Ich möchte keine Frau in Darmstadt sein. Zumindest keine, die Ende Mai
dieses Jahres am Schlossgrabenfest teilgenommen hat. Moment, Sie wissen
nicht, wovon ich schreibe? Haben Sie denn keine Ahnung vom großen
Aufreger der letzten Tage? Informieren Sie sich nicht? Wie jetzt, Sie
wissen alles über das, was AfD-Vize Gauland gesagt oder eben auch nicht
gesagt hat? Nein, das meine ich doch gar nicht. Ja, Marco Reus fährt
nicht zur EM – das ist ärgerlich, aber darüber echauffiert man sich doch
nicht. Gut, Sie knallen mir völlig zu Recht die Titelseiten der Print-
und Online-Medien vor die Nase. Sie fragen mich völlig zu Recht, welchen
Aufreger ich denn nun meine. Sie erwarten von mir völlig zu Recht eine
Erklärung, was in Deutschland nach Gauland und vor Fußball wichtiger
sein könnte. Ich verrate Ihnen etwas: Nichts.
Es ist dann nichts passiert, wenn Sie die sexuellen Übergriffe in
Darmstadt beim Schlossgrabenfest, einem jährlich stattfindenden
Open-Air-Festival, als Nichtigkeit beiseite wischen. Und sich dadurch
mit Medien, Politikern und Teilen der Gesellschaft, die das Gleiche tun,
in bester Gesellschaft befinden. Denn wieder haben vermutlich mehrere
Migranten Frauen unsittlich berührt, ihnen eindeutige sexuelle Avancen
gemacht, ihnen nachgestellt, sie belästigt. Zum Zeitpunkt dieses
Artikels sind es bereits 26 Anzeigen, und wir wissen aus den Erfahrungen
von Köln, dass sich die Zahl noch deutlich erhöhen wird. Vielleicht
sollte ich allerdings nicht von Erfahrungen sprechen, die aus dem
Debakel in der Silvesternacht gezogen wurden.
Denn wenn ein Fakt schockierte, war es das Unvermögen der deutschen
Politik und Medien, adäquat zu reagieren und Stellung zu beziehen. Ganz
im Gegenteil: Frauen durften sich hinterher noch anhören, dass es beim
Oktoberfest wohl noch viel schlimmer zuginge. Viel wirkungsvoller sei es
doch, einfach eine Armlänge Abstand zu halten, anstatt sich von der
großen Mehrheit der schweigenden Politiker Hilfe zu erwarten. Ziehen wir
jetzt unsere heimischen Publikationen zu Rate oder fragen
Volksvertreter, lesen und hören wir wieder entweder nichts. Oder im
besten Falle das erneute Wiederkäuen eines Imperativs, der bei passender
Gelegenheit an verdrehte moralische Gesetzmäßigkeiten erinnert. So sei
es doch nun erst einmal viel wichtiger, Einwanderer keinesfalls unter
Generalverdacht zu stellen. Die Fakten abzuwarten, sich zu mäßigen.
Gegen Hass, Rassismus und Hetze aufzurufen. Wir gewinnen den Eindruck,
das Menetekel sei nicht etwa die sexuell aufgeladene Treibjagd in
Darmstadt und anderswo, sondern das Erheben jener Stimmen, die diese
Vorgänge zur Sprache bringen wollen. Inzwischen gehen mir die Adjektive
aus, um zu beschreiben, wie groß und schier übermächtig das Schweigen
ist, das zu solchen Verbrechen herrscht. Einigen wir uns vielleicht auf erschreckend.
Ralf Stegner etwa lässt sich gewohnt arrogant seitenweise auf seinem
Twitter-Account über die Verfehlungen Gaulands aus. Justizminister Heiko
Maas zwitschert derweil, wie man die Mietpreisbremse noch stärker
reglementieren könne. Darmstadt und die Erniedrigung von Frauen werden
mit keinem Wort erwähnt. Die beiden stehen als Beispiel für eine ganze
Reihe von Politikern, die stets wortgewaltig und moralinsauer den
Deutschen einen angeblich latenten Rassismus austreiben wollen und nicht
müde werden, Kritikern und Warnern vor einer nicht mehr beherrschbaren
Asylpolitik nationalsozialistische Brandstiftung zu unterstellen. Sich
aber zu belegbaren Taten von Migranten bedeckt zu halten, weil der
Tätertypus nicht den Wunschvorstellungen entspricht.
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