Wenn es stimmt, dass ein Bild oft mehr sagt als tausend Worte, dann charakterisiert dieses Foto,
das Jürgen Todenhöfer vor wenigen Tagen auf seiner Facebook-Seite
veröffentlicht hat, den früheren CDU-Politiker bereits hinreichend. Es
zeigt ihn »inmitten von Trümmern«, wie der Historiker und Blogger Moritz Hoffmann schreibt,
»nachdenklich, betroffen, zwischen Dreck, Zerstörung und Chaos. Und um
ihn herum, fein säuberlich ins Bild komponiert, sauber wie direkt aus
dem Geschäft, Kinderspielzeug. Bilderbücher, Puppen, Teddybären. Als
hätte eine göttliche Fügung sie bei der Zerstörung dieses Hauses genau
dorthin gespült.« Die allzu offenkundig gestellte Aufnahme illustriert
eine Parole, die in diesen Tagen bei antiisraelischen Demonstrationen in
Deutschland aus Tausenden von Kehlen zu hören ist
und die die alte antijüdische Ritualmordlegende in modernisierter Form
fortspinnt: »Kindermörder Israel!« Todenhöfer spricht sie nicht selbst
aus, so schlicht formuliert er nicht. Aber er kann sich darauf
verlassen, dass sein Publikum – der »Mainstream der deutschen
Mittelschicht«, wie Hoffmann treffend zusammenfasst – auch so versteht.
Zu Recht, wie zahllose Kommentare unter seinem Text beweisen.
Auf die tausend Worte möchte der Publizist trotzdem nicht verzichten,
deshalb nutzt er vor allem seinen Facebook-Auftritt, der ausweislich
der »Likes« mehr als 165.000 Nutzern dieser Plattform gefällt, für seine
Botschaften. »Gaza: Die Verdammten dieser Erde« ist sein jüngstes Elaborat
überschrieben, eine Anspielung auf Frantz Fanon und dessen 1961
erschienenes Hauptwerk. Der schmale, an Israel und Ägypten grenzende
Küstenstreifen als Zentrum des Widerstands gegen Kolonialismus und
Imperialismus also, seine Bewohner als revolutionäre Subjekte in einem
gerechten Kampf gegen eine böse, brutale Militärmaschinerie, Todenhöfer
selbst als Propagandist dieses Kampfes in Deutschland. Der ehemalige
Bundestagsabgeordnete weiß genau, welchen Ton er zu treffen hat und wie
er sich inszenieren muss, um als sachkundiger Kenner, als Experte zu
gelten und gleichzeitig zu Tränen zu rühren.
»Mit Panzern gegen die Eselswagen der Tunnelbauer! Es ist absurd«,
klagt er die israelische Regierung an. Es ist dies die Fortführung der
alten Mär von den »Raketen gegen Steinewerfer«,
die von etlichen deutschen Medien während der ersten und zweiten
»Intifada« gesponnen wurde. Todenhöfer spitzt sie sogar noch zu, indem
er suggeriert, die israelische Armee ziehe gegen vormoderne, wehrlose,
unschuldige Habenichtse zu Felde. (Lediglich am Rande sei angemerkt,
dass die Hamas schon seit Jahren auch Tiere mit Sprengstoff belädt,
um sie als Waffen in ihrem Krieg gegen Israel zu benutzen.) Das ist ein
grotesker Einstieg, doch bevor er ihn wieder aufgreift, lässt er
zunächst eine so knappe wie pflichtschuldige, vor allem aber taktische
Distanzierung folgen: »Ich bin kein Freund der Hamas. Und werde es nie
sein. Ich kritisiere die Ideologie und die ›Militärstrategie‹ der Hamas
mit Nachdruck.« Gerne wüsste man, wo das denn geschehen sein soll, doch
da folgt schon das »Aber«: »Aber ich bin ein Freund der Palästinenser.
Ich weigere mich schweigend zuzusehen, wie ihre Rechte und ihre Würde
mit Füßen getreten werden.« Von Israel, versteht sich, und nicht etwa
durch das Terrorregime der Hamas. Ein echter Freund der Palästinenser,
der Herr Todenhöfer.
»Natürlich hat Israel das Recht auf Selbstverteidigung«, beeilt er
sich anschließend großmütig zu konzedieren, »gegen die sinnlose Ballerei
der Hamas und anderer Widerstandsgruppen«. Schon die verniedlichenden,
verharmlosenden Termini »Ballerei« (für den Beschuss mit Hunderten von
Raketen) und »Widerstandsgruppen« (für Terrororganisationen, deren
erklärtes Ziel die Vernichtung Israel ist) deuten an, dass Todenhöfer
dieses israelische Recht nicht allzu weit gefasst sehen will. Und
tatsächlich besteht es für ihn ausschließlich – er schreibt zwar »unter
anderem«, doch weitere Beispiele nennt er nicht – in der »perfekte[n]
Flugabwehr ›Iron Dome‹«. Das heißt: Die Israelis sollen den
Raketenbeschuss dulden und sich ganz auf die »Eiserne Kuppel« verlassen,
vielleicht noch auf ihre Schutzräume, für deren Erreichen sie fünfzehn
Sekunden Zeit haben, wenn die Alarmsirenen heulen. Was sie nicht sollen:
ihre Armee in Gang setzen, um Raketenbasen zu zerstören und Terroristen
unschädlich zu machen, das heißt, den Beschuss zu verhindern. Das
erinnert an einen legendären Vorschlag des Politologen Ekkehart Krippendorff, der vor über 20 Jahren in der taz
allen Ernstes schrieb, die Juden hätten das »Dritte Reich« durch
»passiven Widerstand«, etwa durch »Sitzstreiks« auf Bahnhöfen, locker in
die Knie zwingen können. Wehren sollen sie sich jedenfalls nicht
dürfen, wo kämen wir sonst hin?
Völkerrechtlich seien »die Bombenmassaker in Gaza« jedenfalls
»Kriegsverbrechen« und »keine Selbstverteidigung«, doziert Todenhöfer
weiter. Man dürfe »ein Volk nicht kollektiv bestrafen«, das lerne »ein
Jurastudent in den ersten Semestern«. Nun wäre es für die israelische
Luftwaffe ein Leichtes, den Gazastreifen flächendeckend unter Beschuss
zu nehmen und so tatsächlich eine Kollektivstrafe zu verhängen. Nur tut
sie genau das nicht und will es auch gar nicht. Im Gegenteil nimmt sie
die Stellungen der Hamas gezielt unter Feuer und warnt zuvor
die Zivilbevölkerung mit Flugblättern, Anrufen und Textnachrichten, wenn
die Hamas diese Stellungen mal wieder – übrigens völkerrechtswidrig –
mitten in einem Wohngebiet platziert hat. Es gehört zur Strategie der
Gotteskriegerpartei, dass sie die Bewohner auffordert, diese Warnungen
zu ignorieren und sich als »menschliche Schutzschilde« auf den Dächern
zu versammeln. Auch der Einsatz israelischer Bodentruppen im
Gazastreifen ist alles, nur keine kollektive Bestrafung: Mit ihm sollen –
unter dem Risiko hoher eigener Verluste – vor allem die für Israel so
bedrohlichen Tunnelsysteme zerstört werden.
Apropos Tunnel: Was sie betrifft, legt Jürgen Todenhöfer einen ganz
besonders aberwitzigen Erfindergeist an den Tag. Die »Menschen von Gaza«
hätten begonnen, »wie Maulwürfe Tunnel in Nachbarländer zu graben, um
manchmal für ein paar Tage oder Stunden Freiheit zu schnuppern«,
schreibt er. »Um nicht immer wie Untermenschen zu leben, gingen sie
unter die Erde. Wie paradox! Natürlich gruben sie die Tunnel in erster
Linie, um nicht auf Waren und Medikamente verzichten zu müssen. Und um
sich verteidigen zu können. Oder so zu tun als ob.« Herzzerreißend,
nicht wahr? Eine noch groteskere Verdrehung der Realität ist allerdings
kaum denkbar. Denn in Wahrheit dienen diese durchaus nicht
maulwurfartig, sondern sehr professionell angelegten unterirdischen Wege
keineswegs humanitären Zwecken, sondern vor allem dazu,
Waffen und Raketen zu lagern, Terroristen Unterschlupf zu gewähren und
ihnen das Vordringen auf israelisches Gebiet (sowie den anschließenden
Rückzug nach Gaza) zu ermöglichen. Die Tunnel – bei deren Bau bislang 160 Kinder umkamen
– sind weitverzweigte Netzwerke und teilweise sogar mit Lastenaufzügen,
Strom, Belüftungs- und Sprechanlagen sowie Schienen ausgestattet. Die
»Freiheit«, die sie laut Todenhöfer ermöglichen, ist die Freiheit, Juden
zu ermorden. Oder wenigstens zu entführen, wie den Soldaten Gilad
Schalit vor acht Jahren.
»Nur in Gaza herrscht Krieg, nicht in Israel«, glaubt Todenhöfer
gleichwohl. Alles andere sei »Propaganda«. Zum Beweis rechnet er vor,
dass die Zahl der Getöteten im Gazastreifen ungleich höher sei als in
Israel und 75 Prozent davon »unschuldige Zivilisten« seien. Bei diesem Body Count
übergeht er jedoch gleich mehrere Tatsachen sehenden Auges: Israel
schützt seine Bevölkerung vor den Raketen der Hamas, die Hamas lässt
ihre Raketen von der Bevölkerung schützen. Israel warnt die Bevölkerung
von Gaza und ist bemüht, zivile Opfer zu vermeiden, die Hamas nimmt die
Bewohner von Gaza als Geiseln und zielt mit ihren Raketen ausschließlich
auf die Zivilbevölkerung in Israel. Dass drei Viertel der in Gaza
getöteten Palästinenser zur Zivilbevölkerung gehören, ist außerdem eine
Angabe der Hamas, die man aus guten Gründen anzweifeln kann. Einmal
abgesehen davon, dass die Hamas ideologisch gar nicht zwischen
Kombattanten und Zivilisten unterscheidet, weil für sie jeder
Palästinenser ein Kämpfer im heiligen Krieg gegen den zionistischen
Feind ist.
Doch einmal in Fahrt, zieht Todenhöfer schließlich auch noch den
Nazijoker: »Noch in Tausenden von Jahren wird man sich die Geschichte
der Gefangenen von Gaza erzählen. Dieses gedemütigten und entrechteten
kleinen Volkes, das von einem benachbarten Herrenvolk in einem großen
Käfig gehalten wurde. Dem das Herrenvolk den Strom abdrehte, wann es ihm
gefiel.« Mit anderen Worten: Die Israelis treiben es heute mit den
Palästinensern wie weiland die nationalsozialistischen Deutschen, das
»Herrenvolk« par excellence also, mit den Juden. Und wenn man einmal an
diesem Punkt der Täter-Opfer-Verdrehung und der Holocaust-Relativierung
angelangt ist – die keine Entgleisung im Überschwang, sondern eine
wohlkalkulierte Pointe darstellt –, dann fügt sich alles wie von selbst
ins Weltbild ein. Auch die Tatsache, dass es eine Rakete aus dem
Gazastreifen war, die vor einigen Tagen israelische
Hochspannungsleitungen traf und 70.000 Palästinensern in Khan Younis und
Deir el-Balah die Stromversorgung kappte.
Oder dass die Palästinensische Autonomiebehörde bei der israelischen
Elektrizitätsgesellschaft mit 525 Millionen Dollar in der Kreide steht,
wovon 62 Millionen Dollar auf den Gazastreifen entfallen.
Der Rest von Todenhöfers Pamphlet ist Pathos, Tränendrüse,
Betroffenheitsprosa, Show. Niemand weine »mit den Menschen von Gaza«,
mit den »Müttern, deren zu Tode gebombte Kinder in ihren Armen starben«,
klagt er. Ewig werde man »über die Schande von Gaza sprechen«, über die
»herablassende, respektlose Unterdrückung und Demütigung seiner
Bevölkerung durch den Nachbarn Israel«, über das »Versagen der
Weltöffentlichkeit angesichts ihrer Behandlung als Menschen dritter
Klasse, Jean Paul Sartre würde sagen als ›Halbaffen‹«. Täglich erhalte
er »Morddrohungen«, die er gar nicht mehr zählen könne, sagt Todenhöfer,
und dennoch denke er »jede Minute an die Menschen in Gaza, an die
Verdammten dieser Erde«. Am liebsten würde er »gleich wieder zu ihnen
hinfahren«. Bis es so weit ist, gibt er, der »stets gut frisierte
Posterboy der neuen, mittelalten Friedensbewegung«, der »begabteste
Pressesprecher, den die Hamas je hatte« (Moritz Hoffmann), im gebührenfinanzierten Morgenmagazin der ARD das Leiden Christi. Oder begeistert eben auf Facebook seine zahlreichen Fans.
Jürgen Todenhöfer zieht – nicht zum ersten Mal
– alle Register, die der moderne Antisemitismus zu bieten hat.
Wortgewaltig und mit dem Zorn des scheinbar Gerechten dämonisiert und
delegitimiert er Israel, legt an den jüdischen Staat Maßstäbe an, die er
für kein anderes Land der Welt geltend machen würde, und geißelt dessen
Wehrhaftigkeit im Angesicht der Bedrohung. Todenhöfer verharmlost den
judenfeindlichen Terror der Hamas und verkehrt ihn in einen Akt der
Freiheitsliebe, er beugt die Wahrheit mit den Mitteln der Demagogie, er
lässt Tatsachen aus, die ihm nicht in den Kram passen. Er geriert sich
als Freund der Palästinenser, dabei dienen diese ihm lediglich als
Projektionsfläche für seine Ressentiments gegen den jüdischen Staat,
während es ihn kalt lässt, dass die Hamas ihnen das Leben zur Hölle
macht. Das alles wäre nicht weiter der Rede wert, wenn es sich bei
Todenhöfer um eine randständige Figur handeln würde, die kaum jemand
ernst nimmt. Doch er bedient eben nicht bloß die Ränder, sondern auch
und vor allem die »Israelkritik« in der vielbeschworenen »Mitte der
Gesellschaft«. Vor allem das macht ihn nicht nur zu einem erfolgreichen
Autor, sondern auch zu einem gern gesehenen Gast in Interviews und
Talkshows. Er ist ein Demagoge des Mainstreams.
lizaswelt
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