von Gerrit Liskow
Genosse Steinmeiers (SPD) Auswärtigem Amt ist es tatsächlich
gelungen, den Völkermord aus der Welt zu schaffen. Nicht jeden, bewahre,
sondern nur den vor 1951. Denn merke: Vorher gab es keinen – mangels
Rechtsgrundlage. Interessant? Ich finde, ja.
Man muss sich die Begründung auf der Zunge zergehen lassen, liebe
Leserinnen und Leser, um den abgrundtiefen Stumpfsinn gepaart mit
naturnaher Hinterhältigkeit zu goutieren, der die Behörde am Werderschen
Markt im Namen und Auftrag der deutschen Bundesregierung angetrieben
haben muss:
„Der Begriff ‚Völkermord‘ ist nach Auffassung der Bundesregierung
[…] nicht geeignet: Die Konvention über die Verhütung und Bestrafung
des Völkermordes […] ist erst […] 1951 in Kraft getreten. Sie gilt nicht
rückwirkend.“
Selbst wenn man weiß, dass der moderne Deutsche beiderlei Geschlechts
so gut wie gar nichts ohne Rechtgrundlage tut (egal, ob er sich und
andere ökologisch kontrolliert oder mit dem Flugzeug in die Berge
fliegt): Man muss sich wundern, mit welcher Selbstverständlichkeit er
das Recht an seiner Seite wähnt – nämlich stets und immerdar!
Und sei es auch nur das Recht, für sich jene Ausnahme zu machen, die
er anderen aus Gründen des Gemeinsinns gerne verwehrt; vor allem wenn es
diesen anderen darum geht, von ihm verschont zu werden. Daran hat sich
offensichtlich nichts geändert, seit die hiesige nationale
Selbstmordsekte sich zum letzten Mal auf den deutschen Sonderweg begeben
hat.
Was dennoch überrascht, ist die Selbstverständlichkeit, mit der das
offizielle Deutschland – und viel offizieller als die Bundesregierung
geht es nun mal nicht in dieser unserer Republik – den Völkermord mit
einem Nebensatz abzuschaffen versucht; natürlich nur den Genozid vor
1951 unter Verweis auf die einschlägige Regelung durch die UNO. Und den
Rest regelt dann ein Ausführungsgesetz?
Denn merke: Vor 1951 stand Völkermord mangels einschlägiger
Rechtsgrundlage nicht unter Strafe – und ergo gab es ihn nicht! Diese
Begründung ist sozialhistorisch derartig auffällig, dass es sich selbst
der keineswegs sozialrevolutionäre „Report“ aus München nicht verkneifen konnte, ein zweites Mal hinzuhören, was die Bundesregierung damit gemeint haben mag.
Dem äußeren Anlass nach ging es um den Genozid an den Armeniern, der sich in diesem Jahr genau wie die leider kolossal missglückte alliierte Invasion in Gallipoli
zum hundertsten Mal jährt. Ein Genozid, den es aus Sicht von Genosse
Steinmeiers AA niemals nicht gegeben hat – vor allem nicht in seiner
Funktion als Völkermord.
Aber als was denn dann, Herr Bundesaußenminister – als schief gegangene Klassenfahrt? Als verpatzter Volkswandertag?
Ja richtig, meine Damen und Herren: Das ist der selbe Herr
Steinmeier, der vorzugsweise solchen Orten eine besondere Ehre erweist,
die die sterblichen Überreste jener osmanischen Generäle beherbergen,
die vor hundert Jahren rund anderthalb Millionen Männer, Frauen und
Kinder auf Todesmärsche schickten.
Selbstverständlich waren die Bündnispartner der osmanisch-deutschen
Waffenbruderschaft in Berlin über alle Details zeitnah und umfassend
informiert – ohne dass es zu irgendwelchen Unmutsäußerungen auf
deutscher Seite kam; zumindest nicht von Herrn Bethmann-Hollweg, eines
von Genosse Steinmeiers prominenteren Vorgängern im Amt.
Nun ja, wie wir jetzt „wissen“, hat’s das alle nie gegeben, weil es
ja vor der Einführung der einschlägigen Paragrafen geschah; vielleicht
mit Rücksicht auf die guten partnerschaftlichen Beziehungen zwischen den
Rechtsnachfolgern des Deutschen und des Osmanischen Reiches, a.k.a.
Deutschland und Türkei, beide „in Europa“? Honi soit qui mal y pense…
Und wenn da vor hundert Jahren doch etwas gewesen sein sollte, bei
dem rund anderthalb Millionen Menschen, und mithin fast ein ganzes Volk,
in der Türkei ermordet worden sind, dann war es vor allem eins nicht:
Es war kein Völkermord, nie und nimmermehr.
Dass derlei behauptet wird, ist nicht neu, sondern in der
geschichtsrevisionistischen Szene üblich und für sie konstitutiv.
Interessant ist nur, mit welcher Selbstverständlichkeit offizielle
Behörden eines dem Anspruch nach demokratischen Staates derlei
Geschichtsfälschung betreiben: im Nebensatz, dafür aber im Namen der
Bundesregierung.
Sind wir denn heute im Krieg mit Ozeanien oder Eurasien, Genosse Steinmeier? Oder wissen Sie es selbst noch nicht genau?
Die zentrale Ambition, wenn nicht die größte Leidenschaft,
offizieller deutscher Außenpolitik ist es nun mal, zu ihrer einstigen
Größe zurückzufinden: Als Mittelmacht und Spaltpilz „in Europa“, die mal
den globalen Osten gegen den Westen und dann wieder den Westen gegen
den Osten ausspielen kann – um entstehende geopolitische Vakua zum
Kochen ihres eigenes strategisches Süppchen auszunutzen; auf Kosten
Dritter und unter Ausnutzung derer Naivität, versteht sich.
Nun ist es so, dass die Blödheit dieser banalen Episode – ich sage
deshalb banal, weil sie für die deutsche Bundesregierung bloß
business-as-usual bedeutet und nicht um ihre epochale Niedertracht in
Abrede zu stellen – auch ihren Urhebern nicht verborgen bleiben kann.
Immerhin hat es nicht lange gedauert, bis biederen Rechtskundlern
auffiel, dass mit der unziemlich legalistischen Ausdehnung des
Rechtgrundsatzes „keine Strafe ohne Gesetz“
auch die Leugnung eines ganz anderen Völkermordes betrieben werden kann
– interessanterweise jenes menschheitsgeschichtlichen Verbrechens,
wegen dem der Genozid als juristische Kategorie im Jahre 1948 von
Raphael Lemkin definiert werden musste.
Die Rede ist selbstverständlich von der Shoah, an die in Israel erst
letzte Woche mit dem alljährlichen Gedenktag erinnert wurde.
Wenn nun die Bundesregierung feststellen lassen möchte, dass es vor
der Definition der einschlägigen juristischen Kategorie keinen
Völkermord gegeben haben kann, dann stellt sie damit – direkt oder
indirekt, vielleicht auch freiwillig-unfreiwillig – die Shoah in Frage.
Weiß man denn am Kabinettstisch der Frau Dr. Merkel noch immer nicht
(oder nicht mehr), dass Holocaust-Leugnung ein Straftatbestand ist? Oder
steht man von vornerein über derlei Gesetz?
Möglicherweise möchte die Bundesregierung sich auch gerne zum Kreis
jener Staaten gesellen, die sich über der Genozid-Konvention der UNO
stets zweckdienlich hinweggesetzt haben; die meisten von ihnen sind
übrigens mustergültige, lupenreine Diktaturen.
Und bevor ich es vergesse: Nicht, dass sich irgendjemand in Germany
darüber aufregen würde, schon gar nicht in den uffjeklärten Milieus, in
denen normalerweise wegen so mancher Lappalie die Pisse kocht. Die
deutsche Journaille schweigt darüber wie aus einem Mund.
haolam
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