Thursday, November 23, 2006

Thomas Kapielski: Da guckst du!

Ende der sechziger Jahre, als Schüler noch, und erst eine handvoll Türken in Berlin, war ich einmal mit meiner Schwester unterwegs. Da sprachen mich radebrechend, aber doch schon recht gut, zwei Türken im U-Bahnhof Hermannplatz an: Ob ich denn gewiß auch der ältere Bruder dieser meiner Schwester sei? - Jawohl doch! Warum? Die folgende Unterhandlung fand ganz ohne Berücksichtigung meiner Schwester statt, gleichwohl mußten beide sie zuvor gründlich gemustert haben, denn sie boten mir – sofort und bar! - fünfzehntausend Mark! - Für was? - Fürs hübsch blonde Schwesterlein, hoho! Wir zwei belächelten verwundert das fremdartige Ansinnen. Sie steigerten – des Gelächters wegen? - harsch auf zwanzig Riesen und zeigten eine Rolle Hunderter, die sie mir im Falle eines sofortigen, gegenseitigen Hochzeitsversprechens, sogleich übergeben wollten! Viel Geld seinerzeit! Wir liefen entgeistert und feixend davon. Wir hielten den zwei translunarischen Männern Verwirrtheit zugute. Inzwischen weiß ich, daß die das ernst meinten, und ich habe, als noch monokultureller Deutschdummi damals, ein großes Geschäft und gewiß auch erste Integrationsschritte vermasselt.
Diese ersten Anatolier in Berlin, fast ausschließlich Männer, lernten noch recht dringend deutsch, um überhaupt klar zu kommen und um in den Firmen, die sie geworben hatten, weiter arbeiten zu dürfen; sie saßen, damals noch ganz vereinzelt, sogar Bier trinkend in Berliner Eckkneipen, wo man bisweilen prahlerisch den exotischen „Unsa Ali!“ vorstellte, aßen Hackepeterbrötchen und waren zu jener Zeit also sogar auch gewillt, ein freidenkerisches, deutsches Mädel allein mit der Zustimmung eines Bruders zu minnen. Oder wer weiß was? Nun gut, mein sechzehnjähriges Schwesterlein hätte im Falle der Vermählung gewiß sogleich den rechten Glauben annehmen müssen (das Tuch war damals noch kein Thema), und den Kontakt zu uns hätte sie vielleicht abbrechen müssen, und sie wäre nun wohl auch Mutter von mehr als nur einem Kind, oder wäre so Gott wollte - sie war damals schon sehr aufmüpfig und hochgemut und frauenbewegt – vielleicht auch längst nicht mehr am Leben. Aber immerhin: Wir sehen, wir waren schon mal weiter!
Mir ist klar, daß die gegenwärtigen, uns alle angeblich so jäh überraschenden Misegrantengeschichten aus den Schulen und Gerichten wie üblich in den Kommunikationsmühlen eilends zu Feinstaub vermahlen werden, der alsbald in den lauen Winden der deutschen Harmonie- und Friedenssucht verwehen und alles natürlich nicht so bleiben, sondern seinen gewohnten, gruseligen, realen Fortgang gehen wird, unbeirrt von verflimmertem Fernsehgequatsche und zeitgemäßer Kommentarmahnerei.
Mir ist die ganze – ziemlich, ziemlich an die ehemalige DDR-Weltsichtsordnung nebst Sprachreglung erinnernde - Verlogenheit und selbstverordnete Ahnungslosigkeit auch unseres Gemeinwesens seit langem ruchbar und ich lese die Zeitung längst zwischen den Zeilen und meine Horchposten berichten lange schon regelmäßig den größten Wahnwitz aus Hauptschulen, Ämtern, Kindergärten, Puffs und Arztpraxen. Sogar Empörendes aus Schlachthöfen und Fahrschulen raunt man mir zu, allzeit bedrückt, mit gesenkter Stimme, weil man all dies nicht öffentlich kundtun dürfe und es ja auch sowieso zu spät sei. Ich will aber dennoch ein paar Worte in die lauen Winde eisig a posteriori blasen.
Allerorten liest man: Unsere türkischen und arabischen Insassen litten an Ausgrenzung. Wenn es die unsererseits nicht so gäbe, dann wäre alles nicht so schlimm. Holla! Ich habe, wie sich das gehört, meinen ersten Türkennachbarn im Hausflur 1971 freundlich gegrüßt und wie alle anderen beim Einzug zum Umtrunk eingeladen; allein, ER wollte nicht und kam nicht. Sein Eheweib trug damals schon den Schleier, was noch ganz ungewöhnlich, uns aber ziemlich folklore-egal war. Sie wollten mehr so unter sich sein, und nun, warum nicht? Die Familie aus Jugoslawien aber kam gern, und da konnte man dann später auch mal einen Pflaumenschnaps nippen. So ging das los. Und es ist bemerkenswert, daß es mit Griechen, Italienern, Asiaten zwar auch schwierig losging, sich aber im Fortgang nie und nimmer zu Problemen auswuchs. Und so gibt es in meinem Freundeskreis auch einen Griechen, den Russen und auch einen Chinesen und obendrein sogar noch mein liebstes bosnisches Weib!
Vor zwei Jahren mußte man unseren alten Ikonenmaler vom Goldenen Hahn entbürden, da er als letzter deutscher (und exilrussischer) Bewohner eines Kreuzberger Wohnhauses massiv vergrault und schikaniert wurde. Die Wohnung war bereits für eine familiäre Endlösung des Hauses verplant, der alte Mann freilich blieb rüstig und die Polizei intervenierte. Nun, dieses Problem wird irgendwann auf natürliche Weise dennoch gelöst sein. Es gibt also schon eine Ausgrenzung; ansonsten aber eher die gewünschte, frei gewählte Eingrenzung! Das einzige, was jene mit dieser, also meiner hiesigen Kultur verbindet, sind Ort und Währung, wobei das Zusammenwohnen an einem Orte auch längst nicht mehr sein braucht, die einen wollen unter sich sein, die anderen fliehen, so sie können. Die chinesischen Eltern eines Kindes aus der Klasse meines Sohnes berichteten, sie hätten in dem Restaurant, das sie seit fünfundzwanzig Jahren führen, alle möglichen Menschen, nie aber türkische zu Gast haben dürfen; Museums-Karl berichtete, er habe in seinen dreißig Jahren Aufsicht im Schloß Charlottenburg, im Teehaus und Schinkelpavillon nicht einen Türken unsere Pretiosen besichtigen gesehen, allein deren Kinder in Schulklassen.
So, so: Die Industrie sei schuld. Allerdings, die schon! Das Geld ist herzlos und denkt von jetzt auf gleich. Damals, als es reichlich Arbeit gab, die Gewerkschaften mächtig waren und viel einfordern konnten, hat die Industrie in ihrer Profitgier die allerbilligsten Arbeitskräfte gezielt in Anatolien angeworben. Italiener, Griechen, Jugoslawen, mit denen wir jetzt alltägliche und meist gar keine Probleme haben – die waren ihnen schon zu selbstbewußt, zu europäisch und vor allem zu teuer. So hat also diesen plebejisch-osmanischen Kolonialismus die deutsche und westeuropäische Industrie in Gang gesetzt und türkische Nationalisten und Zeloten haben das auch schnell für sich zum Vorteil reifen gesehen. Und sie schätzen den Fortgang realistischer ein als wir, zeigen einstweilen Geduld, wissen um ihr Beharrungsvermögen und die Kraft ihrer Schöße.
Es gab Vorzeichen: Schon in den siebziger, achtziger Jahren gab es in Berlin extreme Probleme mit den hier großzügig aufgenommenen libanesischen Kriegsflüchtlingen (sic!), weil sie schnell zu auffallend garstigen, aggressiven Sozialfällen wurden, kaum beschulbar, hermetisch, früh den damals noch jungen Drogenhandel und die Zuhälterei an sich reißend. Und nun horchet auf: Seinerzeit kam ausgerechnet Heinrich Lummer, ein Rechter innerhalb der CDU, auf die Idee, das Problem mit Deutschen Pässen zu lösen! Als Deutsche, versprach er staatsmännisch, würden diese libanesischen Großfamilien binnen weniger Generationen zu gewöhnlichen Deutschen geworden sein. Klingt ja logisch! Und erstmal brummte auch die Statistik wieder nach Brauch und Sitte.
Nochmal: Die Industrie sei schuld. Sie böte der bemitleidenswerten Migrantenjugend keine Lehrstellen. Ach, ihr Dummerchen! Ich weiß von meinem Hauptschulhorchposten und von Handwerkern, daß es seit Jahren schon so etwas wie eine mutwillige, selbstverschuldete Dummheit gibt. Nicht nur aus Faulheit und aus Gründen des Ansehens – schulisches Streben und Lernerfolg gelten gemeinhin als Makel! - wüchsen Schulverweigerung und Unwille, sondern vor allem, um die geringste Wahrscheinlichkeit einer Stellenvermittlung zu vereiteln. Deshalb müsse dem Sichblödstellen besser noch Unhöflichkeit, Aggressivität, Unpünktlichkeit und Rechtsbeistand beigesellt sein. Und da schon Grundschüler vom allgemeinen Recht auf Grundversorgung wüßten, vermag ein Jugendlicher heute in der Schulverweigerung auch keine riskante Lebenseinstellung zu erkennen. Im übrigen erfreuen sich diese asozialen Verhaltensmuster zunehmender Beliebtheit bei allen Hauptschülern! Und so gebe es eben eher schon Schwierigkeiten unter vielen Bewerben einige fähige Lehrlinge zu finden. Deutsche Schüler, die das Handicap der halbwegs intakten Sprachkompetenz besitzen, übernehmen emsig retardierte Sprechweisen. Auf meine Frage, was man vom Zusammenlegen der Haupt- mit den Realschulen zu halten habe, sagte mir eine Lehrerin, natürlich sub rosa, dies würde sofort auch die halbwegs intakte Realschule verderben. In einer Schulklasse komme man mit Mühe und unter Vernachlässigung aller anderen Schüler mit zwei harten Fällen noch klar, darüber hinaus kippe die Stimmung insgesamt. Man stärkt die Schwachen nie, indem man die Starken schwächt!
Warnung! Ich warne hiermit eiligst die studentische Jugend, den Lehrerberuf zu ergreifen! Nicht der schweren, mühevollen Arbeit wegen, die allemal Huldigung verdient; ich sage das, weil Ihr, als Lehrer, allein gelassen sein werdet und die übergeordnete Bürokratie wird sich faul um sich selbst kümmern und euch zusätzlich bedrücken. (Näheres folgt.)
Einiges noch zu Softies Welt und Friedensgedusel. Und dies mahnte ich bereits im Jahre 2000 an: Wer Krieg, in Europa, für nie mehr möglich hält, führt ihn durch solche Sorglosigkeit wohl gerade herbei und will auch gar nicht bemerken, daß er etwa schon begonnen hat. Des nahen und nicht allzu fernen Ostens und Südens lange Zunge gieriger Begehrlichkeiten hängt längst, an Kampf und Entbehrung und patriarchalische, soldatische Art gewöhnt, heraus nach Europas Tand und gedeckten Tischen im gut beheizten Haus Abendland. Auch hat der Krieg die ihm eigene List, sich zu verstellen, zu verändern, zu überraschen, unsichtbar und hinterrücks und ganz anders zu werden, als man ihn kennt und vermutet! Das Bild vom letzten großen Krieg und die elektronische Bombe verstellen den Blick auf die täglichen Gewaltdosen eines mikroskopisch, unmerkbar schwelenden Krieges wider unser Gemeinwesen vermittelst Opiat, Kriminalität und Schwächung sozialer, finanzieller und moralischer Reserven. Hic fuit!
Thomas Kapielski,Writersblog
http://www.zweitausendeins.de/writersblog/kapieski/index.cfm

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