Monday, July 25, 2016

Romeo und Julia in Reutlingen. Wie ZDF und ARD eine Nachricht als Love-Story verkaufen

Die öffentlich rechtlichen Fernsehprogramme „sind keine Nachrichtensender“, so Claus Kleber am Wochenende in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung. Ihre Aufgabe könne sich nicht darin erschöpfen, aktuell, umfassend und unabhängig über das Tagesgeschehen zu berichten. Vielmehr böten ARD und ZDF ein Vollprogramm, Sport, Unterhaltung, den „Tatort“, Tier- und Pflanzenfilme, Talkshows mit Pfiff und aggressivem Schlagabtausch, dazu Quiz- und Kochsendungen, „Leute heute“, Volksmusik mit Florian Sibereisen und Helene Fischer auf großer Bühne. Alles in allem eine Vielzahl unterschiedlichster Sendungen, bei denen sich die Zuschauer wohlfühlen sollen. Ohne dieses breite Angebot, erklärte Claus Kleber weiter, hätten auch „unsere Nachrichtenangebote nicht jeden Tag zig Millionen Zuschauer“.
Mit  anderen Worten, die Nachrichtenportale, heute und heute journal, Tagesschau und Tagesthemen, sind Trittbrettfahrer des öffentliche rechtlichen Entertainments. Ihrerseits müssen sie darauf sehen, den Zuschauer unterhaltsam bei der Stange zu halten, und das nicht nur, indem sie das Pult verlassen, um die Nachrichten des Tages als Spaziergänger im Studio an den  Mann zu bringen. Mehr noch haben die Redakteure, die Anchormen oder -women bei der Auswahl, der Platzierung und der Darbietung der Ereignisse, über die sie informieren, darauf zu achten,  dass sie ihr Publikum nicht verschrecken. Um den Zuschauer nicht allzu sehr zu verunsichern, müssen harte Fakten emotional verschleiert, unter Umständen aussortiert werden. Keinesfalls dürfen sie so nüchtern sachlich „rüberkommen“, dass sie den Bürger um den Schlaf bringen könnten. Das wäre der Super-Gau im öffentlich rechtlichen Fernsehen.
Schon wenige Stunden nach dem Mordanschlag von München am vergangenen Freitag beeilten sich ARD und ZDF Lageberichte zu senden, die den Gedanken an einen terroristischen, gar einen islamischen Hintergrund der Tat ausschlossen. Polizeibeamte und Politiker, die das in Windeseile ermittelt haben wollten, waren permanent auf Sendung, mit den immer gleichen Worten. Dazu kamen die Statements von „Experten“ des Terrorismus und der Psychologie, die uns weismachen wollten, dass das gar nicht sein könne, weil es sich bei dem Täter iranischer Herkunft um einen psychisch gestörten Jugendlichen handelte, der Stunden zuvor durch eine Abiturprüfung gefallen war.
Außerdem erfuhren wir, auch jeder Deutsche könne sich die für eine solche Tat notwendige Waffe ohne Mühe im Internet bestellen und per Post nach Hause liefern lassen. Dass aus der großkalibrigen Pistole, einer Glock, unterdessen eine umgebaute Schreckschusspistole geworden ist, spielte nachher schon keine Rolle mehr. Galt es doch ohnehin erst einmal zu trauern und Bilder von Münchnern zu zeigen, die sich weinend in den Armen lagen. Wieder und wieder wurde ihre beispielhafte „Solidarität“ mit den Opfern und deren Angehörigen hervorgehoben.
Das beanspruchte dann gestern so viel Sendezeit, dass in der abendlichen Tagesschau sowie im heute journal nur noch wenige Sekunden für den Hinweis auf ein weiteren Mordanschlag blieben. Vermeldet wurde, im baden-württembergischen Reutlingen habe ein 21-Jähriger mehrere Menschen mit einer Machete angegriffen und eine schwangere Frau tödlich verletzt. Aber auch da stand bereits um 20.00, gut dreieinhalb Stunden nach der Tat, fest, dass es sich nicht um einen Terroranschlag handelte. Weder für die Tagesschau noch für das später gesendete heute Journal bestand der geringste Zweifel an der Tat eines Einzelnen mit psychischen Problemen.
Von einer Beziehungstat war bald die Rede. Mit wenigen Worten zauberte das öffentlich rechtliche Fernsehen eine Love-Story mit tragischem Ende aus dem Hut. Romeo und Julia in Reutlingen? Warum aber, wenn dem so ist, wurde kein Wort über die Identität der Täters verloren, eines Syrers, der nach abgelehntem Asylantrag noch geduldet in der Kleinstadt lebte. Fürchtete man, die Häufung der Mordanschläge durch Männer, die aus der islamischen geprägten Welt zugewandert sind, würde erneut Zweifel an der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung wecken? Ließ man da einiges unter den Tisch fallen, um der Vermutung vorzubeugen, die Kanzlerin könne mit ihrer selbstherrlich verfügten Grenzöffnung um sich greifenden Gewalttaten Vorschub geleistet haben?
Sicher hat Claus Kleber Recht, wenn er schreibt: „Wir empfangen - entgegen anderslautenden Behauptungen aus Lügenfressen - keine Anweisung ‚von oben‘.“ Dessen bedarf es gar nicht mehr. Das deutsche Staatsfernsehen handelt so schon in vorauseilendem Gehorsam. Bei ARD und ZDF hat man die Erwartungen der Bundesregierung bereits derart verinnerlicht, dass die Nachrichtenverkäufer von sich aus peinlichst darauf achten, alles auszublenden, was ihren Dienstherren missfallen könnte.
Nun will man deshalb nicht gleich so weit gehen, Claus Kleber und seine Kollegen unsererseits als „Lügenfressen“ zu beschimpfen; Handlanger sind sie allemal.
achgut.com / Thomas Rietzschel

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