von Ramiro Fulano
Die Wahlbeteiligung bei diesem Referendum war mit über 70% deutlich
höher als bei den Parlamentswahlen im letzten Jahr. Schottland stimmte
zu 62% für die EU, England zu 55% für Brexit, Wales zu 52% für Brexit
und Nord-Irland stimmte zu 56% für die EU. Für Großbritannien insgesamt
ergeben sich somit 48% für die EU und 52% für Brexit.
Ihre Hochburgen hatte die EU in den derzeit angesagten Wohnvierteln
des juste milieus in und um London, in einigen Universitäts- und
Großstädten (Birmingham, Leeds, Manchester, Bristol) sowie in Tower
Hamlets. Also dort, wo jene Menschen leben, die sich von Brüssel mehr
versprechen als von Westminster.
Brexit hingegen erwies sich ab der Deklaration der Ergebnisse aus
Sunderland und Newcastle/Tyne, traditionellen Labour-Hochburgen in
Nordengland, als wesentlich stärker als vorhergesagt. Der Trend setzte
sich in den Industrieregionen Mittelenglands sowie im ländlichen
Südengland fort.
Das starke Abschneiden von Brexit in traditionellen Labour-Bezirken
dürfte für viele die wesentliche Überraschung gewesen sein. Sie
verheißt für den Parteivorsitzenden Jeremy Corbyn nicht unbedingt etwas
Gutes. Aber tatsächlich sieht sich der lohnabhängig beschäftigte Teil
Großbritanniens durch die Freizügigkeitsregelung der EU einer neuen,
billigen Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt ausgesetzt und erlitt in den
letzten Jahren erhebliche Einkommensverluste.
Wie sich somit herausstellt, ist die politische Klientel der EU in
Großbritannien in der Minderheit – ob sie das nun wahr haben möchte oder
nicht. Die Mehrheit hingegen ist offenbar der Meinung, sie hätte von
Brüssel nicht mehr zu erwarten als eine weitere Verschlechterung ihres
Lebensstandards. Vor allem aber verspricht sich die Mehrheit mehr Glück
und Erfolg davon, ihre Geschicke demokratisch selbst zu bestimmen.
Insofern ist Brexit ein Sieg der Demokratie.
Mr Camerons politische Zukunft als Premierminister ist mit dem
Ausgang des Referendums fraglich. Zuletzt wurde bereits gemunkelt, dass
er um elf am Vormittag seine letzte Dienstfahrt zum Buckingham Palace
antreten darf, bevor dort am Nachmittag „der neue Mann“ vorgestellt
wird. Aber ob sich HM The Queen das anstehende Wochenende wirklich mit
Amtshandlungen in letzter Minute ruinieren möchte? Es wäre nicht die
erste Überraschung in den letzten 48 Stunden.
Boris Johnson hat sich zumindest aus Sicht der Tory-Party
erfolgreich als Vater des Erfolgs positioniert, wobei der Brexit
tatsächlich viele Mütter und Väter hat: Kate Hoey und Gisela Stuart von
Labour, Andrea Leadsome, Michael Gove, Ian Duncan Smith und Dan Hannan
von den Torys sowie Nigel Farage von UKIP, ohne dessen Penetranz es zu
dieser Volksabstimmung vermutlich nicht gekommen wäre.
Mindestens ebenso wichtig waren die ungezählten engagierten
Bürgerinnen und Bürger in der Länge und Breite des Landes sowie die
kollektive Anstrengung aller Beteiligten in den Kommentarspalten des
Internets – das Ergebnis ist wesentlich ihnen zu verdanken.
Die britische Volksabstimmung drehte sich um die Frage, ob das
Vereinigte Königreich seine politischen Entscheidungen zukünftig in
parlamentarischer Form selbst treffen möchte und berührte somit den Kern
demokratischer Souveränität sowie dessen Reife. Hinsichtlich der
Wirtschafts- und Sozialpolitik ging es beispielhaft um die Frage, wie
Einwanderungspolitik und Handelsbeziehungen zur übrigen Welt
gesamtstaatlich geregelt werden sollen.
Die EU, die ihre berühmt-berüchtigten „Demokratiedefizite“ nur dann
eingesteht, wenn sie es nicht länger vermeiden kann nur um sie sofort
zu vergessen, sobald der politische Wind wieder günstiger weht, hatte es
immer schon schwer eine Nation zu begeistern, die sich ihres harten
Kampfes für bürgerliche Freiheit (er begann bekanntlich 1215 mit der
Magna Charta) durchaus bewusst ist. Es muss von daher nicht verwundern,
dass Großbritannien sich mehrheitlich für Demokratie und Freiheit und
gegen die Brüsseler Beamtendiktatur entschieden hat.
Allen „Freunden in Europa“, die nun sagen werden: „Ihr werdet schon
sehen, was ihr davon habt“ ist nichts weiter zu sagen als: „Ja, werden
wir. Aber ihr seht es schon jetzt – wenn ihr mal richtig hingucken
würdet.“ Ich persönlich finde, dass demokratische Selbstbestimmung
besser geeignet ist, die Geschicke einer Nation zu lenken als ein
europäischer Zollverein, der sich zum Ziel gesetzt hat, die Demokratien
seiner Gliedstaaten zu zerstören. Aber ich kann mich auch irren.
Nur eine Linke, die sich in ihrer abgrundtiefen Armeseligkeit unter
Freiheit und Demokratie noch nie viel mehr als
„Coca-Cola-Imperialismus“ und „Siegerjustiz“ vorzustellen vermochte, hat
es mit dem Ausgang des Referendums schwer. Nicht etwa, weil sie dem
sogenannten Westen ihre vorübergehende Befreiung vom Faschismus noch
immer nicht verziehen hat. Sondern weil sie unfähig ist, zwischen ihrer
Politik und deren Resultaten eine logische Kausalbeziehung herzustellen.
Infantilisierung und Verblödung der Öffentlichkeit durch Staatsfunk und
Papageienschulen machen vor der Klasse des „politischen“ (vulgo:
wahnhaften) Bewusstseins nämlich auch dann nicht halt, wenn sie primär
deren Wählerklientel ins Visier nehmen.
Kurz: Die Linke sowie deren vermeintliche moralische
Leistungsträger in Medien und Staat sind aus ideologischen Gründen nicht
dazu in der Lage, die zentrale Aussage des britischen Referendums zu
begreifen. Nämlich: Dass die liberale nationalstaatliche Demokratie der
beste Garant für hart erkämpfte Freiheit ist. Aber die „europäische“
Linke hat es ja auch Russland nicht verziehen, dass es dem Land nach
siebzehn Jahren Putin besser ergeht als nach siebzig Jahren Sozialismus.
Sozialer und ökonomischer Erfolg sind jene zwei Seiten derselben
Medaille, deren eine nur um den Preis der anderen zu haben ist. Die
realexistierende EU will davon nichts wissen und sie wird deshalb eines
Tages vielleicht keine dieser beiden Seiten ihr eigen nennen. Denn
während unklar ist, genau welche dringend benötigten Impulse ein
EU-Beitritt von Mazedonien, Albanien und Erdogans Türkei der siechen
Brüsseler Beamtendiktatur vermitteln sollte, gewinnen die zentrifugalen
Kräfte an Stärke - während im Zentrum der EU der politische Extremismus
grassiert.
Polen, Ungarn und einige weitere osteuropäische Staaten gehen
bereits auf Distanz zur EU „unter deutscher Führung“. Der Südrand der EU
hingegen versinkt in einem Morast made in Germany, durchregiert aus
Bruxelles: Die zweite verlorene Dekade bricht an. Dass sich die maroden
Finanzen von Lissabon, Madrid, Rom und Athen nur in einer umfassenden
Fiskalunion und auch dann nur vorübergehend stabilisieren lassen, wird
sich spätestens nach der nächsten Bundestagswahl nicht länger leugnen
lassen – vorher dafür umso mehr.
Sprich: Auch das nächste schwarz-rot-grüne Wahlmärchen wird
vermutlich teuer. Aber die deutschen Europathen werden sicherlich einen
Weg finden, unbeteiligte Dritte für ihr gutes Gewissen zur Kasse zu
bitten. Und wie immer wird es mit der „sozial gerechten“ Umverteilung
der Chancen und Risiken des Kapitalismus (ergo: mit dem Sozialismus)
erst dann zu Ende gehen, wenn das Geld anderer Leute alle ist.
Deutschland und Frankreich - zwei Einbeinige, die in derselben
Jogginghose zum Dauerlauf starten - versinken in der globalen
Bedeutungslosigkeit: 88% der Weltwirtschaft finden außerhalb der EU
statt und nur 12% im „größten Binnenmarkt der Erde“. Beim
Wirtschaftswachstum liegt die EU weltweit auf dem vorletzten Platz –
noch schlechter schneidet allein die Antarktis ab. Außer im
„politischen“ (sprich: wahnhaften) Brüssel wundert sich niemand, dass
der fehlgeschlagene Freilandversuch „EU“ nirgends auf der Welt kopiert
worden ist.
Die Parallelwelt Bruxelles ist gegen alle Anfechtungen durch die
Wirklichkeit hermetisch isoliert. Allein: Man kann die Wirklichkeit
ignorieren, aber nicht die Folgen der Ignoranz. Und wie war das noch mal
mit den „Mauern in den Köpfen“, die eingerissen werden müssen, liebe
Frau Doktor Bundeskanzler?
Während die Rest- und dann die Rost-EU in den nächsten zehn bis
zwanzig Jahren ihren Insassen das Märchen in die Ohren säuselt, sie
hätte den „Frieden in Europa“ garantiert (Bosnien? Ukraine? Was noch?),
wird die Welt sich weiterdrehen. Dass Stillstand jedoch Rückschritt
bedeutet, wusste sogar einmal die deutsche Sozialdemokratie.
Was Deutschland und seinen Juniorpartner Frankreich nicht davon
abhalten wird, sich solange in einer sozial-ökonomischen Todesspirale zu
drehen, bis die beiden ehemaligen Erzfeinde gemeinsam zu einem
schwarzen Loch implodieren. Das Airbus-Imperium kann man eines Tages
vielleicht mal an Indien oder Südkorea verkaufen um den Lebensabend der
letzten Eurokraten zu finanzieren. Doch die Atomkraft der nächsten
Generation wird bereits heute in der VR China produziert, liebe Grüne.
Aber auch das mit dem „Frieden in Europa“ ist eine Lüge der EU, die
kurze Beine haben wird. Was den Frieden in Europa sichert, ist erstens
die NATO und zweitens die Tatsache, dass man es seit dem Zweiten
Weltkrieg auf diesem Kontinent nur noch mit Demokratien zu tun hat, die
miteinander Handel treiben wollen (und müssen). Allen zweckdienlichen
Behauptungen des kommunistischen Agitprop-Autors Berthold Brecht zum
Trotz: Krieg ist sehr schlecht fürs Geschäft.
Bis zum Ende des Eurokommunismus wird viel Wasser den Fluss
hinunterfließen. Die offizielle Politik von „Deutschland in Europa“ wird
weiterhin jede Menge Leid und Elend in den Pleitestaaten der EU
produzieren. Im Inland werden immer drakonischere Eingriffe in die
bürgerliche Freiheit nötig, um einen politischen Status Quo zu
stabilisieren, der zunehmend weniger wie Freedom & Democracy
schmecken wird.
Der Tugendterror der beiden Möchtegerndiktatoren Annetta Kahane und
Heiko Maas hingegen ist nur der erste Schritt auf einem Weg, der auf
dem Kontinent zuletzt in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts
beschritten wurde. Natürlich nur, weil man es gut meint – vor allem mit
sich selbst – wird das politische Establishment sich gegen Konkurrenz an
den Fleischtöpfen der Macht mit allen Mitteln imprägnieren und dabei
womöglich vor Gewaltanwendung nicht zurückschrecken.
Und hinterher will es wieder niemand gewesen sein.
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