Debatte um die Rütli-Schule von birgit schmidt
Bisher wusste man noch nichts von seinen pädagogischen Fähigkeiten, aber in einem Interview mit der Berliner Zeitung stellte Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit klar, was die bundesweit bekannt gewordene Rütli-Schule in Neukölln dringend bräuchte: auf keinen Fall mehr Geld, aber Lehrer mit einer – so Wowereit – natürlichen Autorität.
So einen hat sie jetzt. Der neue, kommissarisch eingesetzte Direktor Helmut Hochschild ist einer, so schwärmte die Berliner Zeitung kurz darauf, der schon die Pressekonferenz problemlos in den Griff bekommen hat. Einer, der gut aussieht, einer, der mit dem Motorrad zur Schule kommt, und, das schrieb die Zeitung nicht, war aber zwischen den Zeilen zu lesen, vor allem eines: ein Mann.
Brigitte Pick, die vorige Schulleiterin und mit 33 Jahren Lehrerfahrung eine erfahrene Pädagogin, hat keine so gute Presse. Sie erscheint eher als Gescheiterte, als eine, der der Laden um die Ohren geflogen ist, die erst einen Nervenzusammenbruch bekam und sich dann in den vorgezogenen Ruhestand verabschiedete. Kein Wort in der Diskussion über die Rütli-Schule, die die Nation seit Wochen fieberhaft über Kindererziehung und Ausländeranteile in Schulklassen reden lässt, galt der Tatsache, dass Frau Pick nicht nur eine erfahrene Pädagogin ist, sondern auch eine mutige Frau, die es gewagt hat, eine der brisantesten Forderungen vieler Berliner Pädagogen und Pädagoginnen auszusprechen: Sie plädierte für ein Verbot des islamischen Kopftuchs an den Schulen.
Der taz sagte sie im März 2004: »Ungefähr 30 Mädchen tragen an unserer Schule ein Kopftuch. In den Augen der Jungen gibt es dadurch zwei Sorten Mädchen: die Schlampen ohne und die anständigen Mädchen mit Kopftuch. In der Regel werden die von den muslimischen Jungen in Ruhe gelassen. Wenn es zu sexuellen Belästigungen kommt, dann immer von Mädchen ohne Kopftuch. Je patriarchaler das Elternhaus, desto weniger können wir auf diese Jungen Einfluss nehmen. Kommen Sie mal als junge Lehrerin an die Schule und halten das aus. Ich bin für ein Kopftuchverbot.«
Weder der Presse noch den zuständigen Stellen ist jedoch an einer Debatte über diese Forderung gelegen. Anders kann man sich den Umstand nicht erklären, dass auch die Bedrohung, mit der Frau Pick in den vergangenen Jahren leben musste, in der gesamten Berichterstattung der vorigen Wochen nicht ein einziges Mal erwähnt worden ist. Der taz hatte sie damals auch gesagt: »Diese Meinung vertrete ich auch öffentlich. Aber langsam kriege ich kalte Füße. Ich habe schon per Post ein Flugblatt erhalten: Wir warnen Sie – wagen Sie nicht, das Kopftuch in der Schule zu verbieten für unsere Töchter. Islam siegt!« Drei Monate zuvor hatte sie mit der Grundschullehrerin Derya Ulas und der SPD-Abgeordneten Lale Akgün an einer Radiodiskussion teilgenommen, in der aus einem der Briefe zitiert wurde, die sie erhalten hatte: »Wir setzen das Kopftuch durch, und wir siegen. Unsere Religion ist die höchste Religion, und daran haben sich die Deutschen zu halten.«
Brigitte Pick nahm, auch das sagte sie in dieser Radiosendung, diese Drohungen ernst. Die Presse aber und die zuständigen Stellen ignorieren beides, sowohl die Drohungen als auch die Tatsache, dass Eltern ihren Töchtern immer häufiger verbieten, am Schwimmunterricht, am Sexual- bzw. Biologieunterricht und an Klassenfahrten teilzunehmen. Vor diesem Hintergrund musste Brigitte Pick tatsächlich scheitern, nämlich bei ihrem Versuch, Mädchen vor Menschen, die solche Briefe schreiben, so weit es in ihrer Macht stand, zu beschützen. Im Gegensatz zu den meisten anderen hat sie es immerhin versucht.
jungle-world.com
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