Friday, June 24, 2016

Großbritanien stimmt über den Brexit ab: Von 66 Prozent Zustimmung zu 52 Prozent Ablehnung

Rund vierzig Jahre nachdem die Europäische Union es darauf anlegte, auch im Vereinigten Königreich Herzen und Hirne zu erobern, haben sich die Britinnen und Briten mehrheitlich gegen ihre weitere Mitgliedschaft in der EU entschieden. Das ist ein deutlicher Stimmungswandel gegenüber jenen 66%, die 1976 für die EWG (Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, wie die EU damals hieß) gestimmt hatten: Die Wählerwanderung beträgt rund 20%. 


von Ramiro Fulano
Die Wahlbeteiligung bei diesem Referendum war mit über 70% deutlich höher als bei den Parlamentswahlen im letzten Jahr. Schottland stimmte zu 62% für die EU, England zu 55% für Brexit, Wales zu 52% für Brexit und Nord-Irland stimmte zu 56% für die EU. Für Großbritannien insgesamt ergeben sich somit 48% für die EU und 52% für Brexit. 
Ihre Hochburgen hatte die EU in den derzeit angesagten Wohnvierteln des juste milieus in und um London, in einigen Universitäts- und Großstädten (Birmingham, Leeds, Manchester, Bristol) sowie in Tower Hamlets. Also dort, wo jene Menschen leben, die sich von Brüssel mehr versprechen als von Westminster. 
Brexit hingegen erwies sich ab der Deklaration der Ergebnisse aus Sunderland und Newcastle/Tyne, traditionellen Labour-Hochburgen in Nordengland, als wesentlich stärker als vorhergesagt. Der Trend setzte sich in den Industrieregionen Mittelenglands sowie im ländlichen Südengland fort. 
Das starke Abschneiden von Brexit in traditionellen Labour-Bezirken dürfte für viele die wesentliche Überraschung gewesen sein. Sie verheißt für den Parteivorsitzenden Jeremy Corbyn nicht unbedingt etwas Gutes. Aber tatsächlich sieht sich der lohnabhängig beschäftigte Teil Großbritanniens durch die Freizügigkeitsregelung der EU einer neuen, billigen Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt ausgesetzt und erlitt in den letzten Jahren erhebliche Einkommensverluste. 
Wie sich somit herausstellt, ist die politische Klientel der EU in Großbritannien in der Minderheit – ob sie das nun wahr haben möchte oder nicht. Die Mehrheit hingegen ist offenbar der Meinung, sie hätte von Brüssel nicht mehr zu erwarten als eine weitere Verschlechterung ihres Lebensstandards. Vor allem aber verspricht sich die Mehrheit mehr Glück und Erfolg davon, ihre Geschicke demokratisch selbst zu bestimmen. Insofern ist Brexit ein Sieg der Demokratie.
Mr Camerons politische Zukunft als Premierminister ist mit dem Ausgang des Referendums fraglich. Zuletzt wurde bereits gemunkelt, dass er um elf am Vormittag seine letzte Dienstfahrt zum Buckingham Palace antreten darf, bevor dort am Nachmittag „der neue Mann“ vorgestellt wird. Aber ob sich HM The Queen das anstehende Wochenende wirklich mit Amtshandlungen in letzter Minute ruinieren möchte? Es wäre nicht die erste Überraschung in den letzten 48 Stunden.
Boris Johnson hat sich zumindest aus Sicht der Tory-Party erfolgreich als Vater des Erfolgs positioniert, wobei der Brexit tatsächlich viele Mütter und Väter hat: Kate Hoey und Gisela Stuart von Labour, Andrea Leadsome, Michael Gove, Ian Duncan Smith und Dan Hannan von den Torys sowie Nigel Farage von UKIP, ohne dessen Penetranz es zu dieser Volksabstimmung vermutlich nicht gekommen wäre. 
Mindestens ebenso wichtig waren die ungezählten engagierten Bürgerinnen und Bürger in der Länge und Breite des Landes sowie die kollektive Anstrengung aller Beteiligten in den Kommentarspalten des Internets – das Ergebnis ist wesentlich ihnen zu verdanken. 
Die britische Volksabstimmung drehte sich um die Frage, ob das Vereinigte Königreich seine politischen Entscheidungen zukünftig in parlamentarischer Form selbst treffen möchte und berührte somit den Kern demokratischer Souveränität sowie dessen Reife. Hinsichtlich der Wirtschafts- und Sozialpolitik ging es beispielhaft um die Frage, wie Einwanderungspolitik und Handelsbeziehungen zur übrigen Welt gesamtstaatlich geregelt werden sollen. 
Die EU, die ihre berühmt-berüchtigten „Demokratiedefizite“ nur dann eingesteht, wenn sie es nicht länger vermeiden kann nur um sie sofort zu vergessen, sobald der politische Wind wieder günstiger weht, hatte es immer schon schwer eine Nation zu begeistern, die sich ihres harten Kampfes für bürgerliche Freiheit (er begann bekanntlich 1215 mit der Magna Charta) durchaus bewusst ist. Es muss von daher nicht verwundern, dass Großbritannien sich mehrheitlich für Demokratie und Freiheit und gegen die Brüsseler Beamtendiktatur entschieden hat.
Allen „Freunden in Europa“, die nun sagen werden: „Ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt“ ist nichts weiter zu sagen als: „Ja, werden wir. Aber ihr seht es schon jetzt – wenn ihr mal richtig hingucken würdet.“ Ich persönlich finde, dass demokratische Selbstbestimmung besser geeignet ist, die Geschicke einer Nation zu lenken als ein europäischer Zollverein, der sich zum Ziel gesetzt hat, die Demokratien seiner Gliedstaaten zu zerstören. Aber ich kann mich auch irren.
Nur eine Linke, die sich in ihrer abgrundtiefen Armeseligkeit unter Freiheit und Demokratie noch nie viel mehr als „Coca-Cola-Imperialismus“ und „Siegerjustiz“ vorzustellen vermochte, hat es mit dem Ausgang des Referendums schwer. Nicht etwa, weil sie dem sogenannten Westen ihre vorübergehende Befreiung vom Faschismus noch immer nicht verziehen hat. Sondern weil sie unfähig ist, zwischen ihrer Politik und deren Resultaten eine logische Kausalbeziehung herzustellen. Infantilisierung und Verblödung der Öffentlichkeit durch Staatsfunk und Papageienschulen machen vor der Klasse des „politischen“ (vulgo: wahnhaften) Bewusstseins nämlich auch dann nicht halt, wenn sie primär deren Wählerklientel ins Visier nehmen.
Kurz: Die Linke sowie deren vermeintliche moralische Leistungsträger in Medien und Staat sind aus ideologischen Gründen nicht dazu in der Lage, die zentrale Aussage des britischen Referendums zu begreifen. Nämlich: Dass die liberale nationalstaatliche Demokratie der beste Garant für hart erkämpfte Freiheit ist. Aber die „europäische“ Linke hat es ja auch Russland nicht verziehen, dass es dem Land nach siebzehn Jahren Putin besser ergeht als nach siebzig Jahren Sozialismus.
Sozialer und ökonomischer Erfolg sind jene zwei Seiten derselben Medaille, deren eine nur um den Preis der anderen zu haben ist. Die realexistierende EU will davon nichts wissen und sie wird deshalb eines Tages vielleicht keine dieser beiden Seiten ihr eigen nennen. Denn während unklar ist, genau welche dringend benötigten Impulse ein EU-Beitritt von Mazedonien, Albanien und Erdogans Türkei der siechen Brüsseler Beamtendiktatur vermitteln sollte, gewinnen die zentrifugalen Kräfte an Stärke - während im Zentrum der EU der politische Extremismus grassiert.
Polen, Ungarn und einige weitere osteuropäische Staaten gehen bereits auf Distanz zur EU „unter deutscher Führung“. Der Südrand der EU hingegen versinkt in einem Morast made in Germany, durchregiert aus Bruxelles: Die zweite verlorene Dekade bricht an. Dass sich die maroden Finanzen von Lissabon, Madrid, Rom und Athen nur in einer umfassenden Fiskalunion und auch dann nur vorübergehend stabilisieren lassen, wird sich spätestens nach der nächsten Bundestagswahl nicht länger leugnen lassen – vorher dafür umso mehr. 
Sprich: Auch das nächste schwarz-rot-grüne Wahlmärchen wird vermutlich teuer. Aber die deutschen Europathen werden sicherlich einen Weg finden, unbeteiligte Dritte für ihr gutes Gewissen zur Kasse zu bitten. Und wie immer wird es mit der „sozial gerechten“ Umverteilung der Chancen und Risiken des Kapitalismus (ergo: mit dem Sozialismus) erst dann zu Ende gehen, wenn das Geld anderer Leute alle ist.
Deutschland und Frankreich - zwei Einbeinige, die in derselben Jogginghose zum Dauerlauf starten - versinken in der globalen Bedeutungslosigkeit: 88% der Weltwirtschaft finden außerhalb der EU statt und nur 12% im „größten Binnenmarkt der Erde“. Beim Wirtschaftswachstum liegt die EU weltweit auf dem vorletzten Platz – noch schlechter schneidet allein die Antarktis ab. Außer im „politischen“ (sprich: wahnhaften) Brüssel wundert sich niemand, dass der fehlgeschlagene Freilandversuch „EU“ nirgends auf der Welt kopiert worden ist.
Die Parallelwelt Bruxelles ist gegen alle Anfechtungen durch die Wirklichkeit hermetisch isoliert. Allein: Man kann die Wirklichkeit ignorieren, aber nicht die Folgen der Ignoranz. Und wie war das noch mal mit den „Mauern in den Köpfen“, die eingerissen werden müssen, liebe Frau Doktor Bundeskanzler?
Während die Rest- und dann die Rost-EU in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren ihren Insassen das Märchen in die Ohren säuselt, sie hätte den „Frieden in Europa“ garantiert (Bosnien? Ukraine? Was noch?), wird die Welt sich weiterdrehen. Dass Stillstand jedoch Rückschritt bedeutet, wusste sogar einmal die deutsche Sozialdemokratie.
Was Deutschland und seinen Juniorpartner Frankreich nicht davon abhalten wird, sich solange in einer sozial-ökonomischen Todesspirale zu drehen, bis die beiden ehemaligen Erzfeinde gemeinsam zu einem schwarzen Loch implodieren. Das Airbus-Imperium kann man eines Tages vielleicht mal an Indien oder Südkorea verkaufen um den Lebensabend der letzten Eurokraten zu finanzieren. Doch die Atomkraft der nächsten Generation wird bereits heute in der VR China produziert, liebe Grüne.
Aber auch das mit dem „Frieden in Europa“ ist eine Lüge der EU, die kurze Beine haben wird. Was den Frieden in Europa sichert, ist erstens die NATO und zweitens die Tatsache, dass man es seit dem Zweiten Weltkrieg auf diesem Kontinent nur noch mit Demokratien zu tun hat, die miteinander Handel treiben wollen (und müssen). Allen zweckdienlichen Behauptungen des kommunistischen Agitprop-Autors Berthold Brecht zum Trotz: Krieg ist sehr schlecht fürs Geschäft. 
Bis zum Ende des Eurokommunismus wird viel Wasser den Fluss hinunterfließen. Die offizielle Politik von „Deutschland in Europa“ wird weiterhin jede Menge Leid und Elend in den Pleitestaaten der EU produzieren. Im Inland werden immer drakonischere Eingriffe in die bürgerliche Freiheit nötig, um einen politischen Status Quo zu stabilisieren, der zunehmend weniger wie Freedom & Democracy schmecken wird.
Der Tugendterror der beiden Möchtegerndiktatoren Annetta Kahane und Heiko Maas hingegen ist nur der erste Schritt auf einem Weg, der auf dem Kontinent zuletzt in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts beschritten wurde. Natürlich nur, weil man es gut meint – vor allem mit sich selbst – wird das politische Establishment sich gegen Konkurrenz an den Fleischtöpfen der Macht mit allen Mitteln imprägnieren und dabei womöglich vor Gewaltanwendung nicht zurückschrecken. 
Und hinterher will es wieder niemand gewesen sein.

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