Thursday, June 28, 2018

Die erschlichene Einbürgerungswelle kommt

Der Fall: Der Kläger, ein irakischer Staatsangehöriger, reiste 1997 unter falscher Identität in das Bundesgebiet ein und beantragte mit falschen Angaben seine Anerkennung als Asylberechtigter. Er wurde als Flüchtling anerkannt und erhielt einen Aufenthaltstitel. Elf Jahre später, 2008, erhielt er eine Niederlassungserlaubnis, also einen unbefristeten Aufenthaltstitel. Weitere zwei Jahre darauf, 2010, offenbarte er der Ausländerbehörde seine wahre Identität. 2012 schließlich, 15 Jahre nach seiner Einreise, beantragte der Iraker seine Einbürgerung. Diesen Antrag lehnte die Staatsangehörigkeitsbehörde wegen Identitätstäuschung ab. Das Verwaltungsgericht München und – in der Berufung – der Verwaltungsgerichtshof München bestätigten die Ablehnung der Behörde. 
Anders die obersten Verwaltungsrichter in Leipzig. Sie gaben dem Kläger in der Revision recht und verpflichteten die Staatsangehörigkeitsbehörde, „den Kläger in den deutschen Staatsverband einzubürgern“ – eine sogenannte Anspruchseinbürgerung. Der Leitsatz des Urteils: „Beruhte der Aufenthalt eines Einbürgerungsbewerbers im Inland zeitweise auf einer Täuschung über seine Identität oder sonstige aufenthaltsrechtlich beachtliche Umstände, kommt es für den gewöhnlichen Aufenthalt nach § 10 Abs. 1 StAG und die dabei rückblickend zu treffende Prognose maßgeblich darauf an, wie sich die Ausländerbehörde verhalten hätte, wenn sie von der Täuschung Kenntnis gehabt hätte (hypothetische Ex-ante-Prognose).“
Die umfangreichen und juristisch fein ziselierten Ausführungen der Richter zur „hypothetischen Ex-ante-Prognose“ lauten in verkürzter Übersetzung: selbst schuld, liebe Behörde. Als ihr von der Identitätstäuschung erfuhrt, habt ihr nichts gegen den Mann unternommen, weder strafrechtlich noch aufenthaltsrechtlich. Mehr noch, wir müssen davon ausgehen, dass ihr auch nicht eingeschritten wärt, wenn ihr früher Bescheid gewusst hättet. Schließlich seid ihr in vergleichbaren Fällen ebenfalls untätig geblieben. Deswegen, liebe Behörde, müsst ihr jetzt auch damit leben, dass der Mann eingebürgert wird, obwohl er sich mit falscher Identität eine Asylberechtigung und Jahre später auch noch eine dauerhafte Niederlassungserlaubnis erschlichen hat. Klar, das war alles rechtswidrig. Aber wenn solches Handeln staatlicherseits einfach hingenommen wird, dann könnt ihr bei der Einbürgerung nicht plötzlich nein sagen. Bätschi.
Die überraschende Schlussfolgerung des höchsten deutschen Verwaltungsgerichts ist das eine. Interessanter ist die quasi nebenbei getroffene Feststellung, dass selbst im angeblich so strengen Law-and-order-Freistaat Bayern auf das Bekanntwerden einer Identitätstäuschung offenbar regelmäßig keine Konsequenzen folgen. Das zuständige Ausländeramt macht einfach – nichts. Warum, ist nicht bekannt. Ob aus Unfähigkeit, Bequemlichkeit, „Weisung von oben“ oder welchen Gründen auch immer: Es passiert nichts.
Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ist ein weiterer Beleg für die zahllosen Mängel, Unzulänglichkeiten und Versäumnisse im deutschen Asyl(un)wesen. Und es zeigt wieder einmal: Die eingangs aufgeführten Gesetzesverschärfungen klingen zwar gut und richtig und sinnvoll. Sie werden aber keine Wirkung entfalten, wenn sich die Praxis nicht ändert. Die Praxis ist, dass bereits die bestehenden Möglichkeiten nicht annähernd ausgeschöpft werden. Aufgrund dieser Praxis ist zu erwarten, dass auf die gewaltige Zuwanderungswelle der Jahre 2015 und folgende ab etwa 2023 eine nicht minder gewaltige Einbürgerungswelle folgen wird, trotz der massenhaften Identitätstäuschungen.
http://www.achgut.com/artikel/die_erschlichene_einbuergerungswelle_kommt

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