Der Streit zwischen al-Qaida und Hamas von jörn schulz
Ayman al-Zawahiri ist unzufrieden. »Die Hamas ging mit dem Satan USA und seinem saudischen Agenten zum Picknick«, nörgelte der al-Qaida-Stratege. Die Entscheidung, gemeinsam mit der Fatah eine Regierung zu bilden, statt endlich wieder »Märtyreroperationen« durchzuführen, sei eine »Kapitulation« und eine »Aggression gegen die Rechte der islamischen Gemeinschaft«. Umgehend versicherte die Hamas, sie arbeite weiterhin an der Vernichtung Israels: »Wir werden das Versprechen, das wir Gott gaben, nicht verraten und weiterhin den Weg des Jihad und des Widerstands gehen, bis zur Befreiung Palästinas, ganz Palästinas.«
Hinter dem bizarren Streit unter Antisemiten könnte sich mehr verbergen als eine Meinungsverschiedenheit über die Modalitäten des Terrors. Die al-Qaida-Führung, für die Zawahiri spricht, bemüht sich seit etwa fünf Jahren, in den palästinensischen Gebieten Fuß zu fassen. Bislang offenbar ohne größere Erfolge, doch die Bereitschaft der Hamas, die Macht zu teilen, und das zu erwartende Versagen der neuen palästinensischen Regierung bei der Lösung der sozialen und politischen Probleme könnten dazu führen, dass unzufriedene Extremisten sich dem »globalen Jihad« zuwenden.
Ursprünglich kämpfte al-Qaida vornehmlich gegen Regierungen islamischer Länder, die sie wegen ihrer Bündnisse mit den USA für gottlos erklärte. Das Spektrum der Anschlagsziele ist seitdem größer geworden, doch weiterhin lehnt das Netzwerk die offene Zusammenarbeit mit islamischen Regierungen und säkularen Organisationen ab. Die meisten islamistischen Organisationen sind in dieser Hinsicht weniger dogmatisch. Die ägyptische Muslimbruderschaft ist so sehr an der Kooperation mit säkularen Oppositionsgruppen interessiert, dass Gamal al-Banna, einer ihrer führenden Ideologen, nun sagt, jeder Muslim habe »das Recht, sich vom Islam loszusagen«.
Die Hamas hat hinreichend deutlich erklärt, dass ihr Bündnis mit der ohnehin eher nationalreligiösen als säkularen Fatah keinen Verzicht auf den Jihad nach sich ziehen wird, und es ist unwahrscheinlich, dass die Bekenntnisse der Muslimbruderschaft zur Toleranz mehr sind als eine taktische Maßnahme. Für al-Qaida ist das einerseits eine Chance, jene um sich zu scharen, die jede Andeutung von Kompromissbereitschaft als Verrat betrachten. Andererseits muss das Netzwerk befürchten, dass andere Islamisten sich deutlicher von seinem Terror distanzieren und manche sich sogar für den Kampf gegen den »globalen Jihad« rekrutieren lassen.
Die meisten islamischen Regierungen sind zur Zusammenarbeit mit Islamisten bereit, und die US-Regierung scheint in ihrem Bemühen, schiitische Islamisten zu isolieren und al-Qaida zu bekämpfen, auch auf deren sunnitische Konkurrenz zurückgreifen zu wollen. Dass Anfang März »Stammeskrieger« im pakistanischen Grenzgebiet zu Afghanistan, dem Rückzugsraum der al-Qaida, gegen ausländische Jihadisten kämpften, war möglicherweise ein Ergebnis dieser Politik.
Im schärferen Konkurrenzkampf mit Gruppen, die im nationalstaatlichen Rahmen Einfluss gewinnen wollen, dürfte das transnationale Netzwerk al-Qaida vor allem um mehr street credibility bemüht sein. Um die ist es derzeit nicht sehr gut bestellt. Zawahiri ermahnte bereits im Januar die somalischen Islamisten, nicht vor den einmarschierten äthiopischen Truppen zu flüchten. Eigene Terroraktivitäten kann die alte Garde seit Jahren nicht mehr vorweisen. Viele westliche Experten glauben jedoch, dass die al-Qaida-Führung sich reorganisiert und neue Finanzquellen erschlossen hat.
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