Zum ersten Mal in der Geschichte Israels ist die Festlegung auf den bestehenden „Status quo“ zwischen Religiösen und Säkularen nicht mehr im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Bislang sicherte diese Festlegung die Sicherung der unverhältnismäßigen Privilegien insbesondere für die ultra-orthodoxen Gruppen: Befreiung ihrer Studenten von der Wehrpflicht, unverhältnismäßige finanzielle Zuschüsse für ihre Bildungseinrichtungen und Monopol der strenger orthodoxen im Oberrabbinat in Jerusalem, Rabbinatsmonopol bei Eheschließungen und einige andere Regelungen etwa im Bildungssystem. Das bislang diese Privilegien nicht ernsthaft in Frage gestellt wurden, hat mehrere Ursachen.
Zum einen war bislang die strengorthodox-spehardische Shass-Partei als Koalitionspartner notwendig, zum anderen stehen die linken und ultralinken Parteien, die inzwischen vom Wähler immer mehr marginalisiert werden in Israel, in einer wesentlich intensiveren Wechselbeziehung zu den Ultraorthodoxen, als sie es zugeben möchten. Auf der einen Seite brauchen die linken und ultralinken Parteien die Ultraorthodoxen als Popanz und vermeintliches Feindbild – zum anderen gibt es etwa zwischen der ultralinken Meretz-Partei und den ultraorthodoxen Parteien eine nahezu deckungsgleiche Position etwa zum Wohnungsbau in den israelischen Landesteilen Judäa und Samaria – nämlich die kathegorische Ablehnung des sogenannten „Siedlungsbau“ in den sogenannten „besetzten Gebieten“.
Die Festlegung auf den Status quo stammte noch aus dem Gründungsjahr des modernen Israels, 1948, und berücksichtigte vor allem die Forderungen der ultra-orthodoxen Gruppen. Das erstmalige Fehlen dieser Verpflichtung wird als entscheidender Auftakt zu einem tiefgreifenden Reformprozeß in Israel gewertet, der der gesellschaftlichen Entwicklung Rechnung trägt. Während bei den ultraorthodoxen Hareide-Parteien Shass und „Vereinigtes Torah-Judentum“ der neue Koalitionsvertrag „mit Besorgnis“ aufgenommen wurde, wurde die Vereinbarung in säkularen, rechtszionistischen und gemäßigt religiös-zionistischen Kreisen ausdrücklich begrüßt. Vor allem die beiden großen Wahlsieger der Knessetwahlen, die Mitte-Rechts-Partei Yesh Atid von Yair Lapid und die rechtszionistische „Siedlerpartei“ haBeit haJehudi von Naftali Bennett hatten diese Änderungen und die damit einhergehenden beginnenden Reformen zu Bestandteil ihrer zentralen Forderungen gemacht. Die Erkenntnis, die für manche vielleicht überraschend sein mag: Nicht die Linke, die nie in der Lage und wohl auch nie ernsthaft willens dazu war, hat diesen Schritt geschafft, sondern die israelische Rechte.
Die Gruppe „Für eine denkende religiöse Kultur“ bezeichnete die Koalitionsvereinbarung als eine „historische Leistung, die der gesamten Gesellschaft zu Gute kommen wird.“ Am Samstagabend, nach Ende des Shabbats, präsentierte Ministerpräsident Binjamin Netanyahu vom konservativen Likud den Koalitionsvertrag und die Vorschlagsliste für das neue Koalitionskabinett Staatspräsident Shimon Peres.
Inzwischen sind sich Shass und Meretz auch beim gemeinsamen orakeln einig geworden. Vertreter beider Oppositionsparteien weissagen ein „baldiges Scheitern der neuen Regierungskoalition“ voraus und offenbaren auch hier mehr Übereinstimmung, als sie eigentlich nach außen zugeben möchten.
haolam
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