Thursday, October 22, 2015

Erdogans Aggression gegen Europa

Diese Türkei-Lektion muss sich die EU gut merken. Erst verhandelt die Kommission mit Ankara über den Preis für die Eindämmung des Migrantenstroms über die Ägäis. Ein Brüsseler EU-Gipfel befindet dann über den gemeinsamen Aktionsplan. Am Sonntag darauf fliegt Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Istanbul, um dort Präsident Erdogan die europäischen Zugeständnisse zu präsentieren (der Bayernkurier berichtete).Ergebnis: Kaum ist der EU-Gipfel zu Ende, erhöht Ankara den Druck, macht die Schleusen erst richtig auf und schickt so viele Migranten über die Ägäis wie noch nie. Seit Freitag sind fast 30.000 Migranten über die Türkei auf den griechischen Ägäis-Inseln angekommen, allein am Montag 8000. Insgesamt waren es in diesem Jahr schon mehr als 500.000. Griechische Behörden befürchten, dass die Türkei in den nächsten Monaten bis zu 3,7 Millionen Migranten unkontrolliert über die Ägäis-Grenze nach Griechenland lassen könnten. Diese sind zum Teil noch in den türkischen Flüchtlingslagern und vor allem dezentral in türkischen Städten untergebracht. Da sie dort aber nicht arbeiten dürfen, dürfte ihr Wunsch weiter zu ziehen, groß sein. Die Zahl muss man nochmal langsam sagen: 3,7 Millionen.Ankara droht Griechenland und der ganzen Europäischen Union mit dem vollständigen Migranten-Chaos und der ganz großen humanitären Katastrophe. Was Erdogan da treibt, ist nicht mehr bloß rüde Verhandlungstaktik, um den Preis in die Höhe zu treiben. Das ist blanke türkische Aggression gegen die Europäische Union. Wer so handelt – und verhandelt – ist kein Partner und schon gar kein Beitrittskandidat mehr, sondern macht sich zum Gegner.
Erdogans Spiel wird umso übler, wenn man sich erinnert, welchen Anteil er und seine Regierung an der syrischen Katastrophe haben: Jahrelang hat die Türkei Zehntausende wilde Dschihadisten aus aller Welt ungehindert über ihre Grenze nach Syrien reisen lassen. Ankara hat syrischen Rebellen selbst der übelsten Sorte in der Türkei Etappen-Quartier, Rekrutierungs- und Behandlungsraum sowie Unterstützung aller Art gewährt. Der türkische Staatschef handelte und handelt jedenfalls aus kaltem Interessenskalkül: Erdogan wollte den syrischen Diktator Assad beseitigen, die Etablierung eines kurdischen Territoriums an der türkischen Grenze verhindern und für die Türkei Einfluss gewinnen auf die Neuordnung Syriens.
Man muss es demnach so offen sagen: Ankara hat den syrischen Bürgerkrieg nach Kräften angeheizt und befeuert. Am Tod von 250.000 Syrern und an der Zerstörung ihres Landes haben Erdogan und die Türkei damit großen Anteil – und, natürlich, am millionenfachen syrischen Flüchtlingselend.Und jetzt will Erdogan die Europäer mit eben jenen Flüchtlingen erpressen, die er zum guten Teil selber mit verursacht hat. Mit einem solchen Gegenüber sind Verhandlungen eigentlich nicht möglich. Erdogans üble Tour verlangt nach einer klaren, entschiedenen Antwort aus Brüssel – und aus den Hauptstädten der Mitgliedstaaten. Die EU sieht sich gerne als größte Wirtschaftsmacht der Welt und beansprucht globale Geltung. Wenn sie nun erlaubt, dass Erdogan derart mit ihr spielt, dann verliert sie jeden Respekt in der Welt – und bei den eigenen Bürgern.
 bayernkurier

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