Thomas Becker
Fürchtet euch nicht!
...scheint Elisabeth Kiderlen sagen zu wollen, wenn sie in der TAZ über die Iranpolitik und Ahmadinejad berichet.
Seit das neue iranische Regime es sich im vergangenen Sommer zu seiner Hauptaufgabe gemacht hat, die europäische Friedensdiplomatie vor der Weltöffentlichkeit zu blamieren, haben besonders die deutschen Propheten des "kritischen Dialogs" wenig zu lachen. Ihre Diplomatie sollte die schöne Alternative zum häßlichen amerikanischen Imperialismus sein, und Deutschland Weltmeister bei der Verständigung mit den Islamisten. Aber nun muß man, um den Iran gegen die Amerikaner zu verteidigen, einem Holocaust-Leugner beistehen, der Israel (mit Atomraketen?) von der Landkarte tilgen will.
Doch immer wieder gelingt es unseren Kommentatoren, die intellektuellen und moralischen Skrupel zu überwinden, die sich da auftun. Erst kürzlich hat die "Taz" wieder vorgemacht, wie das geht. Elisabeth Kiderlen, die agitatorisch auf Joschka Fischers Frankfurter Pflasterstrand geschult wurde, machte sich einfach die Tatsache zunutze, daß die Dinge mitunter nicht so sind, wie sie scheinen. Die "radikale Rhetorik" des iranischen Präsidenten erklärte sie zum Schein, der nur den Blick verstelle auf das, worum es im Iran wirklich gehe, nämlich um den "Generationswechsel in der iranischen Führungsriege". Daß Ahmadinejad "vom ›Mythos Holocaust‹ schwadronierte und das Existenzrecht Israels in Frage stellte", sei mithin nicht sonderlich relevant, sondern lenke nur vom Wesentlichen ab.
Das Argument ist zwar nicht ganz logisch, aber praktisch, denn schon war die Autorin bei einem interessanteren Thema angelangt: bei der Generation, der der iranische Präsident angehört, und die "ihre prägenden Erfahrungen nicht an den theologischen Hochschulen und Medressen, sondern in den Schützengräben und auf den Minenfeldern" im Iran-Irak-Krieg der 1980er Jahre gemacht hat.
Kurz: Es sind diesmal nicht die alten, sondern die jungen Garden der iranischen Revolution, die es der Autorin und ihrem Milieu angetan haben. Das sind die "Männer, die oft aus armen Verhältnissen stammen und die sich bei den revolutionären Freiwilligentruppen der Basidschi und der Revolutionswächter" dazu qualifiziert haben, die Macht zu übernehmen. Kiderlen glaubt, daß diese Generation der Gotteskrieger mit der Korruption fertig werden, die Arbeitslosigkeit beseitigen, den Iran durch "mehr Eigeninitiative, mehr Erfindergeist" und durch eine "moralische Erneuerung durch die Rückkehr zu den geistigen Anfängen der Revolution" aus dem Würgegriff des Westens lösen und in eine lichte Zukunft führen will und kann.
Die Kraftquelle dieser Revolution erkennt die Autorin in der Religion, oder vielmehr im Sinn für das Zusammenspiel von Religion und technischem Fortschritt, der die Schützengraben-Generation auszeichne. Schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts, betont sie, gebe es Bestrebungen, "die Wiederbelebung des Alten und den Zugriff auf das Neue zu einem kraftvollen Dritten zu verschmelzen" - beispielhaft verwirklicht im iranischen Atomwaffenprogramm.
Elisabeth Kiderlen hat diesen Traum vom kraftvollen Dritten, und sie hat einen Alptraum: daß amerikanische Cruise Missiles den Fortschritt der iranischen Revolution abrupt beenden könnten.
konkret, 5, 2006
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