Tuesday, December 13, 2016

Postfaktisches aus dem Wahrheitsministerium

Bestens passend in diese Kampagne hat jetzt auch noch die halbamtliche Gesellschaft für deutsche Sprache „postfaktisch“ zum Wort des Jahres gekürt, in willfähriger Nachahmung der Oxford University Press, die „Post-Truth“ zum Wort des Jahres gekürt hat. „Post-Truth“! Klingt das nur für mich nach Orwellschem Neusprech, wie in „Wahrheitsministerium“ aus dem Roman “1984“?
“Immer größere Bevölkerungsschichten sind in ihrem Widerwillen gegen ‘die da oben’ bereit, Tatsachen zu ignorieren und sogar offensichtliche Lügen bereitwillig zu akzeptieren.”
So erläutert die Sprachgesellschaft ihre Wahl. Damit meint sie offenbar nicht die inexistenten Massenvernichtungswaffen von Saddam Hussein, die den Irak-Krieg begründeten, oder die unbewiesenen Kriegsverbrechen des posthum in Den Haag weitgehend entlasteten früheren jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic, die die Bombardierung Serbiens begründeten.* Das waren ja alles Lügen, die von „denen da oben“ kamen. Gemeint ist wahrscheinlich auch nicht die halbe Milliarde Dollar, die der Pentagon nach einem Bericht des Schweizer „Zeitpunkt“ der PR-Firma Bell Pottinger für das Fälschen von Terroristenfilmen für Propagandazwecke bezahlte. Und gemeint sind auch nicht die vielstimmigen, beleglosen und oft furchtbar unplausiblen “Informationen”  über von Putin gesteuerte Internetmedien und Politiker. Felix Serrao bringt in der FAZ auf den Punkt, worum es stattdessen geht:
„Postfaktisch: Das klingt erst mal lustig. Doch hinter dem Begriff steckt eine intolerante, ja demagogische Absicht: Wer einmal öffentlich als irrational gebrandmarkt ist, den muss keiner mehr ernst nehmen. Ist der „Populist“ – um einen weiteren Kampfbegriff unserer Zeit zu nehmen – nach Ansicht seiner Kritiker immerhin noch absichtsvoll böse, ist der postfaktische Mensch nur noch absichtslos blöde. Das mag für die Ausschlusskomitees des Zeitgeists bequem sein. Für die demokratische Kultur ist diese Haltung Gift.“
Es geht bei dieser Kampagne darum, Kritiker der herrschenden Verhältnisse, von links wie von rechts, zum Schweigen zu bringen. Erst indem man alle Begriffe, mit denen sie ihre Kritik ausdrücken könnten, für unanständig erklärt. Dann muss man sich nicht mehr mit ihren Argumenten auseinandersetzen, sondern nur noch mit ihrer Sprache. Weil das auf Dauer nicht reicht, geht man nun einen Schritt weiter. Man setzt die Begriffe auf den Index und macht ihre Verbreitung nach und nach unmöglich. Und wer sich zu sehr in die Nähe solcher Argumente und Begriffe begibt, kommt irgendwann auch auf den Index von Youtube, Facebook, Twitter, Microsoft und natürlich Google … einfach weg, verschwunden, ganz ohne Gewalt. Dann herrscht wieder Frieden im Land, wie damals 1984.
http://www.tichyseinblick.de/gastbeitrag/postfaktisches-aus-dem-wahrheitsministerium/

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