Wednesday, July 30, 2014

Kritischer Journaillismus (Folge 764)

Auf Michael Lüders ist Verlaß. Wohl deshalb scheint kaum eine Stunde zu vergehen, in der er nicht irgendwo auftritt, zu erzählen, was er immer erzählt. Das hat mit Vorurteilen zwar mehr zu tun als mit wirklicher Expertise, doch um letztere geht es ja gerade nicht. Das Publikum will hören, die gewohnt kritische Klasse senden, was es hören will.
Kritisch hingegen wird es in jeder Hinsicht, ist der Verläßliche bei der Konkurrenz unterwegs oder aus anderen Gründen gerade verhindert. Dann wird nämlich die ganze Voreingenommenheit besonders öffentlich-rechtlichen deutschen Moderatorentums so richtig offenkundig. Für seinen Deutschlandfunk beispielsweise wollte Dirk-Oliver Heckmann mal so richtig investigativ werden:
“Überraschend wenig wird derzeit hierzulande [!] darüber debattiert, ob sich das Verhalten der israelischen Armee noch im erlaubten Rahmen befindet oder nicht.”
Doch wo ein Michael Lüders vermutlich nicht lange überlegt hätte, wägt der ersatzweise befragte Claus Kreß, Direktor des Kölner Instituts für Friedenssicherungsrecht, ab und kommt zu dem Schluß:
“Israel ist in der Pflicht, so es Verdachtsmomente für Kriegsverbrechen im einzelnen Fall gibt – aber noch einmal, ich habe dafür zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Anhaltspunkte –, diesen Verdachtsmomenten nachzugehen.”
Kriegsverbrechen begehe, und zwar mehrfach, derweil einzig die Hamas, indem sie nämlich einerseits gezielt Zivilisten in Israel angreife und andererseits dadurch, daß sie “systematisch militärische Ziele und zivile Orte miteinander vermischt und dadurch die Zivilisten im Gazastreifen in eine eminente, ständige Gefahr” bringe.
“Das sind zwei separate und für sich genommen jeweils schwere Kriegsrechtsverstöße. Man kann darüber hinaus sogar die Frage stellen, ob bei derartig umfangreichen Angriffen, die ja Terrorcharakter annehmen, weil sie Schrecken über die israelische Zivilbevölkerung bringen sollen, ob wir hier nicht bereits die Schwelle eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit erreicht haben.”
Da will also ein Staatsrundfunker Kriegsverbrechen der israelischen Streitkräfte aufklären, über die “derzeit hierzulande [..] überraschend wenig [..] debattiert” werde – doch dann muß er sich erklären lassen, das liege möglicherweise daran, daß es da einfach gar nichts zu debattieren gibt. Vielmehr begehe die Hamas vielleicht sogar Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Eine nicht ganz unähnliche Pleite widerfuhr auch Kathrin Augustin, Ansagerin beim Staatssender Phoenix. “Für die Menschen im Gaza-Streifen wird die Situation immer dramatischer”, barmte sie. “Tausende Palästinenser sind auf der Flucht, wissen aber nicht wohin, denn” – Potzblitz! – “der dicht besiedelte Küstenstreifen ist abgeriegelt und gleicht somit einem riesigen Freiluftgefängnis.” Dumm nur, daß auch hier der Michael Lüders nicht greifbar war, sondern, zunächst, nur Richard C. Schneider aus Tel Aviv den Wegweiser geben mußte für das “Freiluftgefängnis”:
“Es gibt tatsächlich noch Flecken, wo es relativ sicher ist. Man kann sich immer weiter in Richtung des Meeres zurückziehen, denn in erster Linie bombardiert Israel an der Grenze zu Israel, also das heißt, vier, fünf Kilometer da hinein, das heißt, es gibt noch ein bißchen Möglichkeiten auszuweichen.”
Und dann zieht auch noch der Gast im Studio, Andreas Dittmann, Geograph an der Universität Gießen, die Behauptung vom “abgeriegelten Küstenstreifen” einfach so und vor laufender Kamera in Zweifel:
“Unter den Muslimbrüdern wäre der Konflikt wahrscheinlich jetzt noch stärker ausgebrochen, man kann sich nur ausmalen, was an Waffenlieferungen in der vergangenen Zeit in den angeblich so komplett abgeriegelten Gaza-Streifen hineingeflossen ist. Wenn da jetzt über Tage Israel mit Raketen angegriffen werden kann, dann kann das ja nicht eine hermetische Komplettabriegelung sein.”
Konnte Michael Lüders tatsächlich noch nicht geklont werden?
 tw24

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