Tuesday, October 28, 2014

«Satire darf nicht vor Islamisten kuschen»

Der Schweizer Kabarettist Andreas Thiel stellt sich hinter Dieter Nuhr: Satire dürfe grundsätzlich alles. Der Islam schreie nach einer humoristischen Bearbeitung.

Herr Thiel, der deutsche Kabarettist Dieter Nuhr ist von einem Islamisten angezeigt worden, weil er bei einem Auftritt Sätze gesagt hat wie: «Im Islam ist die Frau frei: in erster Linie frei davon, alles entscheiden zu müssen.» Was ist schlimm daran?
Daran finde ich gar nichts Schlimmes. Ich gebe Dieter Nuhr vielmehr recht. Der Koran bietet mit seinen gewaltverherrlichenden Passagen grossartigen Stoff für einen Satiriker. Nuhr ist noch anständig. Er bezieht sich auf Botschaften des Korans und hinterfragt diese. Inhaltlich hat er im Grunde einfache Botschaften, etwa dass man Frauen nicht unterdrücken soll. Dass das so hohe Wellen schlägt, zeigt, dass es immer noch tabu ist, die Vereinbarkeit des Islams mit westlichen Grundwerten infrage zu stellen.
In Deutschland gibt es Satiriker, die mehr oder weniger offen zugeben, die Finger von der «heissen Kartoffel» Islam zu lassen – aus Angst vor den Reaktionen.
Das ist grundfalsch. Satire darf nicht vor Islamisten kuschen. Schauen sie sich gewisse blasphemische Jesus-Darstellungen an: Warum sollte für den Islam verboten sein, was mit dem Christentum erlaubt ist. Allerdings verstehe ich, wenn sich jetzt nicht alle Kollegen hinter Nuhr stellen. Man muss den Koran schon gelesen haben, um beurteilen zu können, ob er die Wahrheit sagt. Themen, bei denen die Emotionen so hochkochen wie beim Islam, schreien nach einer humoristischen Bearbeitung. Lachen hat eine heilsame Wirkung und leitet als Ventil die Emotionen ab. Dort wo die Humorlosigkeit regiert, ist man dagegen nahe an der Gewaltanwendung.
Als Giacobbo/Müller einen Witz zu Steinigungen im Islam machten, gab es offene Drohungen. Auch Sie nehmen in Ihren Kolumnen in der «Weltwoche» den Islam mit spitzer Feder auf die Schippe. Welche Reaktionen erhalten Sie?
Einerseits gibt es Leute, die mir gratulieren und sagen: «Zum Glück sagt das mal jemand.» Oder man warnt mich, dass es gefährlich sei, sich so zu exponieren. Andererseits gibt es aber auch unanständige Anschuldigungen von Fanatikern, die die Scharia über die Bundesverfassung stellen. Solche Drohungen sind meist vage und pauschal formuliert im Stile von: «Du musst aufpassen, wenn du nachts über die Strasse gehst.»
Nuhr wird vorgeworfen, ein islamophober «Hassprediger» zu sein, der eine ganze Religionsgemeinschaft beschimpfe. Wie weit darf Satire gehen?
In Deutschland muss ein Satiriker vielleicht etwas brachialer sein als in der Schweiz. Bei uns ist das Publikum besser über politische Themen informiert, sodass auch Anspielungen und feine Zwischentöne eher verstanden werden. Grundsätzlich darf Satire aber alles, das ist die Freiheit der Kunst. Nehmen wir den französischen Satiriker Dieudonné als Beispiel, der sich offen antisemitisch äussert. Ich verurteile diese Äusserungen, die ich sehr geschmacklos finde. Auch empfinde ich Satire anderer Künstler oft als unwahr. Dennoch setze ich mich ohne Wenn und Aber für die Redefreiheit ein.
Sind Ihnen die religiösen Gefühle anderer Menschen egal? Gibt es gar keine Grenzen?
Auch Satiriker unterstehen dem Strafrecht. Wer als Satiriker das Blaue vom Himmel lügt, üble Nachrede und Ehrverletzung betreibt, kann rechtlich belangt werden. Aber verletze ich die religiösen Gefühle eines Satanisten, wenn ich als Vegetarier auf seinem Altar statt eines Huhns einen Tofu opfere? Und verletze ich die religiösen Gefühle eines Vegetariers, wenn ich als Kannibale sage, dass ein Satiriker komisch schmeckt?
In letzter Zeit gab es einige Anzeigen gegen Satiriker in der Schweiz. Warum?
Die Flut von Gerichtsfällen ist eine Folge einer allgemeinen Tendenz zur Überregulierung: Die Anti-Rassismus-Strafnorm wird hier dazu missbraucht, Satiriker mundtot zu machen. Rassismus wird so aber ganz sicher nicht verhindert. Hier müssen die Richter mit Freisprüchen Gegensteuer geben.
 20min.ch

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