Wednesday, June 01, 2016

Widerlichkeiten unter Nichtigkeiten begraben: Ich möchte keine Frau in Darmstadt sein

Ich möchte keine Frau in Darmstadt sein. Zumindest keine, die Ende Mai dieses Jahres am Schlossgrabenfest teilgenommen hat. Moment, Sie wissen nicht, wovon ich schreibe? Haben Sie denn keine Ahnung vom großen Aufreger der letzten Tage? Informieren Sie sich nicht? Wie jetzt, Sie wissen alles über das, was AfD-Vize Gauland gesagt oder eben auch nicht gesagt hat? Nein, das meine ich doch gar nicht. Ja, Marco Reus fährt nicht zur EM – das ist ärgerlich, aber darüber echauffiert man sich doch nicht. Gut, Sie knallen mir völlig zu Recht die Titelseiten der Print- und Online-Medien vor die Nase. Sie fragen mich völlig zu Recht, welchen Aufreger ich denn nun meine. Sie erwarten von mir völlig zu Recht eine Erklärung, was in Deutschland nach Gauland und vor Fußball wichtiger sein könnte. Ich verrate Ihnen etwas: Nichts.
Es ist dann nichts passiert, wenn Sie die sexuellen Übergriffe in Darmstadt beim Schlossgrabenfest, einem jährlich stattfindenden Open-Air-Festival, als Nichtigkeit beiseite wischen. Und sich dadurch mit Medien, Politikern und Teilen der Gesellschaft, die das Gleiche tun, in bester Gesellschaft befinden. Denn wieder haben vermutlich mehrere Migranten Frauen unsittlich berührt, ihnen eindeutige sexuelle Avancen gemacht, ihnen nachgestellt, sie belästigt. Zum Zeitpunkt dieses Artikels sind es bereits 26 Anzeigen, und wir wissen aus den Erfahrungen von Köln, dass sich die Zahl noch deutlich erhöhen wird. Vielleicht sollte ich allerdings nicht von Erfahrungen sprechen, die aus dem Debakel in der Silvesternacht gezogen wurden.
Denn wenn ein Fakt schockierte, war es das Unvermögen der deutschen Politik und Medien, adäquat zu reagieren und Stellung zu beziehen. Ganz im Gegenteil: Frauen durften sich hinterher noch anhören, dass es beim Oktoberfest wohl noch viel schlimmer zuginge. Viel wirkungsvoller sei es doch, einfach eine Armlänge Abstand zu halten, anstatt sich von der großen Mehrheit der schweigenden Politiker Hilfe zu erwarten. Ziehen wir jetzt unsere heimischen Publikationen zu Rate oder fragen Volksvertreter, lesen und hören wir wieder entweder nichts. Oder im besten Falle das erneute Wiederkäuen eines Imperativs, der bei passender Gelegenheit an verdrehte moralische Gesetzmäßigkeiten erinnert. So sei es doch nun erst einmal viel wichtiger, Einwanderer keinesfalls unter Generalverdacht zu stellen. Die Fakten abzuwarten, sich zu mäßigen. Gegen Hass, Rassismus und Hetze aufzurufen. Wir gewinnen den Eindruck, das Menetekel sei nicht etwa die sexuell aufgeladene Treibjagd in Darmstadt und anderswo, sondern das Erheben jener Stimmen, die diese Vorgänge zur Sprache bringen wollen. Inzwischen gehen mir die Adjektive aus, um zu beschreiben, wie groß und schier übermächtig das Schweigen ist, das zu solchen Verbrechen herrscht. Einigen wir uns vielleicht auf erschreckend.
Ralf Stegner etwa lässt sich gewohnt arrogant seitenweise auf seinem Twitter-Account über die Verfehlungen Gaulands aus. Justizminister Heiko Maas zwitschert derweil, wie man die Mietpreisbremse noch stärker reglementieren könne. Darmstadt und die Erniedrigung von Frauen werden mit keinem Wort erwähnt. Die beiden stehen als Beispiel für eine ganze Reihe von Politikern, die stets wortgewaltig und moralinsauer den Deutschen einen angeblich latenten Rassismus austreiben wollen und nicht müde werden, Kritikern und Warnern vor einer nicht mehr beherrschbaren Asylpolitik nationalsozialistische Brandstiftung zu unterstellen. Sich aber zu belegbaren Taten von Migranten bedeckt zu halten, weil der Tätertypus nicht den Wunschvorstellungen entspricht.
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