Die Brennergrenze die Nord- und Südtirol auseinanderreißt
steht dieser Tage im Brennpunkt politischer Diskussionen: Schwappt hier
bald die nächste Migrantenflut über die Alpen? Wilde Gerüchte von
Geheimtransporten, die in Bussen über den Brenner geschleust werden,
verbreiten sich im Netz wie ein Lauffeuer – das Innenministerium
dementiert. Der „Wochenblick“ war zum Lokalaugenschein vor Ort und hat
sich am Brenner genau umgesehen.
Sonntag, 23. Juli 2017, 8:30 Uhr, Grenzbahnhof Brenner/Brennero: Auf
dem Bahnsteig unterhalten sich drei Carabinieri. Wenige Schritte von
ihnen entfernt, auf der Treppe von der Fußgängerunterführung zum
nächsten Bahnsteig, drückt sich ein junger dunkelhäutiger Mann an die
Wand und beobachtet die Carabinieri, die ihn nicht sehen können.
Als er uns sieht, versucht er an uns vorbeizuschleichen. Wir fragen
ihn, woher er kommt. „From Senegal.“ Was er hier am Brenner tue? „I’m
living here.“ Wovon? Plötzlich erklärt er, für eine Antwort über nicht
genügend Englischkenntnisse zu verfügen. Er hat es eilig und
verschwindet hinter einer Baustellenecke.Im Bahnhofsgelände treffen wir einen Bahnreisenden, der berichtet, dass
es in Bozen-Süd bei der Messe ein riesiges Athesia-Lager, ehemals
Müllverwertung, gebe, da bekämen Flüchtlinge für drei Wochen eine
Unterkunftsmöglichkeit vom Staat ganz offiziell. Dort hielten sich
„Unmengen“ von Flüchtlingen auf, alle auf dem Sprung nach Österreich.Wir nehmen einen Kaffee in einem Grenzcafé auf italienischer Seite, die
Kellnerin hat von Flüchtlingen „nichts gesehen“. Ein Carabiniere, der
auch gerade hier Kaffee trinkt, sagt, jetzt wäre nichts los, aber im
„Agosto“ (August) würden sie kommen.
Auf der italienisch verwalteten Seite (westlich der Eisenbahn und der
Autobahn) fängt ein Radweg in Richtung Innsbruck an. Kurz danach fallen
uns Fußgänger-Wegweiser aufgrund einer auffälligen Farbmarkierung auf,
die wie „Sammelpunkt“ aussieht. Wir wandern auf dem Fußweg, der mit
„Steinalm“ und „Sattelbergalm 2,5 Stunden“ angeschrieben ist, los.
Dabei kommen immer wieder Verzweigungen und Einmündungen: Klar ist,
dass es hier eine Fülle von Pfaden durch das ganze Gelände gibt, dessen
lückenlose Überwachung durch Grenzbeamte nahezu unmöglich wäre, weil
viel zu viel Personal erforderlich wäre. Andererseits sind die
Wegstrecken, selbst die zum gute zwei Stunden entfernten Gries (der
erste Bahnhof auf österreichischer Seite), noch mehr aber der Weg nach
Steinach, zum Teil konditionell relativ anspruchsvoll.
Kaum vorstellbar, dass man es hier afrikanische Migranten ohne
organisierte Begleitung auf eigene Faust versuchen könnten. Wir begegnen
vereinzelt Wanderern, Pilzsammlern und Mountainbikern, aber keinem
einzigen „Flüchtling“.
Der besseren Aus- und Übersicht wegen verlasse wir den direkten
Sattelberghüttenweg und steigen zum Sattelberggipfel (2.100 m) auf, von
dem man einen guten Rundblick hat und unten gut die Sattelberghütte
sehen kann, bei der wir uns jeweils eine Knödelsuppe und ein Bier
gönnen. Der Hüttenwirt sagt, Flüchtlinge würden bei ihm in der Hütte
nicht zukehren. Sie würden die Pfade benützen, die westlich der Hütte
vorbeiführen. Seinen Worten ist klar zu entnehmen, dass durchs Wipptal
kommende Flüchtlinge für ihn Fakt sind.
Der Abstieg von der Hütte bis zum Parkplatz Gries dauert 40 Minuten.
Auch hier gibt es zahllose Abzweigungen und Abkürzungen, beispielsweise
den Wipptaler „Wassersteig“. Die Hauptwege sind gut ausgeschildert, ein
Verirren ist praktisch unmöglich. Trotzdem fallen zusätzlich
vereinzelte, auf Bäume oder Zaunstecken gemalte farbige Pfeile und bei
Abzweigungen Punkte in grüner Leuchtfarbe auf. Sie wären auch bei
Dunkelheit unübersehbar.
Ich komme nach Gries und spreche mehrere in Hausgärten arbeitende
oder vor Garagen ihre Autos pflegende Einheimische auf das Thema
illegale Grenzgänger an. Ja, das sei seit längerem hier im Wipptal ein
Thema. Manchmal schüttelt man resigniert den Kopf, manchmal zeigt man
sich empört über die Untätigkeit der Politiker, manchmal hat man aber
auch „von Flüchtlingen nichts bemerkt“.
Ein Jäger mit großem Revier an der Grenze zu Südtirol erzählt uns,
dass es die Lage im Gegensatz zu letztem Jahr „momentan verdächtig
ruhig“ wäre. Die Wahrnehmungen und Meinungen sind nicht einheitlich –
nur das Thema an sich: es wühlt die Menschen stark auf, erzeugt
Unsicherheit und eine merkliche Anspannung. Die meisten der seit dem
Vorjahr im Internet kursierenden Fotos von Migranten-Wegweisern seien
hier in Gries gemacht worden. Mittlerweile seien die Zeichen aber
entfernt worden. Man wisse nicht, von wem. Ja, es herrsche
„Flüchtlingsverkehr“. Aber neuerdings werde von ihnen das stark
kontrollierte Gries umgangen.Die Trupps, die angeblich zu Fuß unterwegs seien, würden den Wanderweg
an Gries vorbei über das 300 Einwohner zählende Örtchen Vinaders nach
Steinach wählen und dort entweder in den Zug steigen oder von
Kleintransportern, abgeholt werden. Manchmal seien Flüchtlingstrupps
auch nachts auf den Bahngleisen unterwegs. Immer wieder, erzählen
Bahnbedienstete den Einheimischen, müssten in der Nacht Lastenzüge auf
offener Strecke anhalten, weil sich Personengruppen auf den Gleiskörpern
befänden.
Das Dorfzentrum Gries liegt im Talkessel, der Bahnhof Gries klebt
hoch oben am ostseitigen Berghang. Auf dem Weg zum Bahnhof überholt uns
ein Einsatzfahrzeug mit zwei Polizistinnen. Der stündlich verkehrende
Zug Brenner-Innsbruck (im Fahrplan als „S 4“ geführt) hat seinen ersten
Österreich-Halt in Gries. Der Aufenthalt dauert etwas länger als
geplant, denn die beiden Beamtinnen inspizieren genau jeden Waggon.
Kein Verdächtiger gefunden, daher ausgestiegen und freie Fahrt
gegeben für den Zug. Ein ÖBB-Schaffner kontrolliert die Tickets und
verlangt von uns zusätzlich einen Ausweis zu sehen. Auf österreichischer
Seite, so hat scheint es uns, ist man sehr bemüht den Eindruck zu
vermitteln, dass alles in bester Ordnung ist. Aber ist es das wirklich –
und wird es so bleiben?
https://www.wochenblick.at/brenner-raetsel-um-mysterioese-illegale-migranten/
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