Einst stand es in den Statuten der Pionierorganisation "Ernst Thälmann":
„Wir Thälmannpioniere lieben die Wahrheit, sind zuverlässig und einander freund. Wir
streben immer danach, die Wahrheit zu erkennen, und treten für den
Sozialismus ein. Wir erfüllen die von uns übernommenen Aufgaben und
stehen zu unserem Pionierwort. Wir sorgen dafür, daß unsere Gruppe eine
feste Gemeinschaft wird, und helfen kameradschaftlich jedem anderen
Schüler.“
1989 sollte das Geschwurbel ad acta gelegt werden. Wurde es das? Informiere ich mich über die jüngste Groteske in der Hamburger Bürgerschaft, dann bin ich sicher, die Untoten
sind noch immer sehr lebhaft unter uns. In freier Übersetzung auf den
Rauswurf des freigewählten Abgeordneten Ludwig Flocken in der Hamburger
Bürgerschaft gemünzt heißt das: „Wir, die Bürgerschaft von Hamburg,
helfen unserem Genossen Flocken auf den richtigen Weg. Damit er das
endlich begreift, muss er vor die Tür!"
Auch bei genauer Betrachtung seiner Formulierungen überschreitet der
Mann an keinem Punkt die parlamentarische Wehner-Strauß-Sprachgrenze.
Zitat: „Sie alle kennen die Bilder von Merkel nach ihrem letzten
Wahlsieg wie sie Fahne wegschmeißt und ihr der Ekel ins Gesicht
geschrieben steht“. Wo bitte ist das überzogener als Wehners "Hodentöter" zum Abgeordneten Todenhöfer? Oder wo bitte spricht Ludwig Flocken überzogener als Franz Josef Strauß: "Ich bin der Sohn meines Vaters, Sie sind der Amtsnachfolger Stalins" (Zu Leonid Breschnew am 6. Mai 1978 in Bonn)?
Wo lügt der Abgeordnete Flocken? Als Flocken einen Vorfall von vor neun Jahren ansprach,
als Teilnehmer eines Kongresses der Grünen Jugend auf eine
Deutschlandfahne uriniert hatten, sagte Flocken unter Protest anderer
Mitglieder der Bürgerschaft: „Die Bilder gibt’s doch!" (Die Welt).
Vor kurzem war es noch üblich, dass man solche Verfehlungen im
Parlament ansprach. Seit wann ist die Artikulation des Vorwurfes der "Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole"
ein parlamentarisches Vergehen? Ist nicht vielmehr die vor neun Jahren
unterlassene Klage gegen diese Verunglimpfung der eigentliche Skandal?
Die Hamburger Bürgerschaft ist damit in ihrem Verständnis, von dem was
gilt und dem was nicht zu gelten hat, nicht mehr weit vom
DDR-Sangesverlust der eigenen Nationalhymne. Potjemkin lässt grüßen.
1989 errangen die Ostdeutschen zuerst den öffentlichen Raum für sich,
das Demonstrationsrecht war wiedergeboren, politische Forderungen wurden
nachdrücklich postuliert und gewaltige politische Prozesse in Gang
gesetzt. Freiheit, Demokratie, freie Wahlen und Deutsche Einheit waren
die Folge. Für die meisten Ostdeutschen war die Meinungsfreiheit damals
grundsätzlich. Alle Informationen mussten zugänglich sein, alle
Argumente mussten bekannt sein, die freie Rede musste erlaubt sein,
demokratische Entscheidungen sollten immer möglich sein. So stellte sich
DDR-Otto-Normalverbraucher 1989 die Demokratie vor.
Was erlebt dieser Normalverbraucher heute? Informationen werden bei
ARD und ZDF gesiebt, sogar die freie Rede wird in Parlamenten behindert.
Dabei sind es doch die Parlamente, in denen die Bevölkerung
repräsentativ diskutieren soll. Parlamente, die das von sich aus nicht
mehr gewährleisten, schaffen sich und die Demokratie ab.
Parlamentspräsidentin Carola Veith wollte Gutes bewirken und hat doch
nur ein Gespenst geschaffen: Das Gespenst des Einheitsparlaments.
Die Hamburger Bürgerschaft sollte sich auch bei eher abseitigen Parteien
und Abgeordneten an Voltaire halten. So wie es jedes Parlament in
Deutschland seit der freigewählten Volkskammer 1990 mit Linksaußen
gleichfalls handhabte. Nicht nur weil er was Kluges sagte, sondern weil
dieses Kluge eine Grundlage der offenen Gesellschaft mit ihrer
repräsentativen Demokratie ist:
„Das Recht zu sagen und zu drucken, was wir denken, ist eines jeden
freien Menschen Recht, welches man ihm nicht nehmen könnte, ohne die
widerwärtigste Tyrannei auszuüben. Dieses Vorrecht kommt uns von Grund
auf zu; und es wäre abscheulich, dass jene, bei denen die Souveränität
liegt, ihre Meinung nicht schriftlich sagen dürften.“ (Voltaire)
http://www.achgut.com/artikel/hamburger_buergerschaft_der_absturz_eines_parlaments_zum_freundschaftsrat_d
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