Die Geschichte des Gustl Mollath, die in den Medien hartnäckig als Krimi bezeichnet wird, hat, was ihren Spannungsgehalt angeht, zwar nicht das Zeug zu einem Psychothriller des neuen Typs. Doch darauf kam es in Deutschland genauso wenig an wie auf den mäßig beeindruckenden Helden. In den USA hätte das skandalverliebte Publikum abgewinkt oder nach der Prüfung der anderen Version, der Geschichte Petra Mollaths, verlangt. Dass in Deutschland innerhalb von drei Jahren aus einer Initiative von obskuren Internet-Plattformen eine von den Qualitätszeitungen und als seriös geltenden Magazinen des öffentlich-rechtlichen Fernesehens angeführte virtuelle Massenbewegung gegen die da oben wurde, hat seinen Grund darin, dass die Öffentlichkeit im Verein mit dem sich selbststilisierten Opfer mit ihrer Kampagne gegen das „System“ weniger eine Verfilzung von Bankenmacht und Staat als vielmehr die Psychiatrie als Wissenschaft und Institution ins Visier genommen hatten. Und nichts anderes bezweckt im Grunde der Psychothriller neuen Typs. Der Unterschied zwischen den angelsächsischen Ländern und Deutschland liegt nicht in einem durchaus geistesverwandten Publikum, sondern darin, dass es im einen Fall Unterhaltung sucht und im anderen in einer die gesellschaftliche Paranoia bedienenden Hollywood-Produktion längst die Wahrheit über das amerikanische Imperium erkennt, das angetreten ist, uns in ewiger Unfreiheit zu halten und letztlich um den Verstand zu bringen.
In der Inszenierung des Falls Mollath ging es von Beginn an darum, kategorisch auszuschließen, was sich aufdrängte: dass der Held psychisch erkrankt ist. Von Anfang an wäre zu erkennen gewesen, dass Mollaths scheinbar so einsamer Kampf gegen Institutionen und Verschwörungen privater und globaler Art, doch nur das Umsichschlagen eines gekränkten Ehemanns und gescheiterten Kleinunternehmers war. Ein kleinlicher, wehleidiger und selbstgerechter Mann legte seiner Frau permanent in den Mund, was er selber mit ihr vorhatte: Nicht Petra Mollath hat alles daran gesetzt, ihn „fertig zu machen“, es war genau anders herum. Den Mindeststandards bürgerlichen Verhaltens, die ein gewisses Maß von Fair-Play gerade auch dann vorsehen, wenn die Lebensgefährtin sich trennen will und es um die eigene persönliche wie finanzielle Zukunft schlecht bestellt ist, konnte und wollte Gustl Mollath nicht gerecht werden. Es ist jenes Rudiment von Ritterlichkeit, wonach man sich ins Unvermeidliche zu schicken hat und weder nach innen noch nach außen Krawall schlägt oder mit falschen Verdächtigungen hausieren geht, das Mollath und seine Gemeinde empört und scheinrational zurückweisen. Dabei hätte man an Hand des reichlich ausgebreiteten Materials leicht erkennen können, dass Mollath kein ums Gemeinwohl besorgter Bürger ist, der persönliche Rücksichtnahme und Diskretion zurückstellte, weil höhere Rechtsgüter in Gefahr waren. Wer mehr als fünf Jahre lang von den möglicherweise nicht gesetzeskonformen Geschäften seiner Frau weiß und davon profitiert, aber den Mund hält, um im Augenblick der nicht mehr aufzuhaltenden Trennung zuzuschlagen, muss sich vielmehr nachsagen lassen, dass er in erpresserischer Weise versucht hat, seine Frau zu zwingen, die Ehe fortzusetzen.
In einer zwar nicht mafiös verbandelten, aber sehr wohl hässlichen Kumpanei von vorwiegend wohlhabenden Nachbarn, Freunderln, Vereinskameraden – unter ihnen Honoratioren, Unternehmer und eben auch Versicherungsmenschen – haben die zunächst nicht sehr vermögenden Mollaths die 80er Jahre bis zur Trennung im Jahr 2002 zugebracht. Einer von diesen Freunden, Edward Braun, seines Zeichens Zahnarzt aus Bad Pyrmont, hat 2011 in einer seither überall auszugsweise zitierten eidesstattlichen Erklärung einiges ausgeplaudert über den Charakter einer Clique, die ihr Unwesen durchaus auch in einem Roman von Eckart Henscheid treiben könnte: „Den ersten Kontakt mit dem Ehepaar Mollath hatte ich im Sommer 1985 und zwar bei einem ‚Incontro Ferrari‘ in Bozen, organisiert vom deutschen Ferrari-Importeur-‚Auto Expo‘. Es trafen sich dort über 100 Ferrari-Fahrzeuge, die sich unter der Führung von Romano Artioli auf dem Weg zur Rennstrecke Mugello machten. Unterbrochen wurde die Anreise kurz vor Modena. Mindestens 10 Ferraris prallten in eine Massenkarambolage. Der Stern berichtete sogar darüber unter dem Titel Ende einer Klassenfahrt.“ Die Begeisterung über so viel Schrott und wahrscheinlich auch Blut hat den Zahnarzt bis heute nicht losgelassen: „Dieser Vorfall war der Beginn einer langjährigen freundschaftlichen Verbindung, die unter rätselhaften Umständen ab 2004 einschlief.“ Bis dahin muss das Leben wie eine Kette schöner Klassenfahrten verlaufen sein: „Unsere gemeinsamen Interessen drehten sich um italienische Prachtautomobile der Marken Alfa Romeo und Ferrari, aber darüber hinaus waren auch kulturelle Events in Südtirol, Reggio Emilia oder in der Toskana angesagt. Im Mittelpunkt stand natürlich die Rennstrecke. So auch 1987 in Hockenheim, unter Leitung des Ferrari Händlers Peter Rosenmaier aus Markgröningen. Gustl und ich wurden mit Siegerpokalen geehrt, Petra hat aus dem Pokal Sekt geschlürft. Durch diese gemeinsamen Veranstaltungen entwickelte sich eine Vertrautheit, die in den folgenden Jahren wuchs.“
Alles hätte immer so weiter gehen können: Er unterhält eine Werkstatt, in der er für aus Pokalen Sekt schlürfendes Gelichter alte Luxus-Sportautos aufmöbelt, und sie macht nunmehr auf höherem Niveau weiter in Versicherungen. Nichts sprach Mitte der 90er Jahre dafür, dass Petra Mollath später als Geistheilerin (www.petra-maske.de) ihr Auskommen suchen und ihr Gustl in einen veritablen Geisterseher sich wandeln würde. Doch Gustl konnte nicht Schritt halten. Während Petra Mollath es verstand, die Kontakte zu vermögenden Leuten zu nutzen, erhebliche Summen von Kunden der Hypovereinsbank an deren Tochterunternehmen in der Schweiz transferieren half und dabei zusätzliche, vom Arbeitgeber nicht vorgesehene Provisionen einstrich, wurde Gustl zum Kostgänger seiner Frau. Im Jahr 2002, als Petra Mollath sich von ihm trennte, war er ökonomisch und persönlich gescheitert: Seine Werkstatt musste bereits im Jahr 2000 geschlossen werden, eigenes Einkommen hatte er längst nicht mehr und sein ererbtes Haus hatte er derart mit Hypotheken belastet, dass die Zwangsversteigerung nur noch eine Frage der Zeit war.
Mollath begann seit der Trennung damit, seine Frau bei ihrem Arbeitgeber, bei der Justiz und sogar bei hochrangigen Politikern systematisch zu denunzieren. Bei der Hypovereinsbank hatte er schließlich Erfolg: Eine interne Untersuchung kam zu dem Ergebnis, dass Frau Mollath entgegen der Richtlinien des Hauses tätig war und auch gegen Steuergesetze verstoßen habe. Ihr wurde fristlos gekündigt – sie erzielte beim Arbeitsgericht aber schließlich auf dem Vergleichswege die Rücknahme der Kündigung und eine Abfindung, was nicht dafür spricht, dass der Prüfbericht der Bank gegen Petra Mollath und andere so einfach als die reine Wahrheit gehandelt werden kann, wie es seit bald zwei Jahren geschieht.
Der Zahnarzt aus Bad Pyrmont, dem Frau Mollath im Jahr 2002 gesagt haben soll, sie werde Gustl etwas anhängen und sie wisse auch schon wie, hatte auch anderes aus der Zeit unmittelbar vor der Trennung zu berichten: „Gustl erklärte mir, dass er sich große Sorgen mache. Petra sei in Geldtransfers verwickelt, die nicht legal seien. Er habe alles dokumentiert (Name, Geldbetrag, Kontonummer), da Petra vieles im häuslichen Büro abwickle und er sich Zugang zu den Vorgängen verschaffen konnte. Sicherheitshalber habe er alle Daten außerhalb seines Hauses 100% sicher vor Zugriffen geschützt.“ Den Ferrari-Spezi haben diese, vorsichtig gesagt, problematischen Methoden der Beweissicherung gegen die eigene Ehefrau keineswegs alarmiert – soweit reicht die Freundschaft nicht. Braun zog sich auf die herzlose und deshalb wohl gesellschaftlich am meisten akzeptierte Art aus der Affäre: „Ich gab zu bedenken, dass ich dazu nichts sagen könne und keine Ahnung habe.“
Vielleicht hat Braun aber das Meiste nur abgeschrieben, denn als Mollath-Unterstützer kannte er alles, was seit Jahren durchs Netz geht, also auch den Denunziationsbrief an den Vorstandsvorsitzenden der Hypovereinsbank vom 12.8.2002. Darin führt Mollath – ganz Biedermann – aus: „Seit Jahren [!] belasten mich diese Geschäfte seelisch und dadurch auch körperlich. Mir ist es seit Jahren nicht möglich, meine Frau zu einem ‚Ausstieg‘ bzw. zu einem durchwegs legalen Handeln in diesen und anderen Dingen zu bewegen. Da meine umfangreichen Versuche erfolglos sind, muss ich Sie um Hilfe und Rat bitten.“
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