Diese Türkei-Lektion muss sich die EU gut merken. Erst verhandelt die Kommission mit Ankara über den Preis für
die Eindämmung des Migrantenstroms über die Ägäis. Ein Brüsseler
EU-Gipfel befindet dann über den gemeinsamen Aktionsplan. Am Sonntag
darauf fliegt Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Istanbul, um dort
Präsident Erdogan die europäischen Zugeständnisse zu präsentieren (der Bayernkurier berichtete).Ergebnis: Kaum ist der EU-Gipfel zu Ende, erhöht Ankara den Druck, macht
die Schleusen erst richtig auf und schickt so viele Migranten über die
Ägäis wie noch nie. Seit Freitag sind fast 30.000 Migranten über die
Türkei auf den griechischen Ägäis-Inseln angekommen, allein am Montag
8000. Insgesamt waren es in diesem Jahr schon mehr als 500.000.
Griechische Behörden befürchten, dass die Türkei in den nächsten Monaten
bis zu 3,7 Millionen Migranten unkontrolliert über die Ägäis-Grenze
nach Griechenland lassen könnten. Diese sind zum Teil noch in den
türkischen Flüchtlingslagern und vor allem dezentral in türkischen
Städten untergebracht. Da sie dort aber nicht arbeiten dürfen, dürfte
ihr Wunsch weiter zu ziehen, groß sein. Die Zahl muss man nochmal
langsam sagen: 3,7 Millionen.Ankara droht Griechenland und der ganzen Europäischen Union mit dem
vollständigen Migranten-Chaos und der ganz großen humanitären
Katastrophe. Was Erdogan da treibt, ist nicht mehr bloß rüde
Verhandlungstaktik, um den Preis in die Höhe zu treiben. Das ist blanke
türkische Aggression gegen die Europäische Union. Wer so handelt – und
verhandelt – ist kein Partner und schon gar kein Beitrittskandidat mehr,
sondern macht sich zum Gegner.
Erdogans Spiel wird umso übler, wenn man sich erinnert, welchen
Anteil er und seine Regierung an der syrischen Katastrophe haben:
Jahrelang hat die Türkei Zehntausende wilde Dschihadisten aus aller Welt
ungehindert über ihre Grenze nach Syrien reisen lassen. Ankara hat
syrischen Rebellen selbst der übelsten Sorte in der Türkei
Etappen-Quartier, Rekrutierungs- und Behandlungsraum sowie Unterstützung
aller Art gewährt. Der türkische Staatschef handelte und
handelt jedenfalls aus kaltem Interessenskalkül: Erdogan wollte den
syrischen Diktator Assad beseitigen, die Etablierung eines kurdischen
Territoriums an der türkischen Grenze verhindern und für die Türkei
Einfluss gewinnen auf die Neuordnung Syriens.
Man muss es demnach so offen sagen: Ankara hat den syrischen
Bürgerkrieg nach Kräften angeheizt und befeuert. Am Tod von 250.000
Syrern und an der Zerstörung ihres Landes haben Erdogan und die Türkei
damit großen Anteil – und, natürlich, am millionenfachen syrischen
Flüchtlingselend.Und jetzt will Erdogan die Europäer mit eben jenen Flüchtlingen
erpressen, die er zum guten Teil selber mit verursacht hat. Mit einem
solchen Gegenüber sind Verhandlungen eigentlich nicht möglich. Erdogans
üble Tour verlangt nach einer klaren, entschiedenen Antwort aus Brüssel –
und aus den Hauptstädten der Mitgliedstaaten. Die EU sieht sich gerne
als größte Wirtschaftsmacht der Welt und beansprucht globale Geltung.
Wenn sie nun erlaubt, dass Erdogan derart mit ihr spielt, dann verliert
sie jeden Respekt in der Welt – und bei den eigenen Bürgern.
bayernkurier
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