Thursday, July 04, 2013

Die Kunst des politisch korrekten Holocaust-Gedenkens in Deutschland

Petra Marquardt-Bigman, The Warped Mirro (Jerusalem Post blogs), 29. Juni 2013
Letzten Freitag hatten die Menschen in Köln die Chance an einer einzigartigen „Performance“ teilzunehmen, die vom „Impulse Theater Biennale 2013“ gesponsert wurde: In Nachahmung der israelischen Gepflogenheit zum Yom HaShoah (Holocaust-Gedenktag) waren die Menschen in Köln eingeladen „Zwei Minuten Stillstand“ zu einzuhalten, um „anzuhalten, über die Geschichte nachzudenken und über unsere Zukunft. Was bedeutet es heute, deutsch zu sein, als Einwanderer in Deutschland zu leben, welche Konsequenzen haben der Holocaust ebenso wie seine Instrumentalisierung noch immer?“
Diese „Performance“ war die Idee der preisgekrönten, in Israel geborenen Künstlerin Yael Bartana, deren Arbeit „das nationale Bewusstsein herausfordert … das von ihren Heimatland Israel propagiert wird“.
Doch nicht jeder ist von Bartanas Akte als Künstlerin und ihren Preisen beeindruckt. In der WELT stellt Alan Posener sarkastisch fest: Wer als israelischer Künstler nach einem Businessplan sucht, bei dem es nicht auf die Begabung ankommt, sollte das Israel-Bashing in Betracht ziehen. Was Posener besonders ärgert, war Bartanas völlig vorhersehbarer Versuch alle Arten abgenutzter Parolen und Klischees anzuwenden, um ihr Projekt mit einer angeblich tieferen Bedeutung auszustatten.
Und so erklärte Baratana in der offiziellen Ankündigung ihres Projekts für das Event in Köln:
Denn „Drittes Reich“ und Holocaust sind nicht nur historische Ereignisse – sie erzeugten auch langfristige globale Kettenreaktionen bis in unsere Gegenwart hinein: nicht nur die Gründung des Staates Israel aufgrund eines Beschlusses der UN ist eine Konsequenz daraus, sondern auch die palästinensische Nakba in 1948. Ebenso wie Flucht und Vertreibung in Europa und im Nahen Osten [bis hin zu den NSU-Morden, deren Täter sich klar und eindeutig in der Tradition des Nationalsozialismus begreifen und deren Verbrechen das Ziel haben, alles „Fremde” aus der deutschen Gesellschaft zu verbannen.] Diese Geschichte ist geschrieben, aber die Zukunft hängt von unserem Handeln ab.
Und so ist „Zwei Minuten Stillstand“ nicht nur Gedenken und Performance, sondern auch und vor allem eine Aufforderung, die Gegenwart zu verändern. Ein Angebot für eine breite Debatte in Köln und darüber hinaus, wie aktives Erinnern heute und zukünftig aussehen sollte. [Welchen Einfluss Geschichte auf die Gegenwart haben kann, was wir tun können, um unsere Zukunft aktiv zu gestalten.] Ein Tag des Aufbegehrens gegen Gewalt und Ungerechtigkeit heute und morgen.
Bartana hob wiederholt die Morde und andere Verbrechen heraus, die von einer kleinen, sich „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) nennenden Terrorgruppe begangen wurden. Die Gruppe mag eine Handvoll Unterstützer haben, doch sie bestand aus nur drei bekannten Mitgliedern und scheint zwischen 2000 und 2011 aktiv gewesen zu sein, als zwei der Terroristen sich selbst töteten, weil sie von der Polizei nach einem Bankraub in die Enge getrieben wurden. Das einzige überlebende Mitglied der Gruppe stellte sich selbst und erwartet ihren Prozess.
Bartana bestrachtet die NSU offensichtlich als einen Teil der „vom Zweiten Weltkrieg erzeugten Kettenreaktion“. In einem Interview gefragt, ob es „die Gefahr der Wiederbelebung der von Deutschland während des NS-Regimes begangenen Verbrechen und Schrecken gibt, wenn Sie sie auf diese Weise mit anderen Ereignissen wie den NSU-Morden verbinden“, antwortete Bartana:
Es scheint, dass es für einige Menschen in Deutschland als politisch inkorrekt gilt, eine Linie zwischen dem Nationalsozialismus und dem NSU zu ziehen. Genauso wie es unmöglich scheint, Juden, Roma und Homosexuellen als Opfern des Nationalsozialismus gemeinsam zu gedenken. Vielleicht ist das richtig und jeder braucht sein eigenes Gedenken. Und natürlich wird das eine wichtige Diskussion bleiben: Wie gedenkt man ohne zu relativieren? Aber eben auch ohne andere auszuschließen. Schließlich: Es geht nicht um Zahlen. Und der NSU ist eine aktive faschistische Bewegung im heutigen Deutschland. Wir reden also von einer Ideologie, die noch am Leben ist.
Natürlich muss man argumentieren, dass „es nicht um Zahlen geht“, wenn man behaupten will, dass eine aus drei Personen und vielleicht ein paar Dutzend Sympathisanten bestehende Terrorgruppe „eine aktive faschistische Bewegung im heutigen Deutschland“ darstellt und „eine Ideologie (repräsentiert), die noch am Leben ist“ – selbst wenn zwei der Terroristen tot sind und die dritte im Gewahrsam auf ihren Prozess wartet. Selbstverständlich stellt die Tatsache, dass das Terrortrio Jahre lang agieren und eine Reihe von Morden, zumeist an Einwanderern, begehen konnte, ein spektakuläres Versagen der deutschen Rechtsschützer und Sicherheitsbehörden dar. Doch die Existenz einer so kleinen Gruppe in einem Land von rund 80 Millionen Menschen weist nicht darauf hin, dass der Nationalsozialismus und Faschismus in Deutschland „am Leben“ ist.
Es gibt aber andere Gründe sich wegen des Erbes des Nationalsozialismus in Deutschland zu sorgen – was natürlich von jemandem wie Bartana praktischerweise ignoriert werden kann, der sich nicht für Zahlen interessiert. Bedenken Sie zum Beispiel die Ergebnisse von Studien, die zeigen, dass mindestens 20 Prozent der Deutschen antisemitische Einstellungen hegen und dass mehr als 40 Prozent der Deutschen antisemitischer „Kritik“ an Israel beipflichten – so den Vergleich israelischen Umgangs mit Palästinenser damit, wie die Nazis mit den Juden umgingen.
Doch jeder, der sich wirklich wegen von den Nazis inspiriertem Hass Sorgen macht, der heute „noch lebt“, müsste den vorherrschenden Judenhass im Nahen Osten erwähnen. Der gefeierte Experte Robert Wistrich hat argumentiert:
Islamischer Antisemitismus ist bei weitem die dynamischste und bedrohlichste Form des Antisemitismus, der heute in der zeitgenössischen Welt existiert. Sie kombinierte die Geißel des islamistischen Terrorismus, die Verbreitung des Jihad, den Hass gegen den Westen, Holocaust-Leugnung und den völkermörderischen „Antizionismus“, der im Iran staatlich zugelassen ist. Der dramatische Triumph der Muslimbruderschaft in Ägypten und das alarmierende Erstarken militant salafistischer Bewegungen überall im arabischen Nahen Osten haben das Niveau der weltweiten Bedrohung enorm erhöht.
Als Kommentar zu der historischen Verbindung zwischen europäischem Faschismus und dem Islamismus hat Wistrich betont:
Die 1928 von Hassan al-Banna in Ägypten gegründete Muslimbruderschaft hat eine radikal totalitäre Vision gesellschaftlicher Verwandlung, einen Führerkult und tief sitzenden Hass gegen Juden, der sich nicht wirklich von dem des Faschismus und Nationalsozialismus unterscheidet. Darüber hinas war der charismatischer Gründer der palästinensisch-arabischen Nationalbewegung, Hadsch Amin al-Husseini ein fanatisch völkermörderischer Antisemit, der während des Zweiten Weltkriegs aktiv mit Adolf Hitler kollaborierte. Diese „Vernichtungs“-Tradition des Judenhasses hat sich bis heute in der palästinensischen Hamas-Bewegung fortgesetzt (einen Ableger der Muslimbruderschaft). Ihr heiliger Bund ist einer der unverhülltesten antijüdischen Texte der gesamten Nach-Holocaust-Ära.
Es wurde zwar schon viel über Husseinis Zusammenarbeit mit den Nazis geschrieben, doch ein neues Buch von Barry Rubin und Wolfgang G. Schwanitz, „Nazis, Islamists, and the Making of the Modern Middle East”, wird Anfang nächsten Jahres zur Verfügung stehen; es bietet „neue Einsichten in die miteinander verflochtene Entwicklung des Nationalsozialismus und des Islamismus und ihren Einfluss auf den modernen Nahen Osten“.
Zugegeben, es wäre kein guter Karriereschritt für Yael Bartana, dieses wichtige Thema in irgendeines ihrer zukünftigen Projekte in Deutschland einzuarbeiten. Es ist so viel leichter einen oberflächlichen „Holocaust für alle“ zu bieten, der – wie ein kritischer Artikel in der taz es formuliert – den Nazi-Völkermord in ein „europäisches Wohlfühlprojekt“ verwandelt.
Doch Bartanas „Performance“ in Köln wohnten auch ein paar wenige Personen bei, die kein gutes Gefühl dabei hatten. Wie vom Blogger „Tapfer in Nirgendwo“ inszeniert, sagen sie die Hatikva und einige hielten israelische Flaggen – was einige Oberstufenschüler, die von ihren Lehrern zur Teilnahme an der „Performance“ geschickt worden waren, darauf mit Gebrüll „Viva Palästina!“ zu reagieren.
Hätte ich mich „Tapfer im Nirgendwo“ anschließen können hätte ich die berühmte Aufnahme von Überlebenden des KZ Bergen-Belsen abgespielt, wie sie kurz nach der Befreiung des Lagers im April 1945 Hatikva sangen.
heplev

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