Leuten nicht, für wen sie wählen sollen. Wir haben keine offizielle Position. Einige Leute unterstützen Sarkozy, andere nicht. – Adeline Attia, Chefin einer Marketingfirma, weiss nicht, für wen sie die Stimme abgeben soll. «Zum ersten Mal fühle ich mich auf verlorenem Posten. Sarkozy hat keine Ethik, und Ségolène Royal besitzt einfach nicht das Format, das eine Präsidentin haben muss.»

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