Das wirrungsvolle Aussendepartement (EDA) von Bundesrätin Micheline Calmy-Rey ist um eine beunruhigende Episode reicher. Wie wir in dieser Ausgabe enthüllen, hat ein EDA-Sondergesandter während Jahren im Unterholz des kolumbianischen Dschungels mit Exponenten der Drogen-, Killer- und Guerilla-Organisation Farc über den Austausch von Geiseln verhandelt. Man versorgte die Kidnapper-Brigaden mit nützlichen Informationen und bot ihnen Podien zur Selbstdarstellung in der Schweiz an. Eine geheime Farc-Diskette, die der Weltwoche vorliegt, zeigt die SP-Bundesrätin als Politikerin, die «eine Sensibilität gegenüber unserer Sache» offenbare. Die Schweiz habe sich, so der Eintrag eines hochrangigen Terroristen weiter, dafür eingesetzt, dass die Farc-Mitglieder nicht als Verbrecher, sondern als «Kämpfer oder Aufständische» wahrgenommen würden. Im Namen von Calmy-Reys «aktiver Neutralitätspolitik» wirkte der EDA-Emissär sogar als Geldbote für die kolumbianischen Menschenräuber. Die Daten-CD berichtet von einer Farc-Filiale in der Schweiz, deren Existenz das EDA bestreitet, aber im Geheimen toleriert.Man muss den Vorgang sachlich sehen. Natürlich darf sich ein neutraler Staat zwischen den Fronten bewegen. Die Schweiz muss sich die moralisierende Weltbetrachtung der Grossmächte, hier die Guten, dort die Bösen, nicht zu eigen machen. Unser Kleinstaat kennt die Gepflogenheit «guter Dienste», eben weil er neutral ist und aussenpolitisch ohne Muskeln auftritt. Die Vermittlungsdiplomatie bleibt unsichtbar, frei von Show-Effekten, aber ausgerichtet auf das Ziel, fassbare Resultate zu erzeugen. Man tritt nicht von sich aus in Erscheinung, um sich wichtig zu machen oder eine Rolle zu spielen. Neutralität ist das Privileg, sich aus fremden Händeln heraushalten zu dürfen. Gute Dienste sind die Fortsetzung der Neutralität mit behutsamsten Methoden.Das Farc-Dossier illustriert den Irrweg des Schweizer Aussendepartements. Soweit die Fakten auf dem Tisch liegen, verdichtet sich das Bild einer unkontrollierten, von Naivität und Blindheit geprägten Strategie jenseits der Realpolitik. Offensichtlich haben Calmy-Reys Mitarbeiter in Kolumbien wie treuherzige Domestiken Dienstleistungen für die kaltblütige Terrororganisation absolviert. Beseelt vom befreiungstheologischen Drittweltismus der 68er Bewegung, der noch heute an der EDA-Spitze verbreitet wird, liess man sich von den linken Terrorbanden einseifen. Das ist nicht die Hauptschuld der Bundesrätin, aber die Amtsvorsteherin setzt unübersehbar die moralischen Richtlinien, denen die Agenten im Feld willig entgegenarbeiten. Dass die Farc-Funktionäre ihre Schweizer Helfer als «nützliche Idioten» sahen, darf aufgrund der uns zugegangenen Dokumente durchaus festgestellt werden. Die Unterlagen wurden publik gemacht, weil der humanitäre Aktionismus der Schweizer Weltrettungsanstalt EDA in Kolumbien grössten Ärger entfachte. Faktisch unterliefen die Schweizer Bestrebungen die Politik des kolumbianischen Präsidenten.Die Aussenministerin wird zum Reputationsrisiko. Ihre Aktionen irritieren Freund und Feind. Über den Grundkoordinaten Antiamerikanismus, Entwicklungshilfe, Israel-Kritik und Eitelkeit inszeniert Calmy-Rey ein aussenpolitisches Theater, das keine Ergebnisse bringt ausser ein Gefühl wachsender Peinlichkeit im In- und Ausland. Es ist einer Politikerin unbenommen, ihr Charisma auf internationaler Stufe einzubringen. Als lächelnde Händeschüttlerin und moralisch strenge Landesmutter findet Micheline Calmy-Rey über die Grenzen hinaus Zuspruch. Allerdings werden die intellektuellen und strategischen Defizite ihrer Politik inzwischen derart augenfällig, dass man sich fragt, ob es in ihrem Departement noch Leute gibt, die der Chefin unverblümt die Meinung sagen.
Weltwoche, 2.7.2008
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