Nach den jüngsten terroristischen Anschlägen in Paris und Kopenhagen
ist in der öffentlichen Debatte in Deutschland ein seltsam anmutendes
Muster zu erkennen: Obwohl es sich bei den Tätern in beiden Fällen um
radikale Muslime handelte und zu den Opfern jeweils Juden gehörten – die
ermordet wurden, weil sie Juden waren –, gilt die Hauptsorge
von Politik und Medien erstaunlicherweise nicht etwa dem Erstarken des
Antisemitismus im Allgemeinen und des Judenhasses islamistischer
Provenienz im Besonderen. Vielmehr hört man allenthalben Warnungen vor
einem Wachsen der Islamfeindlichkeit und vor einem Generalverdacht gegen
Muslime. Der Antisemitismus dagegen wird entweder unterschlagen oder
wegdefiniert – beispielsweise dadurch, dass der spezifische Charakter
der Attacke auf den koscheren Supermarkt in der französischen Hauptstadt
verschwiegen wird, indem man so tut, als sei die Wahl des Angriffsziels
reiner Zufall gewesen, und von einer »Geiselnahme« spricht, als hätte
der Täter nicht »Ihr seid Juden, ihr werdet heute alle sterben« gerufen
und gleich zu Beginn vier Menschen erschossen, um nur ja keinen Zweifel
daran zu lassen, was das originäre Ziel seines terroristischen Akts ist.
Vielleicht war es auch diese befremdliche Schieflage in der
Diskussion, die Josef Schuster, den Präsidenten des Zentralrats der
Juden in Deutschland, dazu animierte, auf die Gefahr hinzuweisen,
die Juden beim Tragen einer Kippa in Stadtteilen mit großem
muslimischen Bevölkerungsanteil droht. Er hat damit eine unbestreitbare
Wahrheit ausgesprochen (wie übrigens auch Aiman Mazyek, der Vorsitzende
des Zentralrats der Muslime, bestätigte),
die in Deutschland allerdings nur ungern gehört wird. In den
»Tagesthemen« der ARD versuchte die Moderatorin Carmen Miosga sogar,
Schuster der Islamfeindlichkeit zu überführen. Ihr als Frage
camouflierter Vorwurf:
»Wenn Sie jetzt Juden davor warnen, Viertel mit hohem muslimischen
Anteil mit Kippa zu betreten, also, zugespitzt, Juden vor Muslimen
warnen, sorgen Sie damit nicht dafür, dass Muslime sich von Ihnen
angegriffen und stigmatisiert fühlen?« Bewundernswert, wie ruhig der
Zentralratspräsident angesichts dieser eiskalten Täter-Opfer-Verdrehung
blieb, und fast schon schade, dass er nicht einfach entgegnete: »Sie
haben Recht, Frau Miosga, so wichtig ist die Unversehrtheit jüdischer
Bürger auch wieder nicht. Ich werde den in Deutschland lebenden Juden
deshalb empfehlen, in für sie gefährlichen Vierteln erst recht die Kippa
zu tragen, damit sich niemand angegriffen oder stigmatisiert fühlt und
dann gar nicht anders kann, als alle, die er für Juden hält,
zusammenzuschlagen.«
Bezeichnend ist in dieser Hinsicht auch ein anderer
öffentlich-rechtlicher Beitrag, in dem ein Reporter berichtet, in Bremen
seien nach Hinweisen auf eine konkrete Anschlagsgefahr »viel mehr
Polizisten zu sehen als sonst«. Viele von ihnen seien mit
Maschinenpistolen bewaffnet, vor allem die Synagoge und die jüdische
Gemeinde würden beschützt. »Die Bevölkerung«, so heißt es weiter,
sei aber »offensichtlich nicht gefährdet«, es gebe »für sie keine
Warnung«. Gehören die in Bremen lebenden Juden also nicht zur
Bevölkerung? Oder werden jüdische Einrichtungen völlig ohne Grund
bewacht? Der Reporter würde gewiss vehement bestreiten, einen solchen
Eindruck erweckt haben zu wollen. Aber so hat er es nun einmal
niedergeschrieben. In der Gedankenlosigkeit der Formulierung steckt die
erschreckende Selbstverständlichkeit, mit der hier zwischen Volk und
Nicht-Volk getrennt wird.
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