Die Ermordung von Hrant Dink
Von Boris Kalnoky
Die tödlichen Kugeln auf den türkisch-armenischen Publizisten Hrant Dink wurden "gegen die Türkei" abgefeuert, sagte Ministerpräsident Erdogan. Von Generalstabschef Büyükanit bis zu den Medien wurde dieses Schlagwort in der gesamten türkischen Gesellschaft wiederholt. Es besagt, dass der oder die Mörder eigentlich keine Türken sind, sondern Verräter, die dem Lande schaden wollen. Die Türkei selbst ist das Opfer.
In Wirklichkeit ist es umgekehrt. Es war die türkische Gesellschaft, die Dink zum Opfer machte, sie war es, die die Kugeln abfeuerte. Über die zahlreichen Prozesse gegen Dink hatten die Medien berichteten. So wurde er zum Verräter abgestempelt. Weil er Dinge sagte, die man in der Türkei nicht sagen darf: Dass Staatsgründer Atatürk ein armenisches Waisenmädchen adoptierte (Dink war selbst Waise) und dass es einen Völkermord an den Armeniern gab. Dink war einer der wenigen verbliebenen Armenier in der Türkei und fast der einzige, der öffentlich die Stimme erhob. Diese letzte Stimme ist nun erloschen.
Mit verantwortlich sind Gesetze aus dem Arsenal von Polizeistaaten. "Beleidigung des Türkentums", ein Hochverrats-Tatbestand, von dem niemand außer türkischen Staatsanwälten und Militärs weiß, was er überhaupt bedeuten soll. Der entsprechende Strafparagraf 301, Instrument des Rufmords an Intellektuellen, sollte auf Drängen der EU abgeschafft werden, die Regierung versprach "Änderungen". Das gilt nicht mehr - der mörderische Paragraf bleibt bestehen, weil das Militär es so will.
In Internetforen war der Mann bereits tot, bevor er starb. Beim Istanbuler Vizegouverneur Dündür wurde ihm gedroht. Die Polizei schützte ihn nicht, obwohl ihm Gefahr drohte. Er wollte wohl selbst keinen Personenschutz, aber allen muss klar gewesen sein, dass es eine Katastrophe für die Türkei und ihr Ansehen im Ausland sein würde, wenn ihm etwas zustieße. Wer das bei den türkischen Sicherheitsbehörden nicht erkannt hat, hat versagt.
Nun wollen alle "Hrant Dink" heißen, die ihn zuvor in die Enge trieben: Politiker, Bürokraten und Meinungsmacher. Keiner von ihnen wird jemals selbst erleben, was es bedeutet, von der türkischen Gesellschaft gejagt zu werden. Daher wird sich nichts ändern.
Artikel erschienen am 22.01.2007
diewelt.de
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