Sunday, October 02, 2016

Eine Beleidigung für den Verstand

Mit entsicherter Moralpistole zwingt die Diktatur des politisch Korrekten die Bürger, nur noch so zu sprechen, wie es ihr gefällt. Aber hin und wieder wird ein Kritiker öffentlich erledigt, damit jeder weiss, was geschieht, wenn man nicht gehorcht. Am vergangenen Mittwoch erhielt der Schriftsteller Michel Houellebecq den Frank-Schirrmacher-Preis. In seiner Dankesrede beklagte er, dass die Europäer nicht mehr verteidigten, was ihnen einst lieb und teuer gewesen sei, weil eine politisch korrekte Kaste von Journalisten und Politikern jeden zum Reaktionär erkläre, der sich ihrem Diktat nicht unterwerfen wolle. Auf die Bestätigung seiner Thesen musste der Schriftsteller nicht lange warten. Sie erschien auf Zeit Online, aus der Feder des Journalisten Robin Detje. Er warf Houellebecq vor, die Welt seines ­Werkes mit der wirklichen Welt zu verwechseln, also mit jener Welt, in der Detje zu Hause ist. Die Rede des Schriftstellers sei das «Vermuffteste, was an freiwilliger intellektueller Korruption derzeit zu haben ist, im Chor von Sarrazin, Safranski, Monika Maron, dem ganzen reaktionären Swingerclub». Jetzt wissen wir es: Houellebecq hat gar nichts gesagt, womit man sich auseinandersetzen müsste. Er ist einfach nur Mitglied eines Clubs von finsteren Gesellen. Die Tugendwächter toben, weil man sie ertappt hat. Selten war das Niveau der Anklagen so primitiv wie heute. «Potenzprobleme sind ab einem gewissen Alter ganz normal», schreibt Detje. «Sie sind ein guter Romanstoff, aber doch kein Grund, Moscheen anzuzünden.» Potenzprobleme mögen Grund für vieles sein. Manch einer mag aus sexueller Frustration auch schon Journalisten verprügelt haben. Eines ist aber auch gewiss: Man muss von seiner Dummheit nicht bei jeder Gelegenheit Gebrauch machen.
 http://bazonline.ch/ausland/europa/eine-beleidigung-fuer-den-verstand/story/23367635

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