Wednesday, February 27, 2008

Die Offenbarung von Köln

Es ist erstaunlich, wie häufig der ungeheuerlichste Satz des türkischen Premierministers aus seiner Kölner Rede zitiert wurde, ohne dass die Kommentatoren darüber nachgedacht hätten, was er eigentlich bedeutet. Von Uli Krug
»Assimilation ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit«, hatte der Softcore-Islamist an der türkischen Regierungsspitze seine 10000 Zuhörer in der Köln-Arena bekanntlich angestachelt. Die Wortwahl Recep Tayyip Erdogans war sicherlich eine Fehlleistung, aber wie alle Fehlleistungen Ausdruck bislang mühselig verhehlter Antriebe. Was der Regierungschef mit seinem Vergleich klargemacht hat: dass nämlich Erdogan und die AKP Kemalisten minus Säkularismus sind – und das gleich in zweierlei Hinsicht.
Zunächst halten Erdogan und seine Anhänger explizit an der Lüge um das Gründungsverbrechen der modernen Türkei fest – denn darauf zielte die Formulierung »Verbrechen gegen die Menschlichkeit«, mit der Erdogan in Köln nicht nur die Forderungen der Aufnahmeländer, sondern auch die Ziele vieler vorurteilsloser türkischstämmiger Migranten verunglimpfte. Dieser ohnehin schon absichtlich verniedlichend ins Deutsche übersetzte Straftatbestand aus der Präambel der zweiten Haager Land­kriegs­ord­nung von 1907 war historisch zum ersten Mal gerade gegen die Türkei ins Feld geführt worden. Die Entente-Mächte hatten 1915 den von der jungtürkischen Bewegung organisierten Völkermord an rund einer Mil­lion Armeniern als »Verbrechen gegen die Mensch­heit« verurteilt. Ein Verbrechen, das zuzugeben in der Türkei als strafwürdiger Angriff auf das »Türkentum« gelten kann.
Auf diesem Konstrukt fußt noch heute die Staats­ideologie. Verband aber Kemal Atatürk selbst mit »Türkentum« eher Vorstellungen einer biologisch-mental bedingten Zugehörigkeit zu einer Art türkischen Rasse, so enthüllte Erdogan, was das Substrat dieser Vorstellung ist: das Apostasieverbot des Islam. Dass das Mensch­sein an der bedingungslosen Zugehörigkeit zum Kollektiv der türkischen Kultur hängt, worauf Erdogan pochte, heißt schlicht nichts anderes, als dass ein Muslim sich nicht an die nicht-muslimische Umwelt anpassen darf, um sich darin im Sinne der Aufklärung zu individuieren. Anders gesagt: Erdogans Satz ist der moralische Freispruch für die Mörder von Hatun Sürücü.
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