Saturday, August 05, 2006

Lasst uns reden!

Die Linkspartei weiß, wie man den Krieg im Libanon beenden kann: Mit der Hizbollah verhandeln, Israel stoppen! von richard gebhardt
Sei es die Debatte über eine deutsche Beteiligung an einem Einsatz der UN im Libanon, der Berliner Streit um den befristeten Abschiebestopp für libanesische Flüchtlinge oder die Kritik an den jüngs­ten diplomatischen Stellungnahmen der Bundesregierung, die Situation im Nahen Osten bestimmt die deutsche Politik während der Sommerpause. Den stärksten Einspruch gegen die Außenpolitik der Bundesregierung erhebt die Linkspartei. Ihr Bundesgeschäftsführer, Dietmar Bartsch, fordert von der Großen Koalition, sich für einen »sofortigen Waffenstopp« und den »sofortigen Rückzug der israelischen Truppen aus dem Libanon« einzusetzen.
Große Einigkeit besteht in der Linkspartei, was eine deutsche Beteiligung an UN-Blau­helm­einsätzen betrifft. Die Super-Illu zitiert den Fraktionsvorsitzenden der Linken, Gregor Gysi, mit den Worten, nach »der millionenfachen Ermordung von Juden durch Deutsche dürfen unsere Soldaten weder zur Kontrolle eines fragilen Waffenstillstands noch zur Friedenserzwingung Israel gegenüberstehen«. Deutschland müsse wegen seiner Geschichte der »erste Kriegsdienstverweigerungsstaat« werden.
Zahlreiche Politiker der Linksfraktion griffen die Bundesregierung in der vergangenen Woche scharf an. Nach den von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch erhobenen Vorwürfen, Israel setze bei seinen Angriffen gegen die Hizbollah Streubomben ein, äußerte sich auch Oskar Lafontaine: »Wenn die Regierung Merkel zusammen mit den USA nun auch den Einsatz von Streubomben toleriert, trägt sie Mitverantwortung für den Tod vieler Zivilisten, unter denen sich auch deutsche Staatsbürger befinden.« Lafontaine verschärfte die bereits zuvor formulierte Kritik, die Bundesregierung habe Israel ihre Unterstützung bei dem militärischen Vorgehen zu verstehen gegeben und zögere mit einer notwendigen Verurteilung der »unverhältnismäßigen israelischen Reaktionen«.
Während in der Bundesrepublik einige wenige Linke zur uneingeschränkten Solidarität mit Israel aufrufen, erinnert die Mehrheit der Antimilitaristen und Pazifisten an die klassischen Losungen: »Nie wieder Krieg!« und »Sag Nein!« Kaum ein Tag vergeht, an dem die Links­partei oder Organisationen aus der Friedensbewegung, wie etwa das Netzwerk Friedenskooperative, sich nicht mit Presseerklärungen an die Öffentlichkeit wenden. Diese tragen Titel wie »Der Krieg muss sofort beendet werden!« oder »Waffenstillstand sofort und alle Konfliktparteien für Gesamtlösung einbeziehen!«
Eine Verhandlungslösung soll eingeklagt und es soll zivilisierend auf die Kriegsparteien eingewirkt werden. In den Reden auf den zahlreichen Kundgebungen gegen den Krieg gibt es auch moderate Stimmen, die beide Konfliktparteien zum Waffenstillstand mahnen und die Angriffe der Hizbollah verurteilen. Meist aber herrscht das Bild vor, Israel führe mit klar kalkulierter Strategie, mit Phosphormunition und Streubomben, mit Raketen, die sich gegen die zivile Infrastruktur, gegen Krankenhäuser und Hilfskonvois richteten, einen von langer Hand geplanten imperialen Angriffskrieg unter dem Schutz der USA.
Die Solidaritätsbekundungen der Friedensfreunde richten sich vorrangig an die libanesische Zivilbevölkerung, die als Hauptleidtragende der Auseinandersetzungen gilt. Hinweise auf die Realität in den israelischen Luftschutzbunkern finden sich selten.
»Wegen zweier Entführter werden ganze Stadtviertel vernichtet«, kommentierte die Tageszeitung Neues Deutschland die Lage im Nahen Osten. Die Feststellung liefert ein Zeugnis von der beschränkten Perspektive auf eine Krisenregion, in der nordisraelische Städte seit Monaten unter Raketenbeschuss stehen, ohne dass deshalb auf deutschen Marktplätzen eine Friedenstaube gesichtet worden wäre. Stattdessen sieht man dort neben Regenbogenfahnen mit der Aufschrift »Pace« auch Anhänger der Hizbollah, die »Tod Israel« skandieren. Zu selten setzen die Kriegsgegner die Forderung nach Unvereinbarkeitsbeschlüssen mit antisemitischen Gruppen durch.
Entscheidend ist, was in den pazifistischen Presserklärungen, Interviews und Reden gegen den Krieg fehlt. In der Stellungnahme des Geschäftsführers der Linkspartei, Dietmar Bartsch, wird zwar die »Freilassung der israelischen Soldaten« gefordert, das Hauptaugenmerk richtet sich aber auf »die von den Kriegshandlungen vor allem betroffene Zivilbevölkerung im Südlibanon«. Die Situation der Zivilbevölkerung im Norden Israels kommt schlicht nicht vor.
Der außenpolitische Sprecher der Linkspartei, Wolfgang Gehrcke, reiste mit einer Delegation der Europäischen Linken in den Libanon, um dort unter anderem Gespräche mit der Hizbollah zu führen. Von der Bundesregierung seien solche Gespräche offiziell abgelehnt worden. »Aber wer einen Waffenstillstand will, muss mit den Konfliktparteien reden. Von der Hizbollah ist das bejaht worden«, sagte Gehrcke in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung.
Was Gehrcke von seinen Besuchen in »den Krankenhäusern, bei den verwundeten und verstümmelten Menschen, in den Flüchtlingslagern und zerstörten Stadtvierteln« berichtet, liefert ein erschütterndes Bild und zeigt das moralische Problem eindeutiger Parteinahmen. Wie aber eine Verhandlungslösung mit der Hizbollah erreicht werden soll, deren Ziel die Vernichtung Israels ist, weiß auch Gehrcke nicht. Dass eine Delegation der Europäischen Linken demnächst eine Solidaritätsreise nach Haifa antritt, ist auch nicht zu erwarten. Schließlich trägt eine Erklärung den Titel: »Israel stoppen, Frieden erringen!« Äußerst fragwürdig sind die bisherigen Stellungnahmen führender Politiker der Linkspartei zudem, weil sie die Qualität der antisemitischen Hasstiraden der Hamas, der Hizbollah und des Islamischen J ihads vollständig ignorieren.
»Der Schlüssel für den Frieden liegt in der Lösung der Palästinenserfrage«, gab die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, Monika Knoche, im Anschluss an die zweite Sondersitzung des Auswärtigen Ausschusses zum Nahostkonflikt zu Protokoll. In alter antiimperialistischer Rhetorik verkennt die Forderung nach einem palästinensischen Staat, dass das Ziel der Feinde Israels nicht die territoriale Sicherheit, sondern die Vernichtung des jüdischen Staats ist.
Knoches weitere Forderung nach einer »Schlüsselrolle« Kofi Annans stimmt angesichts der historischen Erfahrung mit der Uno ohnehin misstrauisch. »Israel verlangt von seinen Nachbarn, Uno-Resolutionen strikt umzusetzen, ohne selbst entsprechende Resolutionen oder den Atomwaffensperrvertrag zu respek­tieren«, teilte Lafontaine mit. Doch hätte Israel alle seit dem Jahr 1947 beschlossenen UN-Resolutionen als bindend betrachtet, bestünde der Staat wahrscheinlich gar nicht mehr.
Dass eine Partei, deren Programm antimilitaristisch ist, den Ruf nach Frieden unterstützt und auch die »Kollateralschäden« des Krieges verurteilt, kann nicht überraschen. Viele Statements der Linkspartei klingen derzeit aber so, als seien sie bloß aus den Verlautbarungen zur Zeit der ersten Intifada abgeschrieben. Daran wird sich wohl so schnell nichts ändern.
jungle-world

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