Ohne Ansehen der Person sollen Richter urteilen. Dieser Grundsatz
juristischer Praxis ist das, was man wohl mit Max Weber einen Idealtypus
nennen muss: Sich diesem Ideal so weit wie nur möglich anzunähern, ist
das Ziel, das den Rechtsstaat auszeichnet.
In Deutschland scheint man dagegen das Ziel zu verfolgen, so weit wie
nur möglich von diesem Ideal entfernt zu bleiben, wie ein Vergleich von
Beurteilungen faktisch gleicher Sachverhalte durch zwei
unterschiedliche Instanzen der Rechtspflege zeigt: Einmal das
Bundesarbeitsgericht in Erfurt, einmal die Staatsanwaltschaft Berlin.
Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt hat
die Kündigung eines Kraftfahrers als rechtmäßig bestätigt. Der
Kraftfahrer war in seinem Privatfahrzeug und unter Einfluss von
Crystal-Meth in eine Polizeikontrolle gefahren. Dabei war er nicht
fahruntüchtig. Was gegen den Kraftfahrer spricht, ist also ein
Testergebnis, keine objektiv wahrnehmbare Beeinträchtigung. Es gibt auch
keinerlei Hinweis darauf, dass der Kraftfahrer während seiner
Berufstätigkeit seinen Lastkraftwagen jemals unter Einfluss von
Crystal-Meth gefahren hat. Dennoch hat das Bundesarbeitsgericht die
Kündigung des Kraftfahrers bestätigt: Man müsse das Gefährdungspotential
in Rechnung stellen, so das Urteil.Die Staatsanwaltschaft Berlin
hatte den Fall von Volker Beck, seines Zeichens Abgeordneter und u.a.
religionspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, der mit 0,6 Gramm
Crystal-Meth in eine Polizeikontrolle gefahren war, zu beurteilen. 0,6
Gramm Crystal-Meth gelten in Deutschland als geringe Menge (die nicht
geringe Menge fängt bei 5 Gramm an), und das ist wohl auch der Grund
dafür, dass Volker Beck mit einer Einstellung des Verfahrens nach § 153a
StPO gegen die Zahlung einer Geldauflage von 7.000 Euro nach Satz 2
davongekommen ist (Schade dass kein Gebrauch von Satz 6 „Teilnahme an
einem sozialen Trainingskurs“ gemacht wurde).
Wie im Falle des Kraftfahrers, so kann auch bei Volker Beck nicht
gesagt werden, ob er jemals unter Einfluss von Crystal-Meth seiner
beruflichen Tätigkeit nachgegangen ist. Im Gegensatz zum Kraftfahrer ist
Volker Beck seinen Arbeitsplatz jedoch nicht losgeworden. Die
Begründung, die das Bundesarbeitsgericht gegeben hat, dass nämlich das
Gefährdungspotential, das von Crystal-Meth ausgeht im Hinblick darauf,
dass der jeweilige Junkie eine Gefahr für seine Mitmenschen darstellt,
berücksichtigt werden müsse, wird auf Beck offensichtlich nicht
angewendet.
Beim Bundesarbeitsgericht in Erfurt ist man demnach der Ansicht, dass
die Korrelation von Berufskraftfahrer und Crystal-Meth dazu ausreicht,
ein Gefahrenpotential anzunehmen und dem entsprechenden
Berufskraftfahrer auch dann zu kündigen, wenn keinerlei Belege dafür
vorliegen, dass er jemals unter dem Einfluss von Crystal-Meth einen Lkw
gefahren oder seinem Beruf als Kraftfahrer nachgegangen ist. Allein die
Annahme, dass man es nicht ausschließen könne, eine Annahme, auf deren
Grundlage man jedem Arbeiter kündigen kann, reicht den Richtern dazu
aus, die berufliche Existenzgrundlage des Berufskraftfahrers zu
zerstören. Offensichtlich wiegt hier die Angst vor potentiellen Gefahren
höher als die konkrete Zerstörung der Existenzgrundlage eines
Berufskraftfahrers.
Bei Bundestagsabgeordneten ist das offensichtlich anders.
Hier kommt kein Richter auf die Idee, das Gefahrenpotential, das von
der Möglichkeit ausgeht, dass Abgeordnete unter Drogen Entscheidungen
treffen, Entscheidungen, die für alle diejenigen, die sie vertreten
wollen, erhebliche Konsequenzen haben können, auch nur in Betracht zu
ziehen. Während bei einem Berufskraftfahrer eine Gefährdung von
Mitmenschen, ohne dass sie belegt wäre, angenommen wird, wird bei einem
Bundestagsabgeordneten die Gefährdung von Mitmenschen, ohne dass sie
belegt wäre, nicht als gegeben angesehen, ja nicht einmal in Betracht
gezogen.
Das nennt man wohl zweierlei Maß, das sich entweder dadurch erklären
lässt, dass Richter (und Staatsanwälte) der Ansicht sind,
Bundestagsabgeordnete unter Drogen stellten im Gegensatz zu
Berufskraftfahrern weder eine Gefährdung noch einen Grund zur Sorge dar
oder sie sind der Ansicht, dass man Berufskraftfahrern nichts zu Gute
halten dürfe, z.B. ein Pflichtbewusstsein, das sie den Drogenkonsum auf
die Freizeit beschränken lässt, während sie Bundestagsabgeordneten alles
Mögliche zu Gute halten, z.B. ein Pflichtbewusstsein, das sie den
Drogenkonsum auf die Freizeit beschränken lässt, oder manche Richter und
Staatsanwälte tun sich leichter damit, den angeblich kleinen Mann zu
verurteilen und schwerer damit, Personen des öffentlichen Lebens, wie es
so schön heißt, überhaupt unter Anklage zu stellen
(Arschkriecher-Syndrom).
Abgesehen davon untersteht die Staatsanwaltschaft Berlin der Weisung
des dortigen Senators für Justiz (und Verbraucherschutz;
Crystal-Meth-Verbraucherschutz?).
https://sciencefiles.org/2016/10/22/gleichheit-vor-dem-gesetz-gruene-bundestagsabgeordnete-sind-gleicher/
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