Saturday, January 11, 2014

Früherer Premierminister Ariel Scharon gestorben


Der frühere israelische Premierminister Ariel Scharon ist tot. Er starb im Alter von 85 Jahren in einem Krankenhaus nahe Ramat Gan. Der ehemalige General lag acht Jahre im Koma. Ein Rückblick auf ein bewegtes Leben.
Schon dem Staatsgründer David Ben Gurion ist der junge tapfere Kämpfer Ariel Scharon aufgefallen. Aber er traute ihm nicht.
Der Soldat Scharon ignorierte Befehle seiner Vorgesetzten und schaffte es deshalb nicht zum Oberbefehlshaber. Als Politiker verfolgte er eine pragmatische Linie, was weder seine blinden Gefolgsleute, noch seine hasserfüllten Feinde wahrhaben wollten. Scharon war kein neurotischer Araberhasser oder verblendeter Siedlungsideologe. Im Laufe seiner Karriere war er stets für Überraschungen gut. Kein anderer Israeli war jemals bei den Arabern so verhasst und zugleich so respektiert.
Bei vielen Israelis galt er als gefährlicher Rechtsaußen, bis ihn die Linken zum Retter der Nation kürten. Keinem anderen israelischen Politiker wurden so viele böswillige Klischees angehängt wie „General“ Scharon. Umstritten blieb er bis zu seinem Schlaganfall am 4. Januar 2006, der ihn in ein langjähriges Koma versetzte.
Scharon blieb sich bei genauem Hinschauen stets selber treu. Er hatte immer das Wohl und das Überleben Israels im Visier und war deshalb kein Ideologe, sondern ein unberechenbarer Pragmatiker.

Die Visite auf dem Tempelberg und zweite Intifada

Die Visite Scharons auf dem Tempelberg im September 2000, die vermeintlich den zweiten Aufstand der Palästinenser auslöste, fiel noch in die Ära von Premierminister Barak. Der genehmigte mit palästinensischer Zustimmung (!) die „Provokation“ seines Oppositionschefs Scharon, obgleich er von Arafats Vorbereitungen zur Al-Aksa-Intifada seit Mai 2000 gewusst haben muss.
Scharon hatte in seiner Karriere viele Schritte getan, die ihn bei Israelis wie Arabern zum mythologischen Feind machten. Seine militärischen Attacken als Befehlshaber der legendären 101-Einheit kosteten in den fünfziger Jahren viele arabische Zivilisten das Leben. Während des Putsches von PLO-Chef Jassir  Arafat  1970 in Jordanien („Schwarzer September“) empfahl Scharon, Jordanien zur „Palästinensischen Republik“ unter  Arafat  werden zu lassen. Die USA und Israels Regierung wollten aber König Hussein retten. Wäre damals „Palästina“ anstelle von Jordanien entstanden, sähe der Nahe Osten heute anders aus.
Mit dem befehlswidrigen Überschreiten des Suezkanals 1973 beendete Scharon siegreich den Jom-Kippur-Krieg, brachte aber die militärische wie politische Spitze Israels gegen sich auf. 1982 zerstörte er als Verteidigungsminister unter Menachem Begin alle Siedlungen auf dem Sinai und vollzog die Räumung der Halbinsel. Damit war der Friedensvertrag mit Ägypten im Mai 1982 perfekt. Einen Monat später zeichnete er sich verantwortlich für den Libanon-Feldzug bis Beirut. Eine Untersuchungskommission machte ihn mitverantwortlich für Massaker an Palästinensern in den Flüchtlingslagern Sabra und Chattilah bei Beirut. Die Massaker hatten die christlichen Verbündeten Israels unter Elie Hubeika ausgeführt. Scharon wurde lediglich beschuldigt, die Rachsucht der libanesischen Christen nicht vorhergesehen zu haben. Gleichwohl galt er fortan als „Schlächter von Beirut“, was nachweislich nicht stimmt.
Lange vor den Osloer Verträgen vermerkte Scharon in seiner Autobiografie, dass er 1982 gegen den Willen der Amerikaner die Verbannung des belagerten  Arafat  mitsamt seinen Kämpfern ins Exil nach Tunis durchgesetzt habe. Wie ein Prophet hatte Scharon vorhergesehen, dass Israel eines Tages mit einem „starken“  Arafat  über das künftige Schicksal der Palästinenser verhandeln müsse. So wurde ausgerechnet Scharon zum Wegbereiter des 1991 von Jitzhak Rabin aufgegriffenen Friedensprozesses.

Zahl der palästinensischen Selbstmordanschläge stieg drastisch

Im März 2001 wurde Scharon nach dem größten Wahlsieg in der Geschichte Israels Premierminister. Sein Vorgänger, Ehud Barak, musste so für das Debakel des Ausbruchs der 2. Intifada büßen, nachdem er bei Friedensverhandlungen in  Camp David  weitreichendste Zugeständnisse gemacht hatte. Nachdem Barak nach Hunderten palästinensischen und dutzenden israelischen Toten den Aufstand nicht in den Griff bekommen hatte, versprach Scharon ein Ende des Blutvergießens. Sein erster Amtsakt im März 2001 war ein einseitiger Waffenstillstand. Die Zahl der palästinensischen Toten sank drastisch, aber palästinensische Selbstmordattentate forderten immer mehr israelische Tote.

Nein zu „biblischen Siedlungen“

In einem Interview mit der Zeitung „Ha‘aretz“ erklärte er, biblische Siedlungen wie Eli, Schilo und Tekoa nicht halten zu können. So deutete der „Vater der Siedlungspolitik“ das Ende der religiös motivierten Siedlungen an. Unter Scharon gingen die Friedensbemühungen zunächst weiter. Nach dem Mord an Tourismusminister Rehabeam Zeevi und der Aufnahme der Mörder in Arafats Mukata (Hauptquartier) beschloss Scharon im November 2001,  Arafat  unter Hausarrest zu stellen. Ein Selbstmordanschlag im Park-Hotel in Natanja am Abend des Passahfestes 2002 führte zum Einmarsch in die palästinensischen  Autonomiegebiete . Gleichzeitig begann Scharon, einen Sperrwall zu errichten, um das Eindringen von Terroristen zu verhindern und „einseitig“ die künftige Grenze gemäß israelischen Interessen festzulegen. Heute zählt diese „Mauer“ zu den schmerzhaftesten israelischen Maßnahmen gegen die Palästinenser, wobei selten erwähnt wird, dass die Mauer eine direkte Reaktion auf palästinensische Politik war. Unerbittlich bekämpfte Scharon palästinensische Attacken mit „gezielten Tötungen“ von „tickenden Bomben“. Scheich Ahmad Jassin und Salah Schehade waren die bekanntesten Opfer seiner „außergerichtlichen Hinrichtungen“.
Scharon war der erste israelische Premierminister, der von „eroberten Gebieten“ sprach und den Begriff „palästinensischer Staat“ in den Mund genommen hat. Im Dezember 2003 verkündete er die „Abkopplung“ von den Palästinensern. Im August 2005 vollzog er den Rückzug aus Gaza und setzte mit dem Abzug aus dem Norden des Westjordanlandes der ideologischen Siedlungspolitik ein symbolisches Ende.
Von Ulrich W. Sahm / INN

No comments: