Eine aktuelle Studie des Meinungsforschungsinstituts Pew Research Center
(USA) vom 27. April 2016 zu den politischen Einstellungen muslimischer
Menschen zeigt einen länderübergreifenden Geltungsanspruch des
islamischen Rechts auch für säkulare Rechtsordnungen. Dieser politische
Anspruch zur Verbindlichkeit des Islams ist jedoch je nach Land,
Altersgruppe und Bildungsschicht unterschiedlich ausgeprägt.
Die Forscher befragten mehr als 10.000 Menschen in zehn Ländern mit
hohem muslimischen Bevölkerungsanteil. Für eine strikte Ausrichtung der
Gesetze des Staates am Koran trat die Mehrheit der Befragten in vier von
zehn Ländern ein: Pakistan (78 Prozent), Palästinensische Gebiete (65
Prozent), Jordanien (54 Prozent) und Malaysia (52 Prozent).
In acht der zehn untersuchten Länder sprachen sich mehr als 50
Prozent der Befragten für eine strikte oder zumindest an den Werten und
Prinzipien des Korans orientierte Gesetzgebung aus. Diese Länder sind
zusätzlich der oben genannten: Senegal, Indonesien, Libanon und die
Türkei.
Bei den zitierten Prozentzahlen handelt es sich nicht um einen
einheitlichen, massiven Block der muslimischen Auffassungen.
Unterschiede gibt es abgesehen von Ländern auch je nach Altersgruppe und
Bildungsschicht. So wünschen zum Beispiel in der Türkei insbesondere
junge Menschen eine säkulare Ausrichtung des Rechtswesens.
Länderübergreifend befürworten vor allem muslimische Menschen mit
niedrigen Bildungsabschlüssen einen größeren Einfluss des Islams auf
‚Recht und Ordnung‘ im Staat.
Dennoch bleibt in der Gesamtschau, dass sich in nur einem Land,
Burkina Faso, eine deutliche Mehrheit gegen eine Beeinflussung der
Gesetze durch den Koran äußerte. Auf Grund aktueller Ereignisse bleibt
abzuwarten, wie sich diese Einstellungen in der Bevölkerung verändern
werden. Denn die muslimisch geprägte, gleichwohl tendenziell säkulare
Gesellschaft dieses afrikanischen Landes ist neuerdings zu den Zielen
islamistischer Terroranschläge hinzugekommen (Ouagadougou 2016).
Bei den Befragungsergebnissen sind zwei Aspekte zu berücksichtigen:
Erstens fiel der Anteil der Muslime unter den Teilnehmenden der
Befragung je nach Land unterschiedlich aus: von 100 Prozent Muslimen
unter den Befragten in den palästinensischen Gebieten bis zu 50 Prozent
der Befragten in Nigeria. Die befragten Nicht-Muslime treten eher nicht
für die Geltung des Korans im staatlichen Rechtswesen ein. Während 52
Prozent der nigerianischen Muslime dafür sind, wären damit nur 2 Prozent
der Personen einverstanden, die sich in der Befragung als nigerianische
Christen zu erkennen gaben. Wenn man daher diesen Faktor der
Nicht-Muslime in den Befragungsgruppen gewichtet, so stehen die
politischen Geltungsansprüche der muslimischen Gemeinschaften in
Nigeria, Libanon und Burkina Faso denen aus den anderen Länder nicht
wesentlich nach, und wären gleichwohl durch weitere Untersuchungen zu
prüfen.
Zweitens beschränkte sich die Befragung nur auf die Vorgaben des
Korans („How much should the Quran influence our country’s laws?“).
Dieses Buch bietet jedoch nur einen Teil des religiösen Gesetzes des
Islams. Das komplette Gesetz des Islam wäre die Scharia, welche neben
dem Koran auch die Verhaltensweisen (Hadithe) des Religionsgründers
umfasst. Insbesondere die daraus resultierenden Vorgaben zum Strafrecht,
oder beispielsweise auch zum Vermögensrecht sowie zum Familien- und
Erbrecht sind für die Rechte von Anders-, Nicht-, und
Nicht-Mehr-Gläubige in der Regel problematisch. So ist eine strikte, das
heißt wörtliche, Befolgung der Vorgaben aus dem Vorderen Orient des 7.
Jahrhunderts mit zentralen Verfassungsprinzipien wie vor allem der
Volkssouveränität, der Gewaltenteilung und den Menschenrechten
unvereinbar.
Aus säkular-humanistischer Sicht verdeutlicht die Studie: Weltweit
ist derzeit nur in fünf Ländern das islamische Gesetz in der Verfassung
verankert. In den Islamischen Republiken
Afghanistan, Gambia, Iran, Mauretanien und Pakistan. Nur eine, nämlich
Pakistan, war Untersuchungsgegenstand. Daher zeigen diese politischen
Einstellungen unter Muslimen den enormen strukturellen Druck, der durch
das islamische Gesetz auf die säkularen Verfassungsprinzipien
zahlreicher Länder ausgeübt wird.
hpd.de
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